Landeskirchen, andere Religionen und der Staat

Sollten neben den christlichen Konfessionen auch andere Religionsgemeinschaften den Status einer Landeskirche erhalten? Für Hans Peter Niederhäuser spricht aus heutiger Sicht nichts dafür. Der Religionswissenschaftler aus Weinfelden setzt sich aber dafür ein, dass ihnen ihr Platz in der Gesellschaft zugestanden wird. Er ist als Experte zu Gast beim nächsten Stammtischgespräch am 5. Februar (siehe Anhang).

Der Status «Landeskirche» ist mit gewissen Privilegien verbunden. Diese unterscheiden sich je nach Kanton. «Die umfangreichsten Privilegien werden in den Kantonen Bern und Zürich gewährt, wo Staatsgelder direkt in kirchliche Kassen fliessen», erläutert Hans Peter Niederhäuser. Im Thurgau können die beiden Landeskirchen ihre Steuern über den Staat einziehen und erhalten zudem Mittel aus Steuern juristischer Personen. Darüber hinaus sind Landeskirchen in den meisten Kantonen als öffentlich-rechtliche Einrichtungen anerkannt.

Und wie erleben diese Sonderstellung andere Religionsgemeinschaften? «Es gibt welche, die von der Gesellschaft her den Eindruck vermittelt bekommen, dass bei ihnen nicht einmal die Religionsfreiheit gewährleistet ist», sagt Niederhäuser. Als Beispiel führt er das in der Bundesverfassung verankerte Verbot an, Minarette zu bauen. Es gebe noch andere «Nahtstellen» wie z. B. die Schule oder das Bestattungswesen, an denen Religionsgemeinschaften sich benachteiligt fühlten und eine gewisse Spannung zum Staat erleben würden: «Als Moslem kann ich mich nicht auf dem Friedhof von Weinfelden bestatten lassen, da dieser nur christlichen Bedürfnissen Rechnung trägt.»

Rechte und Pflichten

Sollte man diese Ungleichbehandlung beseitigen, indem man grössere Religionsgemeinschaften ebenfalls zu Landeskirchen erhebt? Für Hans Peter Niederhäuser spricht nichts für diesen Schritt: «Die evangelische und katholische Landeskirche leisten aus geschichtlichen Gründen einen Beitrag, den andere nicht einmal annähernd so erbringen könnten.» Er führt in diesem Zusammenhang das soziale Engagement der Kirchen an und ihre Leistungen in den Bereichen Bildung, Denkmalpflege und Kunst. Diese Einschätzung gelte zumindest für den Moment, in 50 Jahren könne dies anders aussehen.

Dennoch sieht Niederhäuser die Gesellschaft in der Pflicht, anderen Religionsgemeinschaften einen Platz einzuräumen, der es ihnen ermöglicht, sich offen zu zeigen: «Wo Religionen abgedrängt werden, besteht die Gefahr, dass sie sich radikalisieren. Wenn sie hingegen mehr Rechte erhalten, können sie auch mehr in die Pflicht genommen werden.» Die katholische Kirche ist für ihn ein gutes Beispiel: Obwohl sie einem hierarchischen Rechtssystem verpflichtet ist, war und ist sie in ihrer Rolle als Landeskirche immer wieder heraus - gefordert, demokratisch zu funktionieren.

Religionsplurale Gesellschaft

In unserer Gesellschaft sind Menschen mit unterschiedlichen Religionen beheimatet. Deshalb ist für Hans Peter Niederhäuser klar: «Wir müssen beginnen, pluralistischer zu denken.» Er sieht die Landeskirchen dabei in einer besonderen Pflicht. Sie hätten die Aufgabe, in den Dialog mit anderen Religionen zu treten und dabei eine dialogische Theologie zu entwickeln, um Frieden zu ermöglichen und das Zusammenleben positiv zu beeinflussen. Dieser Pflicht kämen sie noch zu wenig nach. Er bedauert es, dass sich manche Leitungspersonen in den Kirchen nur ihrer Kerngemeinde zuwenden und dabei die ganzen «unsichtbaren Steuerzahler» vernachlässigen, Menschen, die der Kirche aufgrund ihrer sozialen oder kulturellen Ausrichtung trotzdem nahe - stehen. Damit einher geht seiner Ansicht nach das Versäumnis der Kirchen, eine Sprache zu entwickeln und zu pflegen, in der sich der moderne Glauben wiederfindet: «Die Kirchen haben ihre theologischen Hausaufgaben nicht gemacht.» Eine zeitgemässe theologische Sprache erleichtere auch den Dialog unter den Religionen. Ratlos sieht sich Hans Peter Niederhäuser dem Phänomen Fundamentalismus gegenüber, das sich in Gesellschaft und Religion breitmacht. Auch wenn es keine einfachen Rezepte gebe, hätten Staat und Religionen die Aufgabe, dieser polarisierenden Grundhaltung entgegenzutreten.

Detlef Kissner (28.1.20)


Stammtischgespräch

Dr. Hans Peter Niederhäuser wird am 5. Februar, 20 Uhr, in das Thema «Die Landeskirchen im Spannungsfeld der Religionen – Privilegien für die einen, eingeschränkte Religionsfreiheit für die anderen» einführen und darüber mit den Anwesenden ins Gespräch kommen. Nähere Infos auf Seite 14 und unter www.keb.kath-tg.ch 


 

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Der evangelische Theologe Hans Peter Niederhäuser plädiert für den Dialog unter den Religionen.

Bild: Detlef Kissner

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