Zur Abstimmung «Ehe für alle»

Am 26. September wird in der Schweiz über die «Ehe für alle» abgestimmt. Kontrovers diskutiert wird dabei vor allem die Kinderfrage. Denn künftig sollen gleichgeschlechtliche Ehepaare auch gemeinsam Kinder adoptieren können und lesbische Paare zudem Zugang zur Samenspende erhalten. Die evangelische Theologin Christina Aus der Au, die an der Pädagogischen Hochschule Thurgau als Dozentin für Religion, Ethik und Politik tätig ist, nimmt dazu Stellung. 

Kurz vor der Abstimmung in einigen Wochen geht die Stimmungsmache in beiden Lagern – bei Befürwortern der Initiative wie auch bei den Gegnern – in die entscheidende Phase. Vieles deutet beim jetzigen Stand der Dinge darauf hin, dass die Initiative «Ehe für alle» vermutlich angenommen wird. Doch was bedeutet das genau für bestimmte Personengruppen, für den Familienbegriff und das künftige Kindeswohl, die Fortpflanzungsmedizin und vor allem für die gegensätzlichen Einstellungen dazu, sowohl in der reformierten wie auch in der katholischen Kirche? 

Benachteiligungen aufheben

Ende August war in der Sonntagszeitung zu lesen, dass sich eine Annahme der Initiative negativ auf Alleinerziehende auswirken würde. Diese wären rechtlich noch stärker benachteiligt, da bei einem Ja zur «Ehe für alle» mehr Menschen von den Vorteilen einer Ehe profitieren würden, die ihnen verwehrt bleiben. Doch liegt das Problem wirklich bei der Forderung für eine «Ehe für alle»? Oder sollten im Zuge einer Vorlage, welche die Gleichstellung im Blick hat, nicht besser grundsätzlich Privilegien abgeschafft und überall die gleichen gesetzlichen Regelungen eingeführt werden? «Natürlich. Benachteiligungen, egal in welcher Form, gehören aufgehoben. Der Begriff Familie wird meist zu eng gefasst. Alleinerziehende, Hetero- oder gleichgeschlechtliche Paare, mit Adoptivkindern, Pflegekindern oder auch ganz ohne Kinder, Patchwork-Familien, aber auch Erwachsene, die sich um ihre Eltern kümmern – all das ist Familie. Und überall dort, wo zwei Menschen verantwortungsbewusst, langfristig und nachhaltig füreinander sorgen wollen, sollen sie gleichgestellt sein», erklärt die evangelische Theologin Christina Aus der Au. 

Pulverfass Samenspende

Am meisten gehen die Meinungen derzeit auseinander, wenn es um die Öffnung der Samenspende für lesbische Paare geht, die mit der «Ehe für alle»-Vorlage verknüpft wurde. Gleiches Recht für alle würde im Umkehrschluss auch bedeuten, die Samenspende in der Schweiz mit Eintrag ins Samenspende-Register nicht nur Heteropaaren zugänglich zu machen, für die diese Möglichkeit schon seit 2001 besteht. Oder etwa nicht? «Wenn man Ja sagt zur Ehe, dann sagt man Ja zu allen Rechten und Pflichten, die Ehepaare haben. Ganz oder gar nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei einer Annahme der Initiative die Samenbanken von Frauenpaaren überrannt werden. Ich bin aber skeptisch, ob der Zugang zur Samenspende nicht Tür und Tor für andere Forderungen im Bereich der Fortpflanzungsmedizin öffnet, wie beispielsweise Eizellenspende oder Leihmutterschaft – beides in der Schweiz noch verboten. Deswegen finde ich eine Diskussion darüber wichtig, ob es tatsächlich so etwas wie ein Grundrecht auf ein Kind gibt, ganz unabhängig davon, ob die Eltern hetero- oder homosexuell sind», meint Christina Aus der Au. Und wie sieht es aus mit der männlichen Bezugsperson? Wird den Kindern von Frauenpaaren diese wirklich vorenthalten? «Nein, dieses Argument könnte man bei alleinerziehenden Müttern ja auch ins Feld führen. Es ist wichtig, dass ein Kind unterschiedliche Bezugspersonen hat und das ist ja fast immer der Fall durch das persönliche Umfeld, die Familie und den Freundeskreis. Hinzu kommt, dass auch ein lesbisches Paar aus zwei Menschen besteht, die verschiedene Facetten haben». 

Reaktion der Kirchen

Die Meinungen gehen nicht nur zwischen den Konfessionen, sondern auch innerhalb der eigenen Reihen auseinander. Die Evangelisch-reformierte Kirche sprach sich für die «Ehe für alle» aus, die Schweizerische Bischofskonferenz (SBK) dagegen. Wichtig sei, so Christina Aus der Au, dass auch bei einer Annahme der Initiative künftig keine Pfarrperson dazu gezwungen werde, ein gleichgeschlechtliches Paar zu trauen, wenn dies gegen ihr*sein Gewissen und Bibelverständnis spreche. Aber die Theologin selber sieht in der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare weder eine Herabsetzung der Institution Ehe, noch eine Bedrohung der klassischen Kernfamilie: «Für mich geht es in einer Ehe in erster Linie um die Haltung zueinander und in einer Familie um die Beziehungsqualität».

Sarah Stutte, forumKirche, 13.9.21


Positionspapier SBK: www.bischoefe.ch/ehe-fuer-alle/
Positionspapier EKS: www.evref.ch/wp-content/uploads/2021/07/EKS_Ausweitung-Ehe-fuer-gleichgeschlechtliche-Paare_2021-07-07.pdf

 

Christina Aus der Au
Quelle: zVg
Christina Aus der Au wird im Juni 2022 ihr Amt als Kirchenratspräsidentin der Evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau antreten. Sie wohnt in Frauenfeld.

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