Katholisches Hilfswerk unterstützt Kirchen im Kriegsgebiet
Seit 70 Jahren ist Kirche in Not (ACN) auf dem Gebiet der heutigen Ukraine mit zahlreichen Projekten präsent. Seit Kriegsbeginn sammelt das weltweit tätige katholische Hilfswerk nun Spenden, um der Bevölkerung zu helfen. Lucia Wicki-Rensch, Informationsbeauftragte von Kirche in Not (ACN) Schweiz, berichtet im Interview über die prekäre Situation vor Ort.
Wie geht es Ihnen persönlich mit diesem Krieg?
Dieser brutale Angriffskrieg hat mich schockiert, so wie sicher alle von uns, und bereitet mir schlaflose Nächte. 2016 war ich mit unserer internationalen Hilfsorganisation Kirche in Not (ACN) auf einer Projektreise in der Ukraine. Dort habe ich viele Menschen, Priester, Ordensleute und Bischöfe getroffen, mit denen ich mich seither stark verbunden fühle.
Welche Eindrücke haben Sie damals von Land und Menschen gewinnen können?
Wir sind mit dem Auto praktisch durch das ganze Land gefahren – von Lemberg (Lwiw) über Odessa-Mariupol, die Donbas-Region (Donezk und Luhansk), Saporischschja nach Charkiw bis Kiew. Die freundlichen, aufgeschlossenen Menschen, denen wir begegneten, zeigten eine grosse Offenheit gegenüber dem Westen. Es war die Zeit, als die Kämpfe in der sogenannten ATO-Zone (Anti-Terrorist-Operation-Zone) im Gebiet des Donbas stattfanden und die Annexion der Krim die Menschen damals stark beschäftigte.
Was erfahren Sie von Projektpartnern in der Ukraine über die momentane Lage vor Ort?
Wir stehen mit ihnen in engem Kontakt. Täglich bekommen wir News via WhatsApp, darunter auch Videos, die wir auf unserer YouTube-Seite, unseren Social Media-Kanälen sowie unserer Homepage veröffentlichen. Wir erfahren von ihnen, dass die Lage im ganzen Land katastrophal und tragisch ist und sich immer weiter zuspitzt. Angst, Schrecken, Trauer, Wut und eine grosse Ungewissheit beherrschen den Alltag.
Welche Gebiete sind besonders stark betroffen und wie geht es den Menschen dort?
Besonders stark betroffen sind die Fronten rund um die Hauptstadt Kiew und die zweitgrösste Stadt Charkiw im Nordosten des Landes. Dort finden die meisten Bombenangriffe statt. Auch andere Städte wie Cherson, Isjum, Sumy und Winnyzja sind umkämpft. Besonders tragisch ist die Situation in der strategisch so wichtigen Hafenstadt Mariupol im Süden des Landes. In Mariupol gibt es keine Strassen mehr ohne kaputte Fenster, zerstörte Wohnungen oder Häuser. Es heisst, die Stadt habe derzeit weder Strom, noch Wasser oder Gas.
Dienen die Kirchen vielerorts als Zufluchtsorte?
Ja. Pater Mateusz von der röm.-kath. Gemeinde St. Antonius in der Hauptstadt Kiew ist Tag und Nacht bei seiner Gemeinde und spendet Zuversicht in einem Bunker, wo er mit 30 Gläubigen Unterschlupf gefunden hat. Die Kirchen und Klöster sind jedoch stark durch Angriffe bedroht. Eine Schwesterngemeinschaft im Norden des Landes musste sich schon mehrmals im Keller ihres Klosters in Sicherheit bringen. In der Nähe sind bereits mehrere Bomben eingeschlagen und haben Zivilisten getötet. Deshalb haben die Schwestern drei Familien bei sich aufgenommen, die grosse Angst um ihr Leben haben. Die Nonnen selbst schlafen mit Ordensgewand und Schleier, um jederzeit aus ihren Zimmern rennen zu können. Viele Ukrainer*innen flüchten auch aus dem Land, die meisten über die polnische Grenze.
Kirche in Not sammelt derzeit Spenden für die Menschen in der Ukraine. Wie laufen diese Unterstützungshilfen an?
Wir erfahren seit Ausbruch des Krieges eine gewaltige Hilfsbereitschaft und bekommen Spenden von Privatpersonen, aber auch von zahlreichen Pfarreien, die der Kirche in der Ukraine beistehen wollen.
Die erste finanzielle Hilfe in Höhe von insgesamt 1,3 Mio. Franken kommt 22 Initiativen von Ordensleuten und Priestern der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche (UGCC) und der Römisch-Katholischen Kirche (RCC) zugute. Damit sollen vor allem Projekte in der Ostukraine unterstützt werden. Waisenhäuser, Altenheime oder Heime für alleinerziehende Mütter erhalten so Hilfe über die begünstigten Diözesen.
Weltweit zeigen sich Gläubige solidarisch. Auch in der Schweiz wird beispielsweise gemeinsam gebetet und landesweit ertönen die Kirchenglocken. Wie werten Sie diese Zeichen?
Das zeigt uns, dass die Menschen die Nächstenliebe nicht nur in der Theorie leben, sondern auch in der Praxis umsetzen möchten. Neben der Sammlung von Geld und Sachspenden zeigen sich viele Schweizer*innen offen, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Das sind alles ermutigende Zeichen in dieser Zeit der Not und des Krieges. Man muss sich auch bewusst sein, dass diese Hilfe nicht ein 100-Meter-Lauf, sondern eher ein Marathon ist. Der Ukraine-Krieg und seine Folgen werden uns noch Monate, sogar Jahre beschäftigen, da das Ausmass der Zerstörung an Gebäuden, aber auch an den Seelen der Menschen enorm ist.
Interview: Sarah Stutte, forumKirche, 16.03.2022
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