Ein Glasfenster zur Legende der Heiligen
In der Kirche St. Urban in Bettwiesen ist die Legende der heiligen Idda auf sechs Glasfenstern dargestellt. Was dasjenige vom «freien Fall» der heiligen Idda mit Gegensätzen zu tun hat und andere Beobachtungen.
«Oh nein!» Das waren meine ersten Gedanken beim Anschauen des Bildes der heiligen Idda, die im freien Fall ist. Ungesichert und unfreiwillig. Oder: sichtbar ungesichert, aber unsichtbar gesichert. Die Legende sagt, dass Idda von ihrem Mann über die Brüstung gestossen wird und sie während des Sturzes Gott um Hilfe anfleht. So landet sie unversehrt. Unweigerlich erinnert diese Bewahrung an die Geschichte Josefs im Alten Testament. Er wurde zwar von seinen Brüdern gestossen - und nicht in ein Tobel, sondern in einen tiefen Brunnen –, aber auch er überlebte. Und bei beiden Tätern war das Motiv die Eifersucht.
Nun der Reihe nach: Idda war mit dem Grafen von Toggenburg verheiratet. Als sie einmal ihren Ehering ablegte, klaute ihn ein Rabe. Ein Jäger soll den Ring gefunden und getragen haben. Als Iddas Ehemann den Ring an der Hand des Jägers sah, stiess er Idda von der Burg ins Tobel. Unten unversehrt angekommen, zog sie sich in eine Höhle zurück. Dank eines Jägers, der Idda gesehen hatte, kam ihr Mann zu ihr, bereute und wollte, dass sie mit ihm zurückkäme. Idda aber bat um eine Klause, die sie bekam. Von dort pilgerte sie jeden Morgen nach Fischingen ins Kloster. Auf diesem Weg ging ihr ein Hirsch mit zwölf Lichtern auf seinem Geweih voran.
Von guter Lesbarkeit
In der Kirche St. Urban in Bettwiesen wird die Legende der heiligen Idda mit sechs Glasfenstern erzählt. Entworfen vom Flach-und Dekorationsmaler sowie Künstler August Wanner (1866 – 1970), umgesetzt vom St. Galler Glasmaler Andreas Kübele (1907 – 1965). Die Kirche St. Urban wurde im Jahr 1873 eingeweiht. Die Glasfenster über die heilige Idda sind hingegen erst im Pensionsalter: Seit 1958 sind sie in der Kirche Bettwiesen. Im selben Jahr veröffentlichte Iris von Roten das Buch «Frauen im Laufgitter», in dem sie mehr Rechte für Frauen forderte und ihrer Zeit weit voraus war. Was hätte sie wohl über die Legende der heiligen Idda gesagt?
Der Künstler und Schöpfer der Glasfenster August Wanner war bezüglich kirchlicher Kunst der Ansicht, «dass sie zu den Gläubigen sprechen und von guter Lesbarkeit sein muss, ausser wenn sie rein dekorativen Zwecken dienen will». Diese von ihm geforderte Lesbarkeit löst er mit dem Bild der heiligen Idda, die von ihrem Mann über die Brüstung gestossen wird, ein.
Rot gegen Blau
Eindrücklich ist die Auswahl der Farben und das Spiel mit den Gegensätzen. Sofort erkennt man den Kontrast zwischen Hell und Dunkel, der diagonal durchs Bild geht, sowie, dass Rot gegen Blau steht. Der Ehemann der Idda ist rot gekleidet. Rot steht für Macht und verkörpert gegensätzliche Gefühle wie Liebe und Aggression. Auch der Horizont ist in roten Farbtönen gehalten. Morgenrot oder Abendrot? Vielleicht eher Morgenrot, weil es an den Psalmvers 139,9 erinnert (Nähme ich die Flügel des Morgenrots, … ) und Gott Idda leitet und bewahrt. Es ist wohl kein Zufall, dass der Rabe, der das Unglück ins Rollen brachte, auch im roten Teil des Fensters zu sehen ist. Oder vielleicht ist es eine Taube, die zeigen soll, dass die heilige Geistkraft Idda zu Hilfe eilt?
Dass Idda blau und weiss gekleidet ist, überrascht keineswegs. Wird doch Maria meist in blauen Kleidern dargestellt, da Blau unter anderem das Himmlische, die Reinheit, Wahrheit und Treue symbolisiert. Auch Weiss steht für Reinheit. Zudem für alles Richtige und Gute.
Farbe des Umbruchs
Der Ehemann steht im Hellen des Fensters, Idda stürzt auf das Dunkel zu. Auch hier scheint es klar, dass die Ecke, in die Idda fällt, dunkel ist. Ahnt Idda doch noch nicht, was sie erwartet: Tod oder Leben. Jeder weiss, dass Violett entsteht, wenn man Rot und Blau zusammenmischt. In der Ecke, in die Idda fällt, wird Violett mehr oder weniger angedeutet. Der Farbe Violett werden viele Bedeutungen zugeschrieben. Zum Beispiel mystisch geheimnisvoll, weil sich das irdische Rot mit dem himmlischen Blau vereint, oder auch Transformation, das Bewältigen von Umbruchphasen im Leben, aus denen die Persönlichkeit gestärkt hervorgeht. Im Violett sind Bäume und Sträucher angedeutet, die erahnen lassen, dass Iddas freier Fall weich und gut endet.
Eine offene Frage bleibt die feine Kette, die auf Iddas rechtem Arm zu sehen ist. Vielleicht symbolisiert sie, das Gehaltensein durch sowie die Verbindung zu Gott.
Martina Seger-Bertschi, 31.08.2022
Weitere Infos: www.vitrosearch.ch/de/objects/2683094
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