Hotline für gesprächsbedürftige ältere Menschen

Die Advents- und Weihnachtszeit ist für viele ein Aufsteller in den dunklen Monaten des Jahres. Gerade für ältere, alleinstehende Menschen kann sie aber ein Gefühl der Einsamkeit hervorrufen oder den Verlust des Partners, der Partnerin umso mehr verstärken. Dann hätten sie gerne jemanden zum Reden. Für diesen Fall gibt es das Angebot malreden

Zwei bis drei Mal täglich besucht Peter von Ballmoos das Grab seiner Frau – auch wenn es nur für ein paar Minuten ist. Er streichelt kurz den Grabstein und entfernt welke Blätter vom Grab. Am 24. November jährt sich der Todestag seiner Frau zum vierten Mal. Die beiden hatten ein inniges Verhältnis, seit sie sich 2009 auf einer Reise kennengelernt und später geheiratet hatten. Der 82-Jährige strotzt vor Energie und ist in vielen Vereinen aktiv. Er ist Büchernarr, kunstinteressiert und kehrte kürzlich von einer mehrtätigen Reise nach Dresden zurück, wo er wohl schon 50 Mal war. Wenn er durchs Städtchen Stein am Rhein marschiert, wird er immer wieder gegrüsst. Peter von Ballmoos vermisst seine Frau sehr, auch wenn er sich nicht einsam fühlt.

Wunsch nach Kontinuität
«Nach dem Tod meiner Frau brauchte ich Kraft, um diesen Verlust zu verarbeiten», erzählt er. Trost gab ihm sein Glaube und auch sein toller Freundes- und Bekanntenkreis. Aber er konnte nicht mit allen Menschen immer wieder über den Verlust seiner Frau reden. Deshalb wandte er sich an Die Dargebotene Hand, die Telefonseelsorge für Krisen und Alltagsprobleme. Während eines Jahres rief er immer wieder an, um sich auszusprechen. Da er jedes Mal eine andere Person am Draht hatte, fehlte ihm Kontinuität. Er fragte, ob es nicht ein Angebot gebe mit einem Rhythmus zum Reden, beispielsweise alle 14 Tage und immer mit derselben Person. So wurde er auf das Tandem-Angebot von malreden verwiesen. Seither erhält er wöchentlich einen Anruf von immer derselben freiwilligen Mitarbeiterin von malreden – seit etwa zwei Jahren. 

Bedürfnis nach Gespräch
Treibende Kraft hinter malreden ist Eve Bino, heute Co-Geschäftsleiterin. Sie hat als Physiotherapeutin immer wieder festgestellt, dass gerade ältere Menschen nur sie als Gesprächspartnerin hatten, einmal in der Woche. «Das hat mich stark beschäftigt», erzählt sie. So reifte in ihr die Idee, ein möglichst niederschwelliges Angebot aufzugleisen, damit Menschen einfach einmal reden können. «Ein Plaudertelefon», wie sie es schmunzelnd bezeichnet. Sie stiess in Deutschland auf den Verein Silbernetz. Dieser bietet eine Hotline an und das Tandem, wie es Peter von Ballmoos nutzt. Eve Bino nahm Kontakt auf und begann 2018, sich Gedanken zu machen, wie das Konzept von Silbernetz auf die Schweiz adaptiert werden könnte. Im Jahr 2019 stiess Sylviane Darbellay als weitere Initiantin und heutige Co-Geschäftsleiterin dazu. Die beiden Frauen ergänzen sich perfekt. In Anlehnung an den deutschen Verein haben die beiden Frauen ihren Verein Silbernetz Schweiz genannt. 

Gratis und anonym
Seit April 2021 ist die Hotline aufgeschaltet – täglich von 9 bis 20 Uhr. Es sind Freiwillige, die sich während drei bis sechs Stunden pro Woche für die Hotline zur Verfügung stellen oder einmal in der Woche einen Tandem-Gesprächspartner anrufen. Die Anrufe sind kostenlos, Anonymität ist gewährleistet. «Das Ziel eines Gespräches ist es, den Anrufenden die Möglichkeit zum Reden zu geben, sie im Gespräch zu begleiten, einen positiven Beziehungsmoment zu ermöglichen», erläutert Eve Bino. Sie weist darauf hin, dass sich in der Schweiz fast ein Drittel der Senior*innen manchmal bis häufig einsam fühlt. Das niederschwellige Angebot malreden soll diese Senior*innen ermuntern, einen ersten Schritt zu machen zur Kontaktaufnahme. «Allerdings sind wir keine Krisenintervention. Wir können auch nicht helfen bei gesundheitlichen Problemen. In solchen Fällen unterstützen wir die Anrufenden, indem wir ihnen passende Angebote vermitteln», sagt Eve Bino und zeigt damit die Grenzen von malreden auf. Wenn jemand Lust hat auf physischen Kontakt, liefern die Freiwilligen Ideen für Treffen – beispielsweise für einen Mittagstisch, der oft von Kirchgemeinden organisiert wird.

Geschult reden
«Solange die Kapazitäten dafür vorhanden sind, nehme ich das Tandem-Angebot gerne an», sagt Peter von Ballmoos. Er und seine Tandem-Gesprächspartnerin reden über alles, was in der Welt läuft, aber auch über private Themen. Die freiwilligen Mitarbeitenden werden durch einen Rekrutierungsprozess sorgfältig ausgewählt. Um möglichst adäquat auf verschiedene Situationen am Telefon reagieren zu können, werden sie vor ihrem ersten Einsatz während dreier Tage geschult. Diese Schulung wird durch eine Fachperson aus der systemischen Beratung durchgeführt. Den technischen und administrativen Teil übernimmt Eve Bino. Das Freiwilligenteam ist bunt gemischt, was Alter, Geschlecht und Interessen angeht. Der Anteil an Frauen überwiegt, und zunehmend engagieren sich Personen, die selbst pensioniert sind. «Die Durchmischung ist spannend, denn die Jüngeren haben eine andere Art, Leute zu motivieren», beschreibt Bino das Team. Um Freiwillige zu rekrutieren, schaltet sie immer wieder Stelleninserate auf Plattformen. Auf der Website von malreden können sich Interessierte ebenfalls für das Engagement anmelden. Auch die Seniorenuniversitäten verweisen auf das Angebot, denn es gilt in der ganzen Deutschschweiz. 

Dankbar fürs eigene Leben
Sophie L. (Name der Redaktion bekannt) leistet pro Woche drei Stunden Dienst für die Hotline von malreden. Einmal im Monat auch an einem Samstag oder Sonntag. Sie ist dankbar für ihr Leben, ihre Kinder und ihre Enkelkinder. Deshalb möchte sie der Gesellschaft etwas zurückgeben und meldete sich bei benevol Schweiz, der Dachorganisation für Freiwilligenarbeit. Da sie gerne Gespräche führt und sich für Menschen interessiert, hat sie sich für die Hotline von malreden entschieden. Seit einem halben Jahr führt sie mit Menschen, die anonym anrufen, Gespräche. Es gibt einige, die immer wieder anrufen, dann kann sie unter Umständen ans letzte Gespräch anknüpfen. «Ruft jemand an, den ich noch nie gehört habe, lasse ich mich ganz auf diese Person ein und höre zu», erzählt sie. Gemeinsam ist den meisten Anrufenden, dass sie einsam sind und allein leben. Es hat darunter auch einige Menschen, die krank sind und bedauern, dass sie dieses oder jenes nicht mehr tun können. Sophie L. bedeutet ihre Arbeit bei der Hotline sehr viel. Sie freut sich jedes Mal auf ihren Dienst. «Ich nehme am Leben dieser Menschen teil und habe sie gern.» 

Umgang mit schwierigen Situationen
Bereits an der Schulung hat Sophie L. mit ihren Kolleg*innen Telefonanrufe nachgestellt und sich so mit möglichen Anrufen vertraut machen können. Das fand sie sehr hilfreich. Sie hat auch gelernt, sich abzugrenzen, in erster Linie auf sich zu schauen. Die Freiwilligen erhalten drei Mal im Jahr eine Supervision und finden sich einmal einen Nachmittag lang zum Fachaustausch zusammen. Zudem besuchen sie zwei Mal im Jahr eine Weiterbildung. Die Anonymität der Anrufenden und der Mitarbeitenden von malreden erachtet Sophie L. grundsätzlich als positiv. Sie erleichtert den Anrufenden, über ihre Probleme zu reden. Manchmal können die Gespräche belastend sein. In solchen Fällen bespricht sie sich mit Mitarbeiterinnen des Teams der Geschäftsstelle von malreden. «Sie sind da für uns und helfen, wenn wir unsicher sind, ob wir uns richtig verhalten haben.» Beispielsweise, wenn sich ein redebedürftiger Mensch unverstanden fühlt und sagt, er wolle nie wieder anrufen – oder einfach aufhängt. «Dann gilt es, den Vorfall nicht persönlich zu nehmen. Jeder Mensch hat seine Gründe, sich so zu verhalten, wie er sich verhält. Das sind nicht meine Gründe, sondern die Gründe des Gegenübers», erläutert Eve Bino, wie mit schwierigen Gesprächen umzugehen ist. Die positiven Rückmeldungen überwiegen bei Weitem. Deshalb sind aus den ursprünglich etwa 100 Gesprächen pro Monat 600 geworden.

Intensives Tandem-Gespräch
Peter von Ballmoos erzählt, dass seine Tandem-Gesprächspartnerin öfter sage, sie lerne immer wieder etwas dazu im Gespräch mit ihm. Um Frustrationen beim Angebot des Tandems vorzubeugen, kümmert sich eine Koordinatorin um das Zusammenführen zweier Menschen. Sie führt mit der Person, die ein Gespräch auf regelmässiger Basis wünscht, ein Vorgespräch. Darin möchte die Koordinatorin die Person kennenlernen und herausfinden, worum es dieser geht mit den regelmässigen Tandem-Gesprächen und welche Interessen sie hat. Gemäss Eve Bino wird oft jemand mit Lebenserfahrung gewünscht, damit die gesprächswillige Person diese teilen kann. Die regelmässigen Anrufe sind für die Freiwilligen intensiv, da sie eine Beziehung aufbauen. Deshalb gibt es nur ganz wenige Freiwillige, die pro Woche zwei Gesprächswillige anrufen.
Peter von Ballmoos hat überhaupt kein Problem damit, dass er nicht weiss, wo seine Tandem-Gesprächspartnerin wohnt und wie sie aussieht. «Ich muss das nicht wissen», sagt er. «Es ist auch so eine Beziehung entstanden.» Er empfiehlt malreden allen Menschen, die reden wollen. «Das sind tolle, freundliche Leute. Mein wöchentliches Tandem-Gespräch ist das beste Medikament für meinen Seelenfrieden.»

Béatrice Eigenmann, forumKirche, 16.11.2023


www.malreden.ch; Hotline: 0800 890 890, täglich 9–20 Uhr

Peter von Ballmoos
Quelle: Béatrice Eigenmann
Seit dem Tod seiner Frau ist das wöchentliche Tandem-Gespräch für Peter von Ballmoos eine Wohltat.

 

 

Eve Bino (rechts) und Sylviane Darbelley
Quelle: zVg
Eve Bino (rechts) und Sylviane Darbelley führen gemeinsam die Geschäftsstelle von malreden.

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