Bischof Felix Gmür über Schilderungen von Missbrauchsbetroffenen

Klaus Gasperi vom Pfarreiblatt Uri Schwyz und Veronika Jehle vom forum Pfarrblatt Zürich haben Bischof Felix Gmür ein knappes Jahr nach der Präsentation der Missbrauchsstudie zum Gespräch über bisher umgesetzte Massnahmen, den Stand der kanonischen Voruntersuchung durch Bischof Joseph Maria Bonnemain und Erwartungen an die Synode getroffen. 
   
Bischof Felix, wann waren Sie das letzte Mal euphorisch ?
Euphorisch ? Als nach dem vielen Regen im Juli wieder die Sonne schien.

Was freut Sie gerade in der Kirche ?
Dass es mit der Synode eine grosse Dynamik gibt.

Seit der Präsentation der Missbrauchsstudie ist ein Jahr vergangen. Was waren damals Ihre Gedanken ?
Es ist sehr schlimm, was da alles passiert ist, und zwar wegen der betroffenen Menschen, weil da so viel Vertrauen missbraucht wurde. Wir müssen das erstens aufarbeiten und uns dem Leid der Betroffenen stellen. Und zweitens müssen wir alle nur möglichen Schritte unternehmen, damit das nicht wieder vorkommen kann.

Welche Massnahmen konnten Sie inzwischen umsetzen ? Welche Fortschritte wurden erreicht ?
Wir haben fünf Massnahmen beschlossen. Erstens geht es um die professionelle Opferberatung. Da sind wir mit den kantonalen Opferberatungsstellen in Kontakt. Wir sind dabei, das zu finalisieren. Das erfordert viel Kommunikation. Anfang 2025 gibt es dazu Informationen. Es geht darum, dass es in allen Sprachregionen wirklich unabhängige Anlaufstellen gibt. Diese Stellen sind für die Betroffenen und für Angehörige. Die Meldungen werden weiterhin in den jeweiligen Bistümern, Landeskirchen oder Ordensgemeinschaften bearbeitet, wenn die betroffenen Personen das wollen. Eine Person hat auch das Recht, dass es zu keiner Anzeige kommt, wenn sie das wünscht. Die staatlichen Opferberatungsstellen sind die einzigen Stellen, die keine Anzeigepflicht haben – kirchliche und andere staatliche Stellen hingegen schon. Das garantiert den Betroffenen absolute Unabhängigkeit.
Zweitens geht es um die psychologische Abklärung künftiger Seelsorgerinnen und Seelsorger. Da arbeiten wir mit einer Stelle zusammen, die Assessments macht für Kaderleute. Hier müssen wir noch abklären, was die speziellen Erfordernisse im kirchlichen Bereich sind. Ich rechne damit, dass diese Massnahme auf das Studienjahr 2025/2026 eingeführt werden kann. Auch das ist komplex, denn die Abklärung ist sehr unterschiedlich, je nachdem, ob es um jüngere oder ältere Bewerberinnen und Bewerber geht. Wichtig ist für uns : Erst wenn die Qualität passt, kann die Massnahme umgesetzt werden.

Drittens haben wir bei den Personal­dossiers klare Standards eingeführt. Da geht es auch darum, dass Schulungen entwickelt werden können. Es geht ja nicht nur um die Personaldossiers in den Bistümern, auch jede Kirchgemeinde hat ihre Unterlagen. Die Selbstverpflichtung, keine Akten zu vernichten, die mit Miss­brauch zu tun haben, haben inzwischen alle Bistümer, die Pfarreien, fast alle Landeskirchen und die Ordensgemeinschaften unterschrieben.

Viertens : Beim Strafgericht – ich war ja mit Bischof Joseph Maria beim Papst – warten wir noch auf die Antwort aus Rom, dann können wir das designen.

Und fünftens : Die weiterführende Forschung bis 2026 haben wir auch beschlossen. Es geht etwas weiter, und zwar kontinuierlich. Wenn Verbände und andere Institutionen beteiligt sind, dann muss man eben immer wieder auf Antwort und Fortschritte warten und das dauert seine Zeit.

