Im Strudel der Reformation

Das Klostermuseum St. Georgen beleuchtet mit der Ausstellung «1524 Stürmische Zeiten» den sozialen und religiösen Kontext der reformatorischen Bewegung vor 500 Jahren sowie die Auswirkung der Klosteraufhebung auf die Bewohner*innen der Stadt Stein am Rhein.

Bereits vor der reformatorischen Bewegung lag das Kloster mit der Steiner Bürgerschaft im Streit. Durch den Konstanzer Vertrag von 1385 wurden die Rechte des Abtes vom Kloster St. Georgen bestätigt. Er setzte den Schultheissen ein, übte die niedere Gerichtsbarkeit aus und war Herr über Eigenleute (Leibeigene) des Klosters. Schliesslich erwarben die Steiner 1457 sämtliche Vogteirechte über Stadt und Kloster. Damit war Stein am Rhein nun reichsfrei und die alte Hierarchie zwischen Kloster und Stadt war ausser Kraft gesetzt. Zum Verhängnis wurden dem Steiner Rat die hohen Schulden für diesen Freikauf. Der Rat konnte später seine Schuldzinsen nicht bezahlen. Zuerst bedeutete die finanzielle Hilfe von Zürich eine Rettung für die Steiner Bürger. Dann begann der Fluch für die Steiner durch eine Abhängigkeit zum mächtigen Nachbarn.

Leibeigene als Tauschware
Im Vergleich zu den Stadtbürgern hatten die Eigenleute des Klosters keine Wahl, ihren Arbeits- oder Wohnort frei zu bestimmen. Auch wen und wann sie heirateten, unterlag dem Entscheid des Abtes. Beispielsweise berichtet eine Urkunde von 1511 über einen Austausch von zwei leibeigenen Frauen mit ihren Familien zwischen dem Kloster Allerheiligen in Schaffhausen und dem Kloster St. Georgen in Stein. Betont wird in der Urkunde, dass sich die Leibeigenschaft auch auf alle zukünftigen Nachkommen überträgt. Der Grund des Tausches ist unbekannt. Erst mit der Reformation wurden alle Leibeigenen des Klosters freie Bürger.

Die Mitsprache der Bürgerschaft
Der Abt setzte meist Auswärtige für das Amt des Leutpriesters an der Stadtkirche von Stein am Rhein ein, bis der Steiner Rat das Recht erhielt, ihm einen Priester vorzuschlagen. Ungeachtet dessen hatte der Abt David von Winkelsheim die freie Stelle des Leutpriesters mit einem Franziskanermönch besetzt, obwohl die Stadt den Priester bezahlte. Die Steiner zogen vor den Zürcher Rat und erhielten ein eigenes Wahlrecht. «Das Blatt hatte sich gewendet», erklärt der Museumsleiter Andreas Münch, «und Abt David hatte keinen politischen Rückhalt mehr.» Die Steiner entschieden sich dann für Jakob Grötsch aus Bregenz als neuen Pfarrer. In einer Predigt kritisierte dieser die Herrschaft Zürichs und wurde von ihr verbannt. Die Bürgerschaft hatte bewusst wieder einen Nichtzürcher als Nachfolger an die Stadtkirche gewählt.

Reformatoren prägen Stein am Rhein
Grötsch war der erste reformierte Stadtpfarrer. Pfarrer Hans Oechsli wurde bekannt, als er die Heiligenbilder aus seiner Kirche Vor der Brugg und in Eschenz entfernte. Wegen seiner Festnahme durch den Landvogt bewaffneten sich rund 3'000 Männer in und um Stein, um ihn zu befreien. Nach ihrem Misserfolg erstürmten sie die Kartause Ittingen. Zwinglis Gefolgsmann, Erasmus Schmid, der am Ittinger Klostersturm beteiligt war, musste nach Waldshut flüchten, kehrte aber 1526 in die Stadt zurück. Es ist nicht belegt, ob Zwingli die Einladung des humanistisch interessierten Abts David von Winkelsheim annahm. Erst 1529 hielt der Zürcher Reformator nach dem Auszug der Mönche eine Predigt in Stein am Rhein.

Der letzte Abt
Abt David von Winkelsheim leistete zunächst kaum Widerstand im Strudel der Reformation. Anfang 1525 erbat er vor dem Zürcher Rat die Auflösung des Klosters. Der Abt beklagte die Anfeindungen gegen ihn und den Weggang der meisten Mitbrüder. Er forderte eine Aussteuer für sich und seine Mönche. Sein Wunsch nach lebenslangem Wohnrecht auf Schloss Girsberg bei Stammheim lehnten die Zürcher ab. «Die ruhige Haltung des Abtes bei den Verhandlungen kippte, weil ihm sein Alterssitz als weltlicher Status nicht gegeben wurde», reflektiert Andreas Münch im Hinblick auf Davids Jugendzeit auf dem Schlösschen. Der neue Zürcher Klosterverwalter musste den Abt unter Hausarrest stellen. Im Oktober 1525 flüchtete David von Winkelsheim nach Radolfzell. Im Gepäck hatte er wichtige Urkunden des Klosters – sehr zum Ärger der Zürcher Herrschaft, die ihre Macht und ihre Einnahmen ausbauen wollte. Bis 1805 bestand das Klosteramt St. Georgen als wichtiger Wirtschaftsbetrieb unter der Zürcher Herrschaft fort. Viele Landleute konnten nun die Lehen als Eigentum erwerben.

Judith Keller, 26.6.24


Weitere Infos
 

Museumsleiter Andreas Münch
Quelle: Judith Keller
Museumsleiter Andreas Münch vor der Zürcher Bibel im Kloster St. Georgen in Stein am Rhein

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