Ein Song, der Mut macht
Die britische Popband Coldplay hat zusammen mit anderen Musikerinnen und Musikern einen Song herausgebracht, der mit seiner religiös inspirierten Sprache aufhorchen lässt. « We pray » (Wir beten) – so der Titel – erzählt, wofür Menschen heute beten, und gibt damit Einblicke in deren Sorgen und Sehnsüchte. Getragen von einem lebensfrohen Sound und dem Gefühl des Miteinanders wirkt der Song ansteckend und macht Mut – gerade in schwierigen Zeiten.
Am 4. Oktober 2023 erschien « Moon Music », das zehnte Studioalbum von Coldplay. Die zweite Single daraus mit dem Titel «We pray» hatte die weltweit erfolgreiche Rock-Formation bereits Ende August veröffentlicht. Das, wovon Frontmann Chris Martin zu Beginn des Songs erzählt, dürfte manchem bekannt sein. Es erinnert an die kleinen und grossen Stossgebete, die unseren Alltag durchziehen : « Ich bete, dass ich nicht aufgebe, bete, dass ich mein Bestes gebe, bete, dass ich wieder aufstehen kann, bete, dass es meinem Bruder gut geht, bete für genug, … bete, dass ich niemanden verurteile und mir meine Sünden vergebe, ich bete, dass wir es schaffen, bete, dass mein Freund durchkommt ».
Neben diesen wiederkehrenden Hilferufen blitzen auch Bitten zu konkreten Ereignissen auf. Der Vers « Ich bete, dass Virgilio gewinnt » erinnert an den Fall von Virgilio Aguilar Mendez, einem jugendlichen Migranten, der 2023 in den USA zu Unrecht für den Tod eines Polizisten verantwortlich gemacht und angeklagt wurde. Und die Zeile « Wir werden Baraye singen » bezieht sich auf die Ballade « Baraye », die im September 2022 zur inoffiziellen Hymne der Protestbewegung im Iran wurde.
Dass irgendwo der Himmel wartet
Bisher ist Coldplay kaum mit religiösen Botschaften aufgefallen, auch wenn in früheren Liedern der Band vereinzelt biblische Bilder auftauchen. Das ist bei « We pray » anders. Neben dem sich mantraartig wiederholenden « Ich bete / Wir beten » ist der Song auch sonst von spiritueller Lyrik geprägt. Der Vers « Auch wenn ich im Tal des Todesschattens bin » greift ein Bild von Psalm 23 auf, « Für die, die Meere teilen » erinnert an den Auszug des Volkes Israel in Ex 14,21. Dem Wunsch « Behalte ein Lächeln im Gesicht » folgt der Hinweis « nur durch seine Gnade ». In den Aussagen « Ich weiss, dass irgendwo der Himmel wartet … dass es etwas Unglaubliches gibt … dass wir irgendwo kein Leid mehr erfahren » spiegelt sich die Sprache endzeitlicher Texte wie Offb 21,4 wider. Und dann ist da noch der Refrain, der zwischen einer Einzelstimme und dem « And so we pray » des Chores hin und her wechselt und unwillkürlich an eine moderne Litanei denken lässt.
Doch auch wenn die Produzenten dem Song eine unverkennbar spirituelle Note verliehen haben, ein Gebet im engeren Sinn wollten sie damit nicht schaffen. Denn Chris Martin, der sich in einem Interview als « Alltheist » bezeichnet, und seine Kolleginnen und Kollegen wenden sich nicht explizit an ein göttliches Gegenüber, sondern geben Einblicke in das, was Menschen bewegt und wofür sie beten.
Einladung zum Mitmachen
Für « We pray » hat sich Coldplay weitere namhafte Künstlerinnen und Künstler ins Boot geholt. Das ist sicherlich kein Zufall. Die britische Rapperin Little Simz, der nigerianische Afrobeat-Musiker Burna Boy, die argentinische Sängerin und Tänzerin Tini und die palästinensisch-chilenische Musikerin Elyanna stehen für internationale Vielfalt und unterschiedliche Musikstile. Diese Besetzung unterstreicht die Botschaft des Songs: Wenn viele ihre Sehnsüchte teilen, zusammenstehen und sich dabei einer grösseren Wirklichkeit öffnen, entsteht Hoffnung, kann sich etwas verändern.
Mit einer Blanko-Version des Liedes auf YouTube versucht die Band den Kreis der Mitwirkenden virtuell zu erweitern. Wer mag, kann dort zu Begleitharmonien von « We pray » eine eigene Strophe texten und singen.
Gegen Resignation
Wir leben in einer Zeit, in der nie für möglich gehaltene Kriege begonnen werden, sich politische Gewichte zwischen den Grossmächten und in den westlichen Demokratien verschieben und die Folgen des Klimawandels an vielen Orten zur Bedrohung werden. Dies verunsichert und belastet viele Menschen, wie Umfragen zeigen. Dem hält Coldplay entschlossen sein « And so we pray » entgegen. Der Song schafft es, die Spannung zwischen Nüchternheit und Sentimentalität zu halten, er zeigt sich offen gegenüber einer grösseren Macht, ohne frömmlerisch zu wirken. So ermutigt er Menschen, betend zu ihren Sehnsüchten zu stehen und sich gemeinsam für eine geschwisterliche Welt einzusetzen.
Detlef Kissner, 7.1.25
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