Von Menschen und Mauern zwischen Himmel und Erde
Jeden Tag um 15 Uhr ein Foto vom Himmel und dem Boden zu machen, wo er sich gerade befindet: Das war die Idee des Theologen Marco Schmid für sein diesjähriges Bachelorprojekt im Rahmen des Studienganges «Kunst und Vermittlung». Mit nur einem Rucksack ausgestattet, startete er 2022 eine sechsmonatige Reise als Kunstgeselle auf vier Kontinenten. Er berichtet Kirche ohne Grenzen, wie aus einer Idee ein Konzept und schliesslich seine Kunstinstallation «Die neunte Stunde» entstanden ist.
Herr Schmid, verarbeiten Sie in Ihrer Kunstinstallation die Eindrücke Ihrer künstlerischen Wandergesellen-Reise?
Ich besuchte als Kunstwandergeselle Kunstschaffende in ihren Ateliers in sechs Ländern, die zufälligerweise auf ihre Art und Weise jeweils von Mauern geprägt sind. Länder, in denen Mauern die Gesellschaft trennen: Israel und Palästina, Mexiko und Nordamerika, Süd- und Nordkorea sowie Deutschland mit der ehemaligen Mauer in Berlin. Einzig Ruanda hat keine physische Mauer. Da ich als Bachelorprojekt Konzeptkunst machen wollte, war mir bewusst, dass ich während meiner Reise etwas machen wollte, was ich bis zum Ende durchziehen würde – im Sinne einer Materialsammlung. Ich wusste, dass mein erstes Zielland Ruanda sein wird. Ein Land, das eine schwierige Geschichte hat. Deshalb kam mir die Idee, dass ich von Beginn meiner Reise an jeweils um 15 Uhr ein Foto des Bodens sowie des Himmels machen werde, genau dort, wo ich zu diesem Zeitpunkt bin. Einmal sass ich zu dieser Zeit in einem Auto, also fotografierte ich aus dem fahrenden Fahrzeug heraus den Boden sowie den Himmel.
Weshalb arbeiten Sie in Ihrer multimedialen Kunstausstellung von Video, Bild und Ton mit der Thematik der neunten Stunde und dem «Schrei Gottes»?
Nebst den Bekanntschaften mit fast 200 Künstler*innen lernte ich durchs Couchsurfing bei privaten Gastgeber*innen weitere Menschen und ihre Geschichten kennen. Einige dieser Geschichten sind nun integriert als Audio in meiner Kunstinstallation zu hören. Beispielsweise ist in der Geschichte der Person aus Israel zu hören, was die Entstehung einer Mauer auslöst. Jene Person aus Berlin berichtet hingegen davon, was für eine Befreiung es war, als die Berliner Mauer entfernt wurde. Die Person aus Nordkorea erzählt von ihrer zweimaligen Flucht nach Südkorea und wie es war, eine Mauer zu überwinden. Denken wir nun im Kontext und aufgrund der Tragik dieser Geschichten an den Karfreitagsschrei. Was geschieht am Karfreitag zur Todeszeit Jesu – der überlieferten neunten Stunde? [Im alten Judentum begann die Stundenzählung um 6 Uhr morgens. Deshalb entspricht die neunte Stunde 15 Uhr; Anm. d. Red.] Der Vorhang zerreisst. Eine symbolische Mauer wird gewissermassen niedergerissen. Der Tod Jesu zerstört all unsere physischen, aber auch inneren Mauern. Das ist der Moment, an dem Jesus am Kreuz schreit: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Dort zeigt Jesus, dass er bis zum Äussersten geht, um jede Person zu erreichen, mag sie sich noch so verloren fühlen oder mag sie noch so verloren sein.
Was ist Ihr Anliegen mit dieser Kunstinstallation?
Die Besuchenden selbst sollen in den Raum zwischen Himmel und Erde treten und somit Teil des Kunstwerkes werden. Dadurch sind sie zugleich auch an jenen Orten, wo die Geschichten stattfinden. Um 15 Uhr ist man somit metaphorisch beispielsweise in Mexiko und hört den Schrei jenes Menschen und seiner Lebensgeschichte. Schliesslich könnte es auch unser Boden sein, wo wir heute stehen – und unsere Geschichte, unser Karfreitagsschrei. Auch wenn alle sechs Geschichten aufrütteln, enden die Erzählungen damit, was heute ist: Jemand hat geheiratet, eine andere Person hat ein Buch veröffentlicht, wiederum eine andere Person engagiert sich in einer Friedensorganisation. Die Kunstinstallation passt sich mit all ihrer Komplexität den räumlichen Gegebenheiten vor Ort an. Deshalb kann sie auf Wanderschaft gehen und in anderen Kirchenräumen auf unterschiedlichste Art und Weise aufgestellt und ihr Inhalt zum Thema in der Pfarrei gemacht werden.
Interview & Übersetzung: Romina Monferrini, 26.09.2023
Il «grido di Dio»
«La nona ora» è l'installazione artistica del teologo Marco Schmid, che racconta il suo viaggio come artigiano d'arte su quattro continenti. Attraverso foto del cielo e del terreno scattate ogni giorno alle 15:00, Schmid esplora le impressioni dei paesi visitati, caratterizzati da muri che separano la società. L'installazione multimediale combina video, immagini e suoni, integrando anche le storie personali di persone incontrate durante il viaggio. Il tema centrale è la «nona ora» e il «grido di Dio», che rappresentano la distruzione dei muri fisici e interiori attraverso la morte di Gesù. L'obiettivo dell'installazione è coinvolgere i visitatori nello spazio tra cielo e terra, facendoli riflettere sulla divisione nella società e sulla possibilità di superare questi muri.
Schmid racconta a Kirche ohne Grenzen come un'idea si è trasformata in un concetto e infine nella sua installazione artistica:
Oltre a fare conoscenza con quasi 200 artisti, ho conosciuto altre persone e le loro storie attraverso il couchsurfing. Alcune di queste storie sono ora integrate come audio nella mia installazione artistica. Nella storia della persona proveniente da Israele si sente cosa ha causato la costruzione di un muro. Al contrario, la persona proveniente da Berlino racconta quanto sia stata una liberazione quando il muro di Berlino è stato abbattuto. La persona proveniente dalla Corea del Nord racconta delle sue due fughe in Corea del Sud e di come sia stato superare un muro. Considerando il contesto e la tragedia di queste storie, pensiamo al grido del Venerdì Santo. La morte di Gesù distrugge tutti i nostri muri fisici e interiori.
Kommentare
27.09.2023, 17:33
der Mauer hat mich begeistert und deren tiefe
Bedeutung für unser Leben, das unabhängig
von Ort und Kultur besteht. Es ist die Tragik
unseres Menschenlebens, dass wir Ferne und Nähe zum Mitmenschen als Sicherheit verstehen,
die durch Mauern "untermauert" sein müsste.
Danke für die erlebten Geschichten. Gratulation.