Einblicke in die Ausstellung «Flucht - durchkreuztes Leben»
Bis zum 10. April ist im Hotel St. Elisabeth, Kloster Hegne (D), die Ausstellung «Flucht - durchkreuztes Leben» zu sehen. Gezeigt werden Drucke von Beate Fischer-Gog aus Schwandorf bei Stockach (D). Die pensionierte Lehrerin erzählt, warum das Schicksal der Geflüchteten sie so bewegt und wie sie Erlebtes mit dem Schaffen ihrer Bilder verarbeitet.
Die Bilder Ihrer Ausstellung beschäftigen sich mit dem Leiden von Menschen auf der Flucht bzw. im Krieg. Was verbindet Sie mit diesen Themen?
Es hat mich tief berührt, was im Jahr 2015 passiert ist, als die ersten Flüchtlinge bei uns ankamen. Sie kamen durch Wiesen, Äcker und Bäche. Sie kamen im Regen und im Schnee. Damals hat man von «den» Flüchtlingen gesprochen, so, als ob es eine uniforme Einheit sei. Auch ich habe diese Menschen nicht einzeln wahrgenommen. Auch für mich war es ein Block: die Flüchtlinge. So entstanden auch meine ersten Bilder davon - als Block.
Dann wurden sie für mich immer mehr einzelne Menschen – Menschen, die etwas geschleppt haben, Frauen und Männer. Ich kannte keinen von ihnen persönlich. Ich erfuhr von ihnen nur durch das Fernsehen und andere Medien, durch Bücher und Gespräche. Das Thema hat sich auf mich zubewegt. Ich habe gar nichts gemacht. Was sich auf mich zubewegt, habe ich schon immer in Bilder umgesetzt. Diese Bilder mache ich ohne Ziel, ganz für mich selbst.
Sind Sie danach Menschen begegnet, die ein solches Schicksal erlitten haben?
In unserem Dorf haben wir noch eine nigerianische Familie, andere Flüchtlingsfamilien wohnten nur kurzzeitig hier. Mehr Kontakt hatte ich nicht mit ihnen. Ich habe das, was da passierte, als sehr leidvoll empfunden. Zuerst kamen sie auf der Balkanroute. Sie waren kaum angekommen, schon wurden sie wieder weggeschickt: «Das Boot ist voll.» Als dann die Hilfen in Gang kamen, hatte ich Kontakt mit Menschen, die Hilfsgüter verpackt haben, oder mit Sozialarbeiter*innen, die die Geflüchteten betreuten. Dann ereigneten sich die Giftgasangriffe in Syrien. Mein Enkel, der 2017 geboren worden war, war damals gerade sechs Monate alt. Es hat mich sehr aufgewühlt, dass dort kleine Kinder mit Giftgas attackiert wurden.
Diese Schicksale haben Sie nicht losgelassen.
Ich habe Bücher zum Thema gelesen und habe versucht, mir Hintergrundwissen anzueignen. Die Menschen kommen ja aus verschiedenen Gegenden - Nigeria, Syrien, Äthiopien. Da sind Welten zwischen diesen Gruppen. Nur Leid und Schrecken verbindet sie.
Das Titelbild der Ausstellung ist überschrieben mit «Der letzte Tänzer».
Es stammt aus einer Reihe mit dem Titel «Totentanz im Mittelmeer». Die Reihe zeigt Bootsflüchtlinge aus Nordafrika, die sich an irgendwelche Planken klammern. Mit dem «letzten Tänzer» ist der Wunsch verbunden, dass er der letzte ist, der irgendwann im Mittelmeer Schiffbruch erleidet, dass es endlich aufhört. Ursprünglich dachte ich, dass da schon wieder einer ertrinkt, obwohl oben noch das Hoffnungssymbol des Schiffchens da ist. Man kann in der Figur aber auch jemanden sehen, der aus der Tiefe aufsteigt. Ich habe diese Bilder nur für mich gemacht.
Wie kommen Sie von der Idee zum Bild?
Zwischen den einzelnen Bildern liegen oft Tage oder Wochen. Wenn ich eine Idee habe, entstehen plötzlich ganz viele Bilder. Aus dieser Reihe wähle ich dann einige aus. Was ich nicht gut finde, vernichte ich gleich. Ich habe sehr viel Ausschuss.
Ihre Bilder sind Drucke. Wie entstehen sie?
Ich verwende Polyblock-Platten (Weichpolystyrol) im Format DIN A4. Diese Platten habe ich in der Arbeit mit Schüler*innen kennengelernt. Vor etwa 40 Jahren habe ich sie auch für meine Arbeit ausprobiert. Man ritzt mit einem Bleistift oder einem Holzstäbchen in diese Platten.
