Fortschritte auf der Klosterbaustelle Campus Galli

Vor etwa sechs Jahren fiel der Startschuss für ein einzigartiges Projekt: In der Nähe des südbadischen Städtchens Messkirch begann man, eine Klosteranlage nach einem Plan aus dem 9. Jahrhundert zu errichten und zwar mit den Möglichkeiten der damaligen Zeit. Inzwischen sind bei Campus Galli eine Holzkirche und erste Bauwerke der Anlage zu bewundern. Die Handwerkerinnen und Handwerker mussten dabei unerwartete Herausforderungen meistern und sich im Blick auf die Leistungen vergangener Generationen in Demut üben.

Bert Geurten († Mai 2018) war schon als Siebzehnjähriger vom St. Galler Klosterplan (siehe nachstehende Bemerkung) fasziniert. Viele Jahre später hatte er die «verrückte» Idee, die darauf abgebildete Anlage in mittelalterlicher Manier – also mit einfachen Werkzeugen und Muskelkraft – aufzubauen. Er fand Verbündete und begann im Juni 2013 sein ehrgeiziges Projekt (vgl. auch forumKirche 2012/02 und 2013/20). Zuerst wurden einfache Bauhütten erstellt. Danach sollte eine provisorische Holzkirche errichtet werden und drum herum die eigentliche Klosterkirche aus Stein. «Es lief anders als geplant», erzählt Andreas Herzog, ein Holzhandwerker, der von Anfang an mit dabei war, «aber das ist gar nicht so schlecht.» Nachdem die kleine Holzkirche stand, wollte man auch die Unterkünfte auf der Baustelle realisieren, in denen die Mönche – anders als die modernen Handwerker – gelebt hätten. «Stellvertretend dafür fügten wir die ersten Elemente eines kleinen Kreuzganges an die Kirche an», so Herzog. Schliesslich entschloss man sich entgegen des ersten Konzepts, diese Hilfsbauten stehen zu lassen und die eigentlichen Gebäude des Klosterplans etwas abseits davon aufzubauen. «Wir fanden es viel schöner, wenn die Besucher die ganze Entwicklung sehen können: die Gallus-Einsiedelei im Süden, das kleine Holzkloster im Norden und die Klosteranlage in der Mitte.»

Langsamer als gedacht

Momentan steht das Projekt an einer Schnittstelle. Denn seit letztem Jahr hat man damit begonnen, die ersten Anlagen des Klosterplans zu verwirklichen. Es entstand der von einer schulterhohen Mauer umgebene Friedhof, der den Mönchen zugleich als Obstgarten diente. Direkt daneben wurde der Gemüsegarten er richtet. Der Platz für die angrenzende Scheune ist bereits für den Bau vorbereitet. Vom Zeitplan her ist das Projekt deutlich im Verzug. «Zu Beginn sprach man von etwa 40 Jahren Bauzeit. Das hätte bedeutet, dass wir in neun Monaten jeweils ein Gebäude errichten und nebenher noch die grosse Steinkirche. Das war nicht zu schaffen», sagt Andreas Herzog. Die erste Herausforderung ergab sich bereits bei der Planung der einzelnen Elemente: Der Klosterplan zeigt ja nur einen Grundriss. Wie aber hat man sich die Gebäude konkret vorzustellen? Aus welchen Materialien hätten sie wohl bestanden? Welche Dimensionen hätten sie gehabt? Hier sind die Archäologen und Historiker gefragt. Sie unterstützen den Bauleiter und die Handwerker dabei, den Aufbau und die Gestalt der Gebäude zu definieren. Anders als im Mittel alter müssen die Ergebnisse dann noch von der zuständigen Baubehörde geprüft und genehmigt werden. «Es kann sein, dass wir aus sicherheitstechnischen Gründen noch Anpassungen vornehmen müssen», er läutert Andreas Herzog. Dieses aufwändige Verfahren zieht die Umsetzung in die Länge und führte nicht nur bei der Scheune zu einer Verzögerung des Baubeginns.

