Mit Madeleine Delbrêl «im Ewigen atmen»

Dass Christus in unserem banalen Alltag gegenwärtig ist, war für die Mystikerin und Sozialarbeiterin Madeleine Delbrêl eine tragende Gewissheit. Die sie dazu antrieb, diese Gegenwart täglich in kompromissloser Nächstenliebe zu verwirklichen.

Bevor Madeleine Delbrêl zum Glauben fand, war Religion für sie gar kein Thema. Als 17-Jährige schrieb sie: «Gott ist tot – es lebe der Tod. Gott war allmächtig. Jetzt wird der Tod mit allem und allen fertig.» Also stürzte sich die junge Frau, die an der Sorbonne Kunst und Philosophie studierte, ins pulsierende Paris der goldenen 1920er-Jahre. «Man verachtet die, die sich amüsieren. Ich amüsiere mich. Ich liebe es, zu tanzen, bis ich nicht mehr weiss, wo ich bin. Ich liebe schnelle Autos und Schmuck und ich liebe Musik. Alles Dinge, die ich auch wieder lassen könnte, ohne dass das ein Drama wäre.»
Sie galt sozusagen als «Tanzfüdli» von Paris, beschreibt die Seelsorgerin Hildegard Aepli die junge Madeleine Delbrêl. Doch dann kam alles anders. Denn wirklich: Sie konnte ihr Leben voller Vergnügen auch «lassen».

Hineingerissen ins Licht
Mehrere Ereignisse bereiten den Wandel vor. Die junge Madeleine verlobt sich mit einem jungen Mann. Der verlässt sie über Nacht, wortlos, aus heiterem Himmel und geht ins Kloster. Eine traumatische Erfahrung. Befreundete Christen stellen ihre Überzeugung, dass es keinen Gott gebe, in Frage. Und die wissensdurstige Studentin beginnt, sich mit dem Glauben zu beschäftigen: «Wenn ich aufrichtig sein wollte, durfte ich Gott nicht so behandeln, als ob er ganz gewiss nicht existierte. Ich entschloss mich zu beten. Es ist wahr: Man kann heute nicht mehr beten wie <früher>, es sei denn, man wäre in einem Kloster oder einer aussergewöhnlichen Lebenslage. Doch folgt daraus keinesfalls, dass man nicht mehr beten soll, man wird nur anders beten müssen und dieses <anders> gilt es zu entdecken.»
Diese Suche im Beten mündet bei Madeleine Delbrêl ganz unerwartet in die Gewissheit, dass Gott existiert – eine Erfahrung, die sie zeitlebens als überwältigende Umkehr empfand. Nach ihrem Tod fand man einen Zettel in ihrem Gebetbuch – darauf exakt das Datum der Bekehrung notiert: der 29. März 1924.

In der Armut unseres banalen Lebens
Zunächst überlegt Madeleine Delbrêl, ins Kloster zu gehen. Doch dann entdeckt sie, dass Jesus mitten unter den Menschen geblieben ist. Für ihn gehörten die Gottes- und die Nächstenliebe zusammen. So schrieb sie: «Jedem Menschen, dem man begegnet, die ganze Fülle der Liebe schenken; das ist das Tor zur Weite Gottes, das Tor, das sich geradewegs auf die universale Liebe hin öffnet.»
Da beschloss sie, mitten in der Welt zu leben, unter den Menschen und zugleich ganz bei Gott. Denn: «Die Nächstenliebe ist wie eine Brücke, die Gott und Mensch in einem einzigen Bogen verbindet. Dieser Bogen kann nicht aufgeteilt werden. Er ist eine Einheit, wie eine Hin- und Rückfahrkarte.»
Madeleine Delbrêl wagt etwas gänzlich Neues: Sie wird Sozialarbeiterin und geht in einen Pariser Vorort, in das kommunistisch regierte Ivry. Fortan lebt sie mit einigen Gleichgesinnten ohne Gelübde und ohne Klausur, aber ehelos. Sie will ihren Glauben auf der Strasse im Dienste an den Menschen leben: «Wir glauben aus aller Kraft, dass diese Strasse, auf die Gott uns gesetzt hat, für uns der Ort unserer Heiligkeit ist.» «Lasst euch von Gott finden in der Armut eines banalen Lebens», so lautete ihre Losung. An anderer Stelle sagt sie: «Warum sollte der Lerchengesang im Kornfeld unser Schweigen nähren können – und nicht auch die Schritte der Menschenmenge auf den Strassen, die Stimmen der Marktfrauen, die Rufe der Männer bei der Arbeit.» Sie verstand alles, was uns widerfährt, als Einladung zum göttlichen Tanz wie sie es im Gedicht Der Ball des Gehorsams schreibt:

Um gut tanzen zu können,
braucht man nicht zu wissen,
wohin der Tanz führt.
Man muss ihm nur folgen,
darauf gestimmt sein, schwerelos sein.
Und vor allem: man darf sich nicht versteifen,
sondern ganz mit dir eins sein – und lebendig pulsierend
einschwingen in den Takt des Orchesters.
Gib, dass wir unser Dasein leben
nicht wie ein Schachspiel,
bei dem alles berechnet ist,
nicht wie einen Lehrsatz,
bei dem wir uns den Kopf zerbrechen,
sondern wie ein Fest ohne Ende,
bei dem man dir immer wieder begegnet,
wie einen Ball, wie einen Tanz,
in den Armen deiner Gnade,
zu der Musik allumfassender Liebe.


Burkhard Reinartz/ Klaus Gasperi, 27.03.2024


Buchtipp: «Deine Augen in unseren Augen». Ein Lesebuch, Autorin: Madeleine Delbrêl,
Verlag: Neue Stadt
 

Madeleine Delbrêl
Quelle: zVg
Ein Genie der Begegnung – Madeleine Delbrêl

 

 

Madeleine Delbrêl
Quelle: zVg
Madeleine Delbrêl

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