Ein Altartuch gegen das Vergessen 

Alois Studer bereichert die Klosterkirche Münsterlingen mit einem speziellen Altartuch. Es besteht aus Leinen und geklöppelten Spitzen.

Seit Kurzem ist der Altar der barocken Klosterkirche Münsterlingen mit einem speziellen edlen Leinentuch mit Spitzen geschmückt. Dessen Schöpfer ist der 84-jährige Handklöppler Alois Studer aus Romanshorn. Sein Geschenk an den Pastoralraum Region Altnau hat einen traurigen Hintergrund: Das Tuch soll dafür sorgen, dass die früheren fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, Fremdplatzierungen und Medikamententests im Kanton Thurgau, so auch in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen, nicht in Vergessenheit geraten. 

Sieben Altartücher für den Thurgau
Es ist nicht das erste Werk, das der seit rund vierzig Jahren in Romanshorn wohnhafte gebürtige Oltner Alois Studer für Sakralbauten geschaffen hat. Mittlerweile hat er sieben Kirchen im Thurgau und das Kloster Fahr im Kanton Zürich mit seinen filigranen Altartüchern beschenkt. Etwa 400 Arbeitsstunden hat er für das knapp 1,5 Meter lange Münsterlinger Altartuch mit Sonnenmotiven aufgewendet. «Aus eigenem Antrieb und aus lauter Freude», wie der religiöse Alois Studer betont. Das Tuch wurde am Pfingstsamstag im Rahmen eines Gottesdienstes eingeweiht und von Pfarrer Josef Gander gesegnet. 
Das Altartuch hat im Christentum eine grosse Bedeutung, symbolisiert es doch das leere Grab Christi. Der neue Altarschmuck entstand in enger Zusammenarbeit mit Ivan Trajkov, dem Leiter des Pastoralraums Region Altnau. Der Theologe war vom Angebot des Klöpplers aus Romanshorn sowie von dessen Leidenschaft auf Anhieb begeistert.

Zwei Klöppler gesamtschweizerisch
Rund 400 ausgebildete Klöpplerinnen gibt es heute in der Schweiz, aber nur zwei Männer. Die Neugier auf ein kreatives Hobby führte Alois Studer vor bald vierzig Jahren zu diesem Handwerk. Heute ist er diplomierter Klöppel-Kursleiter. «Ich bin von Natur aus ein kreativer Mensch», erzählt der gelernte Schreiner und spätere freischaffende Architekt. «Seit dem Tod meiner ebenfalls künstlerisch tätigen Frau vor drei Jahren ist das Klöppeln für mich ein wahrer Segen. Zum Glück verfüge ich noch immer über eine gute Sehkraft», ist vom rüstigen Künstler zu erfahren.

Sprudelnde Kreativität
Alois Studer sprudelt vor Kreativität und Ideen. Die Vitalität dieses Mannes ist ungebrochen, und seine Begeisterung für das Klöppeln ist ansteckend. «Ich bin fast täglich am Arbeiten und habe immer zu wenig Zeit», erzählt der bisweilen recht unkonventionell arbeitende Romanshorner. Es gibt Werke, in die er bis zu tausend Stunden investiert. So integriert er in seine Kreationen immer wieder Gegenstände wie beispielsweise alte Broschen, die er auf seinen regelmässigen Flohmarkt-Besuchen entdeckt.
Für die Planung seiner Klöppelarbeiten setzt der Perfektionist seinen Computer mit einem speziellen CAD-Programm ein. Der Klöppelbrief (siehe Kasten) ist für Studer vergleichbar mit einer Partitur in der Welt der Musik. Eine Inspirationsquelle ist für ihn das Motiv der «Blume des Lebens». 
Solange seine Augen und Hände mitmachen, wird der Menschenfreund Alois Studer weiterhin an seinem Klöppelbrett sitzen. Die Ideen werden ihm nicht ausgehen, und Sorgen um den Nachschub von Leinenfäden braucht er sich keine zu machen. «Ich bin für weitere zwanzig Jahre eingedeckt», betont der Naturliebhaber, der neben dem Klöppeln auch in seinem gepflegten Garten Entspannung findet. 

Freddy Kugler, 29.5.24


Die Klöppeltechnik
Das Klöppeln ist ein altes Kunsthandwerk zur Herstellung verschiedenster Spitzen mittels spindelförmiger Spulen und darauf gewickelter Leinenfäden. Durch das systematische Verdrehen, Verkreuzen, Verknüpfen und Verschlingen der Leinenfäden entstehen aufwendige Schmuckelemente oder ganze Bilder. 
Grundlage jeder Klöppelspitze ist der Klöppelbrief. Dabei handelt es sich um eine Mustervorlage. Die Gestaltung und geometrische Berechnung eines solchen Entwurfs ist eine hohe Kunst, die nur wenige Handklöppler*innen beherrschen.
Die als Klöppel bezeichneten Holzspulen und der Klöppelbrief sind an einem Klöppelsack bzw. Klöppelkissen befestigt. Mindestens zwei Paar dieser Klöppel werden durch Kreuzen und Drehen miteinander verflochten.
Diente das Klöppeln einst der Sicherung des Lebensunterhalts vieler Familien, ist dieses filigrane Handwerk heute ein aufwendiges Hobby, für das es fast in jedem europäischen Land einen Verband gibt. Der 1983 gegründeten Vereinigung Schweizerischer Spitzenmacherinnen gehören heute über tausend Mitglieder an. Anlässlich des Eidg. Trachtenfestes in Zürich vom 28.–30. Juni kann auf dem Bürkliplatz ein Schauklöppeln besucht werden.
 

Pfarrer Josef Gander, Alois Studer, die Romanshorner Theologin Gaby Zimmermann und der Theologe Ivan Trajkov vom Pastoralraum Region Altnau (v.l.n.r.) an der Einweihung des Altartuchs
Quelle: Freddy Kugler
Pfarrer Josef Gander, Alois Studer, die Romanshorner Theologin Gaby Zimmermann und der Theologe Ivan Trajkov vom Pastoralraum Region Altnau (v.l.n.r.) an der Einweihung des Altartuchs

 

 

Alois Studer
Quelle: Freddy Kugler
Alois Studer an der Arbeit

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