Und im Bistum Basel ? Was hat sich hier verändert ?
Wir haben die Behandlung der Meldungen von Missbrauchsvorwürfen vereinheitlicht und standardisiert. Jede Meldung geht an eine externe unabhängige Koordinations­person. Wenn zum Beispiel eine Pastoral­raumleiterin uns etwas meldet, leiten wir das sofort weiter. Auch die Forschenden haben jederzeit Zugriff auf diese Unterlagen, und die Ergebnisse werden regelmässig kommuniziert. Bei den neueren Fällen gibt es glücklicherweise keine sehr schlimmen Übergriffe. Bei einer Vergewaltigung, das ist ja klar, da geht man zur Polizei. Das hatten wir Gott sei Dank bei den neueren Meldungen nicht mehr.

Da geschieht also sehr viel. Gleichzeitig passieren immer wieder Fälle wie die Verhaftung eines Tessiner Jugend­seel­sorgers Anfang August. Obwohl das Bistum mit den Behörden voll kooperiert, entsteht der Eindruck : Schon wieder Missbrauch in der Kirche! Ist das nicht ein Kampf gegen Windmühlen ?
Das ist eine Katastrophe. Der Administrator Bischof Alain de Raemy war wirklich schockiert – es sind alle schockiert. Zugleich habe ich gelesen, dass in der Ostschweiz ein Lehrer mit einer 15-jährigen Schülerin in die Ferien fährt. Wie kann das heute noch passieren ? Ich kann auch nicht die Hand ins Feuer legen, dass nichts passiert. Das kann ich nicht. Die Menschen sind, wie sie sind. Aber wenn etwas passiert und wir erfahren davon, dann wird sofort Anzeige erstattet, und das funktioniert gut.

Wie haben Sie den Kontakt mit Missbrauchsbetroffenen erlebt ?
Die ganze Bischofskonferenz hatte Kontakt mit den Vertretungen der Betroffenen. Das hat wirklich die Wahrnehmung verändert. Die Schilderungen einer betroffenen Person machen auch mich als Zuhörer zu einer Art Mitbetroffenem. Das hat alle sehr mitgenommen. Auch im Basler Bischofsrat hatten wir einen Austausch mit Betroffenenorganisationen. Die Leute aus dem Bischofsrat haben damals in Delsberg nach Worten gerungen, um ihrer Trauer, ihrer Wut und ihrer Betroffenheit Ausdruck zu verleihen. Das Verbrechen bekommt ein Gesicht, wenn man mit Betroffenen redet. Und das verändert, indem man besser wahrnehmen kann, was das in diesen Leuten zerstört hat, auch wenn man das nie richtig nachvollziehen kann. Aber ich kann etwas von der tiefen Verletzung spüren.

Und diese Verletzung wird jetzt auf allen Ebenen herangelassen.
Es wird zugelassen. Und das inspiriert auch zum Handeln. Aber es ist auch schwierig, solche Geschichten zu hören, das sagen auch die Juristen. Das lässt einen nicht kalt. Ich nehme an, dass es Staatsanwälten ähnlich geht. Wir kennen das aus der Seelsorge, dass einen Einzelschicksale sehr mitnehmen können.
Bischof Joseph Maria Bonnemain hat Anfang des Jahres die Ergebnisse einer kanonischen Voruntersuchung an das Dikasterium für die Bischöfe in Rom eingereicht. Es ging dabei um Vorwürfe gegen emeritierte und amtierende Mit­glieder der Schweizer Bischofskonferenz, nicht adäquat mit Fällen sexuellen Miss­brauchs umgegangen zu sein. Was ist der Stand der Dinge ?
Zuständig ist das Dikasterium für die Bischöfe – und ich weiss nichts. Ich habe gestern noch Bischof Bonnemain gefragt – er weiss auch nichts. 

An wen wird die Antwort gehen ?
Auch das wissen wir nicht. Sicher wird die Antwort an jene gehen, gegen die sich die Vorwürfe richten. 

