Bilanz des Krisentreffens gegen Missbrauch
Anfänglich übergrosse Erwartungen an das Gipfeltreffen in Rom zu Missbrauch und Kinderschutz in der katholischen Kirche waren zuletzt arg heruntergeschraubt worden. Das Ziel des Papstes, «nur» ein gleiches Bewusstsein für den Skandal des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen zu schaffen, stiess bei nicht wenigen auf Empörung.
«Das ist ein weltweites Problem! Welchem Bischof muss das noch erklärt werden?», so Denise Buchanan aus Jamaika. Als eine Vertreterin des internationalen Netzwerks Ending Clergy Abuse demonstrierte sie mit bis zu 40 weiteren Betroffenen auf den Plätzen rund um den Vatikan für «Null Toleranz» in Sachen Missbrauch. Vier Tage lang hörten die 190 Bischöfe und Ordensobere Zeugnisse von Opfern, lauschten Referaten, berieten in Arbeitsgruppen, bekannten in einem Bussgottesdienst das Versagen der Kirche und hörten eine Grundsatzrede des Papstes.
Seltsames Timing
Dass erst drei Stunden nach Ende des Treffens der Vatikan weitere konkrete Schritte bekanntgab, kam für die Teilnehmer so überraschend wie für die Öffentlichkeit. Erwartet worden waren sie bereits in der Schlussrede des Papstes, Platz darin wäre gewesen. Die Reaktionen von Betroffenen-Verbänden zu Papstrede und angekündigten Massnahmen zeugen von Enttäuschung. Dennoch lassen sich rückblickend verschiedene Ergebnisse des Treffens festhalten: Es galt, gemeinsame existenzielle Betroffenheit zu wecken. Nur dann kann der Kampf gegen Missbrauch zu einem «Herzensanliegen» werden, wie Hans Zollner, Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission, es fordert. Am Ende sieht Zollner, sichtlich übermüdet, dieses für ihn wichtigste Ziel erfüllt.
Schauerliche Zeugnisse
Ausserdem kamen Opfer zu Wort. Als eine rund 50-jährige Frau den Kirchenoberen ausführlich berichtet, wie ein Priester sie als Kind über fünf Jahre hinweg vergewaltigte, sie zu drei Abtreibungen zwang und den Rest ihres Lebens zerstörte, war dies einer der bedrückendsten Momente des Treffens. «Dieser Gipfel hat uns wirklich verändert. Da ist etwas mit uns passiert in dieser Aula!», sagt die nigerianische Ordensobere Veronica Openibo. Nach dem 24. Februar 2019 jedenfalls kann keiner mehr behaupten, er habe den Schuss nicht gehört. Dass auch der Papst erst spät viel dazugelernt hat, wurde in der Aula auch thematisiert, von Schwester Veronica wie auch der mexikanischen Journalistin Valentina Alazraki. Überhaupt werteten Beobachter wie Teilnehmer der Konferenz die Referate dieser beiden Frauen als die stärksten.
Ein zweites Element war die wiederholte Forderung, bestehende Regelungen konsequent anzuwenden – inklusive der Verpflichtung, mit staatlichen Stellen zu kooperieren. Wer von den Bischöfen da bisher unsicher war, soll in Kürze einen Leitfaden erhalten, der Schritt für Schritt erläutert, wie bei Missbrauchsverdacht sowie Prävention vorzugehen ist.
Das «Päpstliche Geheimnis» hinterfragen
Weiterreichend ist die Forderung von Kardinal Marx, das «Päpstliche Geheimnis» bei Missbrauchsermittlungen nicht mehr gelten zu lassen. Eine Kontrolle von Bischöfen durch Metropolitan-Erzbischöfe oder gemischt besetzte Aufsichts- und Beratungskommissionen sind weitere Vorschläge. Generaloberin Openibo verlangt eine radikale Reform der Ausbildung von Priester- und Ordensnachwuchs.
Die vielzitierten Begriffe Zölibat und Homosexualität fallen zwar hier und da, sind aber kein bestimmendes Thema. Weder das eine noch das andere stehe in direktem Zusammenhang mit Missbrauch, betonen Teilnehmer. Schliesslich sollte das Treffen Mut machen, sich dem Thema zu stellen. Etliche Bischöfe seien wie gelähmt, wenn sie damit konfrontiert werden, so Erzbischof Scicluna. Hinzu kommen Länder, in denen Behörden das Thema Missbrauch zur Verfolgung der Kirche ausnutzen.
Schwarze Tupfer
Die Aussenwirkung des Treffens indes erlitt einige Stolperer. Ohne sie wäre das Treffen wohl wirksamer und glaubwürdiger gewesen. So durften Opfer-Verbände nur am Rande des Treffens auftreten. Eine kurze persönliche Begegnung mit Franziskus, ein kurzes Statement vor der Vollversammlung hätten Gemüter beruhigt.
Was das veränderte Bewusstsein bewirkt, muss sich nun ganz konkret vor Ort zeigen – in den Bistümern, Ordensgemeinschaften, Pfarreien, Schulen – und in der Kurie selber. Ein angekündigtes Motu Proprio (apostolisches Schreiben des Papstes) etwa ist angeblich seit zwei Jahren so gut wie fertig. Es beinhaltet nichts anderes als jene Richtlinien, die die Bischofskonferenzen weltweit längst haben fertigstellen müssen, dieses Mal für den Vatikanstaat und das Bistum Rom.