Die ersten Bilder sind als Blöcke entstanden. Dann habe ich verschiedene Stempel hergestellt und diese additiv zusammengesetzt. Ich arbeite mit wasserlöslichen Gouachefarben. Diese werden auf die verschiedenen Flächen gestrichen. Wenn die Farbe sehr flüssig ist, entsteht ein uneinheitlicher Farbton. Rührt man die Farbe breiig an, ergibt sich ein dichter Farbton und man sieht fast noch den Umriss des Druckstempels. Schliesslich kann ich noch beim Druckvorgang variieren: Je stärker der Druck ist, mit dem ich meine Stempel auf das Papier bringe, desto intensiver wirken die Farben.
Was bedeutet Ihnen Ihr künstlerisches Schaffen?
Das brauche ich für mich. Was mir passiert - auch psychisch -, setze ich in den Bildern um. Informationen aus Medien, Gesprächen und eigenem Nach- und Überdenken sind Anlässe, um die Themen in Farben und Formen darzustellen, meine Meinung dazu ins Bild zu setzen. Sie zeigen meine persönlichen Stellungnahmen zu aktuellen Geschehnissen.
Sie wollen nicht als Künstlerin, sondern als Bildermacherin verstanden werden. Warum ist das so?
Ich möchte das, was auf mich zukommt – Gedanken, Freude, Ängste -, auf meine Art ins Bild setzen. Manche Bilder zeige ich Freunden oder meinen Kindern, sonst niemanden. Ein Künstler ist für mich jemand, der seine Werke als Kunst versteht, dessen Schaffen auch von anderen so gesehen wird. Meine Bilder würde ich nicht von vornherein als Kunst bezeichnen. Wenn andere sie so sehen, ist das ihre Sicht. Ich bin eine Bildermacherin.
Interview: Detlef Kissner, forumKirche, 15.03.2023
Auszug aus der Einführung in die Ausstellung
Von Peter Stengele
[…]
Diese Bilder passen sehr gut zu dem, dessen Leiden und Sterben wir in den Kirchen in dieser Vor-Osterzeit meditieren und über den einer – Pontius Pilatus – gesagt hat:
Ecce homo – seht, der Mensch! Und mit diesem Ausruf ecce homo – seht, der Mensch! sind wir in dem Geschehen, das Beate Fischer-Gog dazu gebracht hat, mit ihren Bildern ausrufen zu lassen: Seht, den Menschen, was mit ihm passiert an den wunderbaren Stränden, an denen wir so gerne den Urlaub verbringen in ein paar hundert Kilometern südlich der Alpen.
Dort sind nämlich seit 2014 (bis Februar des Jahres 2023) 25.817 Menschen bei der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Ich sage ganz bewusst nicht „über 25 tausend“ oder „knappe 26 Tausend“! Denn es geht ja nicht um „eine Menge von“, sondern um einzelne Menschen, um jeden Einzelnen!
Sie kennen vielleicht das kleine Gedicht von Rose Ausländer:
Immer sind es die Menschen
Du weißt es
Ihr Herz
ist ein kleiner Stern
der die Erde beleuchtet
Ja, um jeden einzelnen dieser Menschen, deren Herz ein kleiner Stern ist, geht es – auch in den Bildern von Beate Fischer-Gog. Deshalb sehen wir in vielen ihrer Bilder nicht nur Gruppen von Menschen, sondern viele Einzelne … und besonders auch Kinder, deren kleine Sterne die Erde eben nicht mehr beleuchten, wie sie es auf dem Bild „Totes Kind am Strand“ uns zeigt.
Erst am letzten Sonntag sahen wir ja die Bilder eines zerborstenen Schiffes vor der kalabrischen Küste. 68 Tote wurden geborgen, die meisten Afghanen, darunter 14 Kinder.
Ich erinnere mich noch gut an das Telefonat mit Beate Fischer-Gog vor etwa 5 Jahren – ich war damals Referent für Kunst, Kultur und Kirche – bei dem sie mir sinngemäß folgendes sagte: «Ich hab‘ mich mit einem Thema auseinander gesetzt, das mich ungeheuerlich umtreibt – dem Thema Flucht, Vertreibung, menschliche Tragödien im Mittelmeer … und v.a. auch, wie dieses Thema in unsere Gesellschaft hereinbricht und uns konfrontiert – und ich habe das für mich bearbeitet und zu verarbeiten versucht in Bildern, die entstanden sind und die möchte ich Ihnen zeigen» – so etwa das Telefonat.