Das mutmassen Sie jetzt ?
Ja, ich nehme es an. Und ich nehme an, dass die Antwort über die Nuntiatur kommen wird. Ich hoffe ausserdem, dass die eingehende Antwort dann gerade alle untersuchten Fälle behandeln wird. Ich habe selbst nach Rom geschrieben und gesagt : Wir brauchen jetzt die Resultate.

Sie haben in Rom nachgehakt ?
Ja, als Präsident der Bischofskonferenz habe ich Ende Juni in dieser Sache nach Rom geschrieben.

Haben Sie Antwort erhalten ?
Nein, es kam noch keine Antwort. Sie sind jetzt aber auch in den Ferien. Aber sie wissen es. Sie haben eben auch viele, viele Akten zu bearbeiten.

Sobald die Antwort da ist : Wird sie öffentlich gemacht ?
Das wird sicher öffentlich gemacht.

Von wem ?
Das weiss ich nicht. Es ist das im Grunde auch keine Angelegenheit der Bischofskonferenz. Aber es ist für mich klar, dass es kommuniziert werden muss. Die Menschen warten darauf, sie haben auch ein Recht sowie ein Interesse zu wissen : War da jetzt etwas oder war da nichts?

Falls keine Antwort kommt, würden Sie nochmals nachhaken ?
Ich bin im Oktober in Rom, da könnte ich nachhaken. Ich weiss vom zuständigen Erzbischof, dass in seinem Dikasterium genau gearbeitet wird. Das finde ich korrekt so. Das braucht eben auch seine Zeit.

Welche Erwartungen haben Sie an die Synode in Rom ?
Ich habe die Erwartung, dass die Kirche merkt : Wir haben den gemeinsamen Auftrag, die Hoffnung von Jesus Christus in diese Welt zu tragen und die Leute zu unterstützen, ein würdiges und gutes Leben zu führen – in Geschwisterlichkeit und Frieden. Dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen. Gleichzeitig hoffe ich, dass es für manche Fragen dezentrale Lösungen gibt. Im Bistum Basel ist es für Theologinnen und Theologen normal, dass sie in einer Eucharistiefeier die Predigt halten können. In anderen Bistümern ist das nicht vorgesehen. Für uns ist das aber wichtig, dass man anerkennt : Es haben nicht alle dieselben Themen.

Es ist schön, dass Sie die Laienpredigt verteidigen. Aber bräuchten wir angesichts des «Reformstaus » nicht grössere Schritte ?
Doch, die brauchen wir. Und die grösseren Schritte sind, dass einzelne Regionen manche Fragen selbst entscheiden können. Seit dem Konzil gibt es Ständige Diakone, manche Bischofskonferenzen haben das eingeführt, andere nicht. Da hat man also gesehen : Wenn es dem Glauben dient – das ist das Kriterium –, dann kann man das machen. Und wer das nicht will, der muss nicht. Das könnte man auch auf die Weihe von Diakoninnen anwenden, dass man unterschiedliche Wege in Einheit mit der ganzen Kirche geht.

Interview : Klaus Gasperi, Veronika Jehle, 18.9.24

Bischof Felix Gmür
Quelle: Christoph Wider

 

 

 

 

Bischof Felix Gmür
Quelle: Christoph Wider

 

Kommentare

+
Erich Häring

21.09.2024, 7:24

Ausführungen, die mich ratlos gemacht haben. Die redaktionelle Gestaltung, die Fragen und die Fotografien ebenso, wie die meisten Antworten von Bischof Gmür auch.
Bespiele: - was ist mit „ wir“ das Bischof Gmür öfters gebraucht, gemeint? Was versteht Bischof Gmür unter „gibt es glücklicherweise keine sehr schlimmen Übergriffe.“ Ich verstehe den Satz nicht: „.. dann können wir das designen.“ In welchem Verhältnis steht die Eingangsfrage zum Titel dieses Interviews und die Antwort von Bischof Gmür. Weiter Beispiele zähle ich nicht mehr auf. Inhaltlich und formal hätten meiner Meinung nach Klaus Gaspari und Veronika Jehle nachfragen sollen.
Erich Häring

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.