Auf alten Pilgerwegen im Kanton Thurgau

Neben dem bekannten Jakobsweg gerät die Via Francisca fast in Vergessenheit. Hermann Heiter setzt sich für eine Aufwertung der Pilgerroute von Kreuzlingen nach Rom ein. 

Das Pilgern ist eine Ursehnsucht der Menschen. Die Pilgerinnen und Pilger begeben sich auf eine Wanderung mit einem Ziel, das oft in der Ferne liegt. Einer der ersten Pilger war gemäss Bibel Abraham, die prominente Figur im Alten Testament und Urvater der Juden.

Im Mittelalter erlebte das Pilgern einen enormen Aufschwung. Im Vordergrund standen fast ausschliesslich religiöse Gründe. Es ging um Gelübde, Busse und Dankbarkeit. Die wichtigsten Ziele waren Jerusalem, Rom und schon damals Santiago de Compostela in Spanien.

Heute sind die Gründe des Pilgerns vielfältiger. Die Verbindung zu Gott und zu sich selbst zu finden ist etwas in den Hintergrund gerückt. Zwar wollen viele Pilgerinnen und Pilger nach wie vor spirituelle Erfahrungen sammeln, aber einer Mehrzahl der Pilger zu Fuss und per Fahrrad geht es heute darum, dem Alltagsstress zu entfliehen, sich selber besser zu kennenlernen und körperliche Grenzen auszuloten.

40 Millionen Christen jährlich sollen sich heute weltweit auf eine Pilgerreise begeben. In den letzten Jahrhunderten gewannen die Marien-Wallfahrten an Bedeutung, so etwa jene nach Lourdes in Frankreich oder Fátima in Portugal. 

Der Thurgau spielt im Pilgerwesen als Transit-Kanton eine wichtige Rolle, führt doch der Jakobsweg nach Santiago de Compostela auf einer der Hauptrouten, auf dem sogenannten Schwabenweg, von Konstanz/Kreuzlingen über Märstetten, Münchwilen und Fischingen mit dem Benediktiner-Kloster ins Zürcher Oberland. 

Laut Statistiken sind im vergangenen Jahr 446'035 Pilgerinnen und Pilger an der Kathedrale in Santiago angekommen und haben dort die offizielle Pilgerurkunde, welche durch die Stempel im Pilgerausweis nachgewiesen wird, abgeholt. Darunter befanden sich 116 Pilgerinnen und Pilger, die in der Schweiz gestartet sind. Viele dieser Langstrecken-Wanderer begnügen sich mit Teilstrecken des Jakobsweges – der Via Jacobi.

Verein gegründet
Der Jakobsweg ist in der Schweiz aber nicht der einzige Pilgerweg. Ein anderer, die Via Francisca, führt von Konstanz am Bodensee quer durch die Ostschweiz über Graubünden, das Tessin und Pavia nach Rom. Dieser soll nun aus dem Schatten der Via Jacobi treten. Den Bekanntheitsgrad steigern möchte Hermann Heiter als treibende Kraft (siehe Kasten). Er ist der Präsident des 2022 gegründeten Vereins «Freunde der Via Francisca – Schweiz». 

Route der Kaiser
Laut Hermann Heiter hat der in der Deutschschweiz noch weitgehend unbekannte Weg eine grosse historische Bedeutung. «Zu Zeiten des Konstanzer Konzils vor 600 Jahren gab es einen regen Warenaustausch zwischen Konstanz und Rom», sagt er. «Auf der seit Jahrhunderten bedeutsamen Route verkehrten sowohl Kaiser wie Otto I, Heinrich II und Friedrich I (Barbarossa), als auch Truppen.»

Der Schweizer Abschnitt der Via Francisca führt von Kreuzlingen über 349 km nach Ponte Tresa an der italienischen Grenze, wobei der höchste Punkt der Route mit 1978 m ü. M. der Lukmanier-Pass ist. Wer den ganzen Schweizer Abschnitt erwandert, muss mit 16 Tagen und gegen hundert Stunden Marschzeit rechnen.

Die Thurgauer Teilstücke lassen sich auf der Via Francisca bequem in zwei Tagesetappen erwandern, vorwiegend auf Wald- und Wiesenwegen. Von Konstanz nach Amriswil sind es 22 km, von Amriswil nach St. Gallen 18 km. Die erste Etappe führt dem Bodensee entlang bis Altnau und von dort durch den Güttinger Wald nach Amriswil mit dem höchsten Kirchturm im Thurgau. Auf dem Weg gibt es verschiedene Verpflegungs- und Übernachtungsmöglichkeiten, die auf der Website des Vereins aufgeschaltet sind.

Aufholbedarf bei der Beschilderung 
Was im Thurgau noch fehlt, ist die durchgehende Beschilderung des Weges, wie dies ab dem Lukmanier-Pass im Kanton Tessin und in Italien schon der Fall ist. «Es ist eine Frage des politischen Willens, die Akteure wie Schweizer Wanderwege, Wanderwege Thurgau, die Tourismus-Verantwortlichen sowie die Behörden der Gemeinden davon zu überzeugen, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen und die Beschilderung zu bewilligen, wie dies im Tessin schon geschehen ist», erklärt Hermann Heiter. Den verschiedenen Institutionen im Thurgau wurde der Weg bereits vorgestellt. Als Startschuss wanderte Hermann Heiter mit zehn Begleitern quer durch den Thurgau. 

«Wandern ist im Trend und die ökologischste Fortbewegungsart. Wenn die Via Francisca im Kanton Thurgau ihren Stellenwert steigern kann, profitieren Hotels und Restaurants gleichermassen», ist Hermann Heiter überzeugt. Er erwähnt dabei die Via Francigena. Dieser Pilgerweg von Canterbury (England) nach Rom, der auch durch die Kantone Waadt und Wallis und über den Grossen St. Bernhard in die italienische Hauptstadt führt, wurde vor 25 Jahren wiederbelebt. Mittlerweile seien auf diesem Weg jährlich über 30'000 Pilgerinnen und Pilger mit entsprechender Wertschöpfung unterwegs.

Freddy Kugler, 24.7.24


Hermann Heiter
Der 70-jährige Hermann Heiter, ein pensionierter Linienpilot, ist seit über 50 Jahren im Tessin wohnhaft. Auslöser seiner Leidenschaft für Pilgerwege war 1994 der Marsch von Lugano zur Klause von Bruder Klaus in Flüeli-Ranft. Während zehn Jahren war er Wegverantwortlicher für insgesamt 780 km Jakobsweg-Pfade in der Schweiz. Mittlerweile ist Heiter als Pilger sechsmal in Santiago de Compostela angekommen. Die Via Francisca von Kreuzlingen nach Pavia hat er zweimal begangen, die Strecke vom Tessin bis nach Rom einmal. «Ein Grossteil beginnt eine solche Weitwanderung als einfacher Wanderer und wird während des Weges zum Pilger», lautet das Urteil von Hermann Heiter. 

Kontakt: AVFS, Strada della Castellanza 82, 6968 Sonvico | Telefon: +41 76 393 39 64 | E-Mail: hermann@viafrancisca.ch


Weitere Informationen
 

Hermann Heiter
Quelle: zVg
Hermann Heiter

 

Jakobsweg
Quelle: Freddy Kugler
Wie der Jakobsweg soll die Via Francisca beschildert werden.

 

Stationen der Via Francisca

Kommentare

+

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.