Roland Juchem/Red., 11.03.2019
Ergänzung
Prävention gefördert
Massnahmen gegen sexuelle Übergriffe
Im Anschluss an die vatikanische Konferenz zum Schutz von Minderjährigen und im Nachgang an die am 27. Februar durch die Schweizer Bischofskonferenz verschärften Richtlinien gegen sexuelle Übergriffe informieren die Diözesen St. Gallen und Basel über ihre Präventionsmassnahmen.
Seit Anfang der 2000er-Jahre haben die beiden Diözesen strukturelle Massnahmen gegen sexuelle Übergriffe implementiert und weiterentwickelt. Dazu gehören die Bildung von Fachgremien gegen sexuelle Übergriffe; die Etablierung eines Melde- und Beratungsprozesses; Durchführung von obligatorischen Kursen für einen professionellen Umgang mit Nähe und Distanz mit Studierenden RPI, Berufseinsteigern und Seelsorgenden; Strafregisterauszug/Sonderprivatauszug und Selbstverpflichtung als Anstellungsbedingungen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit und die Einführung eines Genugtuungsfonds erfolgten auf gesamtschweizerischer Ebene. In den letzten Jahren wurden kaum mehr neue Übergriffe gemeldet. Das Ziel bleibt «0-Fälle».
Ab 28. Februar wird eine Neuauflage der Richtlinien mit Selbstverpflichtung von den Bistümern in Zusammenarbeit mit den Landeskirchen gesamtschweizerisch angewendet.
Hansruedi Huber, Bistum Basel/Red.
Missbrauchsopfer demonstrieren während des Anti-Missbrauchsgipfels in Rom.
Bild: KNA
Medienmitteilung Bistum Basel
«Es bleibt noch sehr viel zu tun»
Stellungnahme von Dominik Diezi vom 27.02.2019
Die Gewaltenteilung und die Gerichtsbarkeit für die Verwaltung einführen – den Klerikalismus aufbrechen und dafür die Sexualmoral überdenken: Das sind laut Dominik Diezi nötige Schritte «auf dem Weg zu einer Kirche, die wieder glaubwürdig ist». Der Präsident der Synode der katholischen Landeskirche Thurgau äussert seine Einschätzung zum «Bischofstreffen zu Missbrauch und Kinderschutz» vom 21. bis 24.02.2019 in Rom.
Aus Sicht der Thurgauer Synode ist es sehr erfreulich, dass unser Diözesanbischof die Anliegen unserer Resolution in Rom eingebracht hat. Er hat die Synode wirklich ernst genommen. Das hat sich schon im gemeinsamen Gespräch gezeigt, als wir ihm die Resolution im Vorfeld der Bischofskonferenz persönlich übergeben durften.
Die Opfer im Fokus
Die Römer Ergebnisse lösen bei mir gemischte Gefühle aus. Erfreulich ist, dass die Missbrauchsproblematik nun von der Weltkirche in ihrer ganzen Breite als dringendes Problem wahrgenommen wird. Die Bereitschaft der Bischöfe, alles vorzukehren, um Missbrauchsfälle in Zukunft zu verhindern, erscheint glaubwürdig. Positiv zu werten ist auch der Umstand, dass der Fokus nun klar auf den Opfern liegt, denen man alle erdenklich Hilfe zukommen lassen will. Die Täter werden als das bezeichnet, was sie sind: Schreckliche Verbrecher.
Macht teilen, Sexualmoral überdenken
Bei der Beseitigung der strukturellen Ursachen des Missbrauchsskandals kann ich noch keine wirklichen Fortschritte erkennen. Um den eklatanten Machtmissbrauch der Vergangenheit in Zukunft wirksam zu bekämpfen, bräuchte es dringend Schritte in Richtung Gewaltenteilung. Vordringlich wäre auch eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, die diesen Namen verdient. Weiter wäre es an der Zeit, die geltende Sexualmoral grundlegend zu überdenken. Solange die sexuelle Enthaltsamkeit tendenziell höher bewertet wird als ein erfülltes Sexualleben, wird sich am Pflichtzölibat und auch an der Rolle der Frauen in der Kirche wohl nichts ändern. Das Machtgefälle zwischen dem zölibatär lebenden Klerus und den gewöhnlichen Gläubigen bleibt so bestehen.
Risikofaktor Zölibat
Gerade der übersteigerte Klerikalismus scheint mir eine der Hauptursachen der Missbrauchsfälle zu sein. Etliche der zölibatär lebenden Männer sind mit der freiwillig gewählten Lebensform zudem überfordert und finden in der Kirche in ihren sexuellen Nöten nur bedingt Gesprächspartner. Das ist ein grosser Risikofaktor, der dringend beseitigt werden sollte. Gesamtfazit: Die Römer Bischofskonferenz ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer Kirche, die wieder glaubwürdig ist. Aber es bleibt noch sehr viel zu tun. Und die Zeit drängt.
Dominik Diezi/Red.
Synodalpräsident Dominik Diezi
Bild: zVg
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