Einsatz für Erneuerung der Kirche
Die Vorstudie zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche der Schweiz hat in St. Gallen zur Bewegung Reformen jetzt geführt. Diese rief in der Zeitung mit einem Inserat zu einer Art Trauer- und Protestfeier am 18. September 2023 in der Kathedrale auf. Etwa 500 Menschen folgten dem Aufruf. Parallel dazu entwickelte Reformen jetzt konkrete Vorstösse zuhanden der Kirchenleitung. Gut 2'800 Menschen schweizweit haben bis jetzt den Aufruf für Reformen unterschrieben. forumKirche hat mit Ann-Katrin Gässlein gesprochen. Sie ist Theologin bei der Citypastoral der katholischen Kirche im Lebensraum St. Gallen und in der Steuerungsgruppe von Reformen jetzt.
Was war die Motivation für die Bewegung?
Es waren Seelsorgende und weitere kirchliche Mitarbeitende, die in St. Gallen direkt nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie zusammensassen. Wir überlegten, ein grosses Inserat zu veröffentlichen, auf welchem wir unsere Überzeugung und Forderung nach einem Kulturwandel ausdrücken konnten. Als gefragt wurde, wer sich mit öffentlicher Unterschrift anschliessen möchte, war ich dabei. Gleich danach tauchte die Frage auf: Reicht es, wenn wir öffentlich unsere Betroffenheit bekunden? Was tun wir, um einen Kulturwandel auch Realität werden zu lassen?
Wie war die Feier in der Kathedrale?
In der Feier kamen verschiedene Stimmen zu Wort. Einige Menschen meldeten sich mit konkreten kirchenpolitischen Ideen, andere wollten ihren Protest äussern, wieder anderen war wichtig, dass wir in dieser Situation den Zusammenhalt nicht verlieren – dass wir uns in der Krise auf unseren Glauben als Fundament besinnen und aus diesem Kraft schöpfen.
Haben Sie mit diesem grossen Echo gerechnet?
Die Betroffenheit, die in dieser Feier zu spüren war, hat mich selbst überrascht. Es war eine Feier ohne Klerikalismus – jede und jeder konnte sich äussern, Wut, Trauer, Betroffenheit ausdrücken. Die Kathedrale war dafür der richtige Ort, weil sich von dort der christliche Glaube in der Ostschweiz verbreitet hat. Allerdings: Nach fünf Monaten ist Zeit vergangen, Luft entwichen, Gras gewachsen. Viele Menschen sind aus der Kirche ausgetreten, kirchliche Mitarbeitende haben sich auf ihr bewährtes Feld zurückgezogen, andere sind erschöpft.
Sie haben vier Reformvorstösse eingereicht: zur Bischofswahl, zur Trauung, zum Privatleben und zum Zölibat/zur Laisierung. Welcher Vorstoss folgt als Nächstes?
Diese Reformvorstösse gehen auf Initiativen von freiwillig Engagierten oder kirchlichen Mitarbeitenden zurück. Wir haben sie aufgegriffen und ausgearbeitet. Bis Pfingsten möchten wir zwei weitere Vorstösse einreichen: den «Segen für rituelle Gestaltungsfreiheit in der Begleitung von Kranken und Sterbenden» sowie eine «Neubewertung der Weihe mit Blick auf Frauen». Uns scheint wichtig, die Erfahrungen aus der Schweizer Kirche deutlich zu machen. Wenn die Weltsynode der Bischöfe im Herbst zusammenkommt und darüber nachdenkt, irgendwann in Zukunft eine Diakonatsweihe für Frauen auszugestalten, muss das für die Seelsorgerinnen in der Schweiz ein echter Fortschritt sein.
Interview: Béatrice Eigenmann, forumKirche, 26.03.2024
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