Altes Wissen neu entdecken

Schliesslich kommen noch handwerkliche Probleme hinzu. «Uns fehlte das Fachwissen aus dem Mittelalter. Dies mussten wir uns erst wieder aneignen», sagt der gelernte Schreiner. So brauchte es z. B. mehrere Versuche, bis ein Mörtel hergestellt werden konnte, der hielt. Die Maurer mussten auch akzeptieren, spätestens Ende August die letzten Steine zu setzen, wenn sie nicht riskieren wollten, dass der erste Frost ihren Mörtel mürbe macht. Auch die Frage, wie man ein Dach mit ein - fachen Naturmaterialien dicht bekommt, war nicht leicht zu lösen. Früherer Fachverstand ging über die Jahrhunderte verloren. «Wir haben uns manchmal gefragt, ob wir zu blöd sind», gibt Herzog die Stimmung wieder. Langsam musste man sich an die Kunst des Dachdeckens wieder herantasten: Einfache Rindendächer waren schnell verwittert. Eichenschindeln darf man nicht mit Eisennägeln befestigen. Grasdächer sind sehr schwer und benötigen eine robuste Unterkonstruktion. Eine besondere Herausforderung stellt die Abdichtung von aneinanderstossenden Dachflächen dar.

Besucher haben Vorrang

Was im ursprünglichen Konzept ebenfalls wenig berücksichtigt wurde, ist der Kontakt mit den Besucherinnen und Besuchern. Die rund 50 angestellten, beziehungsweise freiwilligen Mitarbeitenden sind neben ihren Aufgaben auf der Baustelle ja auch für die Gäste da, deren Zahl im letzten Jahr auf über 80‘000 gestiegen ist. «Wir wollen sie gut empfangen und mit ihnen ins Gespräch kommen, dann bleibt die Arbeit notgedrungen liegen», sagt Andreas Herzog. Den Mönchen im Mittelalter sei es auch wichtig gewesen, Gastfreundschaft zu gewähren, aber im Kloster sei jemand eigens für diese Aufgabe beauftragt gewesen. Um den Wissensdurst der Gäste zu stillen, braucht es im Campus Galli «enorme Vermittlungskompetenzen», die sich die Handwerker erst nach und nach aneignen mussten. Hilfestellungen erhalten sie dafür in speziellen Weiterbildungen zu geschichtlichen, archäologischen und baugeschichtlichen Themen, die vor allem in der Winterzeit stattfinden.

Steigende Zahlen

Aus finanzieller Sicht ist das Projekt auf einem guten Weg. Nachdem die Besucherzahlen in den letzten Jahren kontinuierlich stiegen, hat der Jahreserlös inzwischen die Grenze von einer Million Euro überschritten. «Damit können wir den Grossteil der Ausgaben, die vor allem aus Personalkosten bestehen, decken», erklärt Hannes Napierala, der Geschäftsführer des Vereins karolingische klosterstadt messkirch. Darüber hinaus hat die Stadt Messkirch zugesagt, in den nächsten drei Jahren jeweils einen Zuschuss von 300‘000 Euro zu gewähren. Napierala ist optimistisch, dass künftig noch mehr Besucher kommen werden: «Die Bekanntheit von Campus Galli wächst noch. Ausserdem gibt es jedes Jahr mehr zu sehen.»

Geduld ist gefragt

Attraktiv ist das Projekt auch für Menschen, die dort arbeiten. Manche klinken sich als Freiwillige für ein bis zwei Wochen ein, wie die Rentnerin aus Winterthur, die es in die Weberei gezogen hat: «Eine Freundin hat mir geraten, bei Campus Galli mitzuarbeiten, um wieder einmal herunterzukommen.»

