Neue Serie Stammtischgespräche
An den Stammtischgesprächen im Brauhaus Sternen in Frauenfeld, stellen wechselnde Referentinnen und Referenten in einem Kurzreferat ein aktuelles Thema aus dem Bereich Naturwissenschaften, Ethik oder Religion vor und diskutieren danach mit den Anwesenden. Ein Ausblick auf die nächste Gesprächsrunde im Herbst.
Die sogenannten «Evangelischen Räte», also die drei Gelübde der Ordensleute zu «Armut, Gehorsam und eheloser Keuschheit» greifen die wesentlichen Problemfelder des menschlichen Lebens auf. Die Entstehung der mönchischen Versprechen liegt in der Antike. Einige Zeit nach Jesu Tod und Auferstehung versuchten Menschen die Nachfolge Jesu radikal zu leben. Sie zogen sich wie Jesus in die Wüste zurück um Gott nahe zu sein und aus der Verbindung mit ihm und aus seinem inspirierenden Geist ihr Leben «gottgefällig» zu gestalten – dies aber nicht nur wie Jesus während 40 Tagen, sondern über immer längere Zeiträume. Sie lebten zunächst als Einsiedler für sich. Dabei mussten sie erfahren, dass aus ihrem Inneren (psychologisch gesprochen aus dem Unbewussten) Gedanken und Bilder auftauchten, die sie erschreckten und sie in krisenhafte Zustände versetzten. Die ersten «Wüstenväter und -mütter» gaben ihnen einen Namen: «Dämonen»! Erfahrene Mönche und Nonnen begannen die unerfahrenen zu beraten und zu begleiten, wie sie mit solchen Dämonen, Versuchungen und eigenen «Abgründen» umgehen konnten. (1)
So formten sich mit der Zeit Einsiedlergemeinschaften, die einen gewissen Austausch untereinander pflegten, manche Gottesdienste gemeinsam feierten, miteinander beteten, die Nahrung miteinander teilten und miteinander für das Notwendigste zum Überleben sorgten. Es begannen sich Lebensgemeinschaften und später Klöster zu bilden, die allerdings auch das Beachten gewisser Grundregeln einforderten. Daraus entwickelten sich später die Ordensregeln – die berühmteste ist die Regel des Benedikt von Nursia (6. Jahrhundert).
Aus dem gemeinsamen Leben in der Nachfolge Jesu kristallisierten sich drei «Ratschläge aus dem Evangelium» heraus: Armut, Gehorsam und ehelose Keuschheit. Sie spiegeln und kontrastieren wesentliche urmenschliche Antriebe und Sehnsüchte: Das Verlangen nach Reichtum, Ansehen, Ruhm und Ehre, das Begehren nach Macht, Bedeutung und Autorität sowie das Suchen nach Erfüllung in der Sexualität, nach tiefer Beziehung und Liebe. Alle diese Begehren sind aber auch mit Versuchungen und «Dämonen» verbunden, nämlich wenn sie statt von Liebe von Egoismen und blind machender Gier gesteuert sind. Das Ziel der Mönche war jedoch, ein evangeliumgemässes Leben zu verwirklichen. Dazu animierte sie das Vorbild Jesu, der ein Gegenprogramm zu einem von Haben, d. h. von Materialismus, Leistung, Stärke und Ruhm geprägten Leben vorgelebt hatte. Seine Existenz stand unter dem Leitspruch, ein friedvoller und liebender «Diener aller» zu sein. Dies steht im Kontrast zu Motiven vieler Persönlichkeiten in Gesellschaft, Kirche und Öffentlichkeit.
Die mönchischen Gelübde versuchen dieses Programm Jesu weiterzutragen und lassen es bewusst in ihre Grundhaltungen einfliessen: Ein Leben in Armut und Bescheidenheit, in der Bereitschaft zu teilen und in Solidarität mit den Geringgeschätzten und Verachteten. Dies verbunden mit einem Gehorsam (kommt von «hören auf») gegenüber Gottes Willen, in der Bereitschaft sich zurückzunehmen und zu dienen, damit Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Friede Raum erhalten. Alles mitgetragen von einer ehelosen Keuschheit, d. h. in einer sexuellen Enthaltsamkeit, um nicht für einen einzigen Menschen da zu sein, sondern für viele, als Zeichen gegen Ausbeutung und Missbrauch von Liebe in einer hilfreichen Distanz und doch nahen Verbundenheit.
Dies ist als solches ein hoher Anspruch an die einzelnen Menschen. Es ist wohl nur konkret lebbar in einer Gemeinschaft, die ihre Verbundenheit untereinander pflegt, in lebendigem Austausch miteinander bleibt und aus der göttlichen Quelle Kraft schöpft um täglich diesem Auftrag zu entsprechen, d. h. auf die tägliche Herausforderung eine Antwort zu geben. Wenn wir in die Christentumsgeschichte zurückblicken, so wird deutlich, dass gerade Ordensgründer/-innen und Ordensleute dieses Kontrastprogramm Jesu in Gesellschaft und Kirche sichtbar und leuchtend gemacht haben. Ein wahrhaft prophetischer Dienst für und an Menschen ihrer Zeit, worin sichtbar wird, wie Gott handelnd unter den Menschen präsent und uns nahe ist (z. B. Franz von Assisi, Teresa von Avila, Charles de Foucauld, Mutter Teresa).
Herausforderungen und Fragen an unsEs ist ungeheuer spannend, dass diese Evangelischen Räte den Finger auf die Knackpunkte des Lebens, des Menschseins und unseres Zusammenlebens legen. Aber entscheidet sich nicht an gerade diesen Fragen letztlich das Gelingen unseres Lebens, unseres Miteinanders? Wohin führt ein Leben, wenn nur jeder auf sich selber schaut? Brauchen wir nicht diese jesuanischen Hinweise auf eine andere Freiheit der Töchter und Söhne Gottes? Sind nicht solche Gegenbewegungen und Alternativen zum Herkömmlichen ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft und der Kirche? Unter welchen Bedingungen können wir ein verheissenes Leben in Fülle erwarten? Die Stammtischgespräche von September bis Dezember gehen diesen Impulsen und Fragestellungen nach.
Erster Termin: 4. September 2019 um 20:00 Uhr, Brauhaus Sternen (Malzboden), Frauenfeld.
Gespräch mit P. Gregor Brazerol, Prior der Benediktinergemeinschaft von Fischingen.
Thema: Life for Future – Nachfolge Jesu als Herausforderung heute.
Bruno Strassmann/Red. (5.8.2019)
(1) Literatur zum Thema:
- Michael Cornelius: Die Weisheit der Wüstenmönche. Von der Kunst, das Leben zu meistern, München 2005.
- Daniel Hell: Die Sprache der Seele verstehen. Die Wüstenväter als Therapeuten, Freiburg im Breisgau, 6. Auflage, 2005.
- Anselm Grün: Der Umgang mit dem Bösen. Der Dämonenkampf im Alten Mönchtum, Münsterschwarzach 2001.
- Der Himmel beginnt in dir. Das Wissen der Wüstenväter für heute