Nun bekam ich in jener Zeit viele Anrufe von Künstlerinnen und Künstlern, die verständlicherweise Ausstellungsmöglichkeiten suchen. Was mich aber bei diesem Anruf von Beate Fischer-Gog so angerührt hat, war zum einen ihre spürbare Betroffenheit, mit der sie mir von ihrer Erfahrung und von sich erzählte und zum andern, dass sich in ihrer Anfrage etwas gezeigt hat, was für mich ein ganz wesentliches Anliegen beschreibt, weshalb wir als Kirche (und auch als ein geprägter Ort mit seiner Spiritualität – wie es dieses Kloster ja sein will) … weshalb wir uns dringend mit Kunst – und zwar mit zeitgenössischer Kunst – beschäftigen und auseinandersetzen müssen! Und zwar deshalb, weil Religion und Kunst, Spiritualität und Kunst – also auch Kirche und Kunst eine wichtige Gemeinsamkeit haben, die darin besteht, dass es beiden doch eigen ist, existentiellen Fragen der Menschen und des Menschseins zu stellen, zu wecken und wachzuhalten. Und das sind die Fragen nach Leben und Tod, Hoffnung und Angst, Scheitern und Erfüllung, Schuld und Versöhnung, Menschenwürde und Verantwortung …
Ums Leben geht es also, um den Menschen und um die Zukunft der Welt … Und diese Fragen sind nicht nur mit dem Verstand und dem Intellekt wachzuhalten und zu beantworten, sondern zuerst einmal zugänglich über die Sinne: über Klänge, Licht, Bewegung, Tanz, Poesie oder eben durch Bilder – so, wie Beate Fischer-Gog sie uns heute zeigt.
Sie verstehen jetzt vielleicht, weshalb mich der Anruf von Beate Fischer-Gog damals so angesprochen hat – und erst recht natürlich, als ich dann die Bilder sah. Das sind Bilder, denen man sofort anmerkt: Da wollte jemand nicht dekorative, schöne, gefällige Motive auf die Leinwand oder aufs Papier bringen, nicht Bilder von idyllischen Seenlandschaften, von Sonnenuntergängen oder Bergwelten – sondern da gewinnt man schnell den Eindruck, diese Bilder sprechen von Ereignissen, die nicht zur beschaulichen Betrachtung einladen, sondern die provozieren und anecken und Fragen stellen – ganz wesentliche Aspekte zeitgenössischer guter Kunst! […]
Da blicken wir auf einen anderen Sonnenuntergang und auf bedrohliche und verschlingende Wellen des Wassers im Mittelmeer. Da sind die Sonnenuntergänge Weltuntergänge, buchstäblich „Lebensuntergänge“…, unwiderrufliche Untergänge von Lebenswelten ertrinkender Frauen, Männern, Kindern… Und die Sonnenuntergänge zeigen auf diesen Bildern nicht den beschaulichen und faszinierenden Wechsel vom Tag zur Nacht, sondern die schwarze Sonne ist hier Symbol für den durch den Bombenhagel und die Rauch- und Aschewolken sich ereignenden Welt-Untergang von 25.817 Menschen im Mittelmeer oder unter den einstürzenden Wohnungen bombardierter Städte in der Ukraine – Situationen also, in denen Menschen hilfesuchend dem Betrachter entgegenblicken, Menschen, die eben keine Sonne und kein Licht mehr sehen können. (Solche (Kinder-)Gesichter blicken uns z.B. von den Bildern „Bomben auf die Heimat“ entgegen – und Beate Fischer-Gog sagte mir, sie dachte dabei an die Gesichter ihrer kleinen Enkel).
Und so werden uns in diesen Bildern Ereignisse vor Augen gestellt, vor denen wegzuschauen wir verständlicherweise in Versuchung sind. Denn sie sind ja wirklich nicht «schön» anzusehen. Sie sind provozierend, hinterfragend, zur Stellungnahme uns herausfordernd und somit erfüllen sie – aus meiner Sicht – eine notwendige Erwartung an gute zeitgenössische Kunst: dass sie beim Betrachter*in etwas in Bewegung bringt, Fragen auslöst und ihn zum Nachdenken zwingt. Und das gelingt Beate Fischer-Gog mit ihren Bildern. […]
Zugegeben: Das alles ist jetzt natürlich nicht unbedingt leichte Kost. Die Bilder konfrontieren uns mit einer Realität, die in einem großen Kontrast steht zum hohen Erholungswert unserer herrlichen Bodenseelandschaft oder zum angenehmen Ambiente unseres Ausstellungsortes.
Da kommen in diesen Bildern aber auch keine moralischen Appelle, sondern nur die Aufforderung: Schau hin! Schau, was hier mit Menschen passiert. Welche Konsequenzen du ziehst, ist deine Sache. […]
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