Viele angestellte Mitarbeitende sind schon längere Zeit hier. Wer frisch anfängt, merkt bald, ob das Arbeiten und die damit verbundene Philosophie zu ihm passen. «Ohne Maschinen macht man viel kleinere Fortschritte. Da braucht man viel Geduld», weiss Andreas Herzog. Ausserdem müssen die Handwerkerinnen und Handwerker hier als Team gut zusammenarbeiten. Jeder ist auf den anderen angewiesen. Es gibt keine fertigen Lösungen und keinen Zulieferer, bei dem man schnell etwas bestellen könnte. Und schliesslich muss man den Austausch mit den Gästen mögen.

Respekt vor früheren Generationen

Andreas Herzog haben die Jahre auf der Klosterbaustelle die Augen dafür geöffnet, welches umfangreiche Wissen und welche Kompetenzen die Menschen im Mittelalter hatten und welch grosse Leistungen sie erbracht haben: «Sie konnten hochwertige Dinge herstellen. Davor habe ich Hochachtung.» Gleichzeitig relativiert sich der Stellenwert unserer modernen Kultur. Auch wenn wir meinen, dem Mittelalter voraus zu sein, müssen wir seiner Ansicht nach demütig eingestehen, dass wir vieles von den früheren handwerklichen Techniken heute nicht mehr beherrschen.

Inbegriff dieses Wissens und dieses Könnens ist für ihn der St. Galler Klosterplan. Hinter diesem Plan stehe eine ganze Kultur, eine umfassende Haltung, die geprägt sei von einer grossen Offenheit und die das ganze Leben einschliesse. «Man kann den Plan nur als Ganzes umsetzen. Seine komplexe Einheit erlaubt es nicht, einzelne Komponenten herauszugreifen, sonst geht seine Seele verloren.»

Detlef Kissner (14.5.19)


Zum Klosterplan

Der St. Galler Klosterplan ist die älteste überlieferte Architekturzeichnung des Abendlandes. Er wurde von Mönchen auf der Insel Reichenau vor dem Jahr 830 n. Chr. gezeichnet. Benannt ist er nach dem Ort St. Gallen, für den er ursprünglich geschaffen wurde. Der Klosterplan, mit seinen 52 Gebäuden und vielen Details, hat eine bewegte Geschichte. Entstanden ist er aus fünf nach und nach angenähten Pergamentblättern. Seine Rückseite wurde ca. 400 Jahre später von einem Mönch dazu verwendet, das Leben des heiligen Martin aufzuschreiben. Nur deswegen blieb der Plan er - halten, als unbeachtete «Rückseite»! Seit April dieses Jahres ist der Klosterplan im Original zu sehen. Der Stiftsbezirk St. Gallen präsentiert ihn in einer Dauerausstellung. Nach einer einführenden Multivision können Besucherinnen und Besucher den Plan wegen seiner Lichtempfindlichkeit nur etwa 20 Sekunden lang betrachten (vgl. www.stiftsbezirk.ch/de/ausstellungen).

Auf der Webseite von Campus Galli (www.campus-galli.de) kann der Plan interaktiv erforscht werden.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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So präsentiert sich die Holzkirche mit Eingangstor und kleinem Kreuzgang heute.

 
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Andres Herzog bei seiner Arbeit am Glockenturm.

 
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Für die Umfassungsmauer des Friedhofs muss noch eine geeignete Abdeckung gefunden werden. In der Mitte wird dem Plan entsprechend ein grosses Kreuz aufgerichtet.

Bilder: Detlef Kissner

 
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Ausschnitt aus dem Klosterplan: Der Friedhof (oben) und der Gemüsegarten (in der Mitte) wurden schon realisiert.

Bild: © Stiftsbibliothek St. Gallen

 
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Der Gemüsegarten im Campus Galli.

 
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Der Drechsler fertigt mit einfachen Mitteln ein Rad.

 
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Eine Frau aus Winterthur (r.) arbeitet eine Zeit lang in der Weberei mit.

 
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Der Schmied muss das Metall auf die richtige Temperatur erhitzen, um es bearbeiten zu können.

Bilder: Detlef Kissner

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