Einordnung der Kurienreform aus Sicht des Kirchenrechts 

Adrian Loretan, Kirchenrechtler an der Universität Luzern, sieht in der Kurienreform, die Papst Franziskus am 19. März veröffentlicht hat, einen «Durchbruch». Wenn eine Frau das Staatssekretariat leiten kann, könnten Frauen auch Generalvikarin werden oder in einem Domkapitel sitzen.

Wie bewerten Sie die neue Vatikan-Verfassung?
Das ist ein Durchbruch. Dass ich den in dieser Schärfe und Klarheit erleben darf, ist etwas sehr Schönes. 

Worin sehen Sie den Durchbruch?
Der Vatikan hat endlich verstanden, dass bei Leitungsfragen die Kompetenz wichtiger ist als der Weihestatus. Bis auf wenige Ausnahmen können künftig Laien die Dikasterien leiten. Ab Pfingsten könnte eine Frau die Nummer Zwei im Vatikan werden und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin ablösen. Denn das Amt heisst nicht mehr Kardinalstaatssekretär, sondern Staatssekretär. Das bedeutet einen Kulturwandel und hat enorme Konsequenzen für die Personalauswahl.

Ist das eine Revolution, eine Reform, eine Reorganisation?
Für mich ganz klar eine Revolution. Wenn eine Frau das mächtige Staatssekretariat leiten darf, gibt es keinen Grund mehr, warum sie nicht auch Generalvikarin werden oder in einem Domkapitel sitzen darf. Das ist eine richtige Zeitenwende und hat auch Konsequenzen für die Ortskirchen - also auch für uns in der Schweiz. 

Muss Papst Franziskus nicht erst den Beweis liefern, dass er es ernst meint?
Klar, aber dafür hat er jetzt die rechtliche Grundlage geschaffen. Und so ein Kulturwandel kommt nicht von heute auf morgen. Aber das System kann sich Schritt für Schritt ändern. Für viele Kleriker in Rom wird das psychisch nicht einfach, diesen Schock zu verdauen. Natürlich werden sich einige querstellen.

Welcher Aspekt der Kurienreform erscheint Ihnen noch erwähnenswert?
Franziskus will eine klare Amtszeitbegrenzung bei den Klerikern. Er hat gemerkt, wie verfilzt der Vatikan ist. Dieser verschachtelte Machtapparat muss aufgebrochen werden. Von daher will er die Priester und Ordensleute nach zehn Jahren zurückschicken und auch so Macht-Blockaden brechen. Amtszeit-Begrenzung ist ein wichtiges rechtliches Instrument der Machtbegrenzung.

Könnten die Schweizer Bischöfe von Pfingsten an auch eine Generalvikarin ernennen?
Eigentlich schon, das Partikularrecht bietet hier Spielraum. Kardinal Marx macht es vor.

In München ist eine Frau Amtschefin, aber es gibt immer noch einen Generalvikar.
Momentan muss laut Kirchenrecht der Generalvikar ein Priester sein. Da kommt auch Kardinal Marx nicht dran vorbei. Aber Marx sagt: «Wie ich als Bischof mein Bistum organisiere, steht mir laut Ortskirchenrecht als Bischof zu». Von daher könnten auch hier die Schweizer Bischöfe vorangehen, einen Generalvikar ernennen – aber de facto eine Amtschefin mit den Leitungsaufgaben ausstatten. 

Was bedeutet die Kurienreform im Blick auf die Weihe von Frauen zu Diakoninnen oder Priesterinnen?
Dazu äussert sich der Gesetzestext nicht. Aber wir können den Kulturwandel nicht ignorieren, der gerade eingeleitet wird. Für die Anhänger von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. steht nach wie vor fest: Nur Männer können Priester werden und das ist auf immer und ewig so. Doch selbst der frühe Kurt Koch hat gesagt: Wenn das das einzige Argument ist, dann kann ein Konzil das ja auch verändern. Nur wird das lange dauern. Ich denke, jetzt passiert gerade ein wichtiger Zwischenschritt, auf den andere Schritte folgen werden.

Die Glaubenskongregation ist in der neuen Verfassung nur noch ein Dikasterium unter vielen. Wie bewerten Sie das?
Benedikt XVI. hatte diesen Schritt bewusst nicht gemacht. Franziskus setzt hier klar andere Akzente: Die Evangelisierung ist Chefsache und steht im Mittelpunkt. Aber auch bei der Auswahl von Bischöfen ist nicht nur auf die Vorschläge der Ortskirchen und der Nuntiaturen zu hören, sondern auch auf die Angehörigen des Bistums.

Was bedeutet die Kurienreform für den vatikanischen Diplomatendienst?
Wenn es eine Staatssekretärin gibt, dann gibt es keinen Grund, warum ein Nuntius unbedingt Erzbischof sein muss. Zu einer Weltfrauenkonferenz hat der Heilige Stuhl bereits eine Frau als Vatikan-Diplomatin geschickt. Hier könnte sich also auch viel tun. In der nachkonziliaren Gesetzgebung ist vieles relativ offen formuliert. Es lohnt sich jetzt, eine Relektüre der alten Texte vorzunehmen. 

Warum?
Gleiche Würde und gleiche Rechte sind im 20. Jahrhundert aufgrund der naturrechtlichen Tradition der Kirche eingeführt worden – unter anderem von Pius XII. im Jahr 1942 und im Zweiten Vatikanischen Konzil. Nun gilt es diese Anforderung auch im kirchlichen Recht umzusetzen. Die Kurienreform hat diesen Schritt begonnen.

Interview: Raphael Rauch/Red., 30.03.2022
 

Adrian Loretan
Quelle: zVg
Adrian Loretan (62) ist Professor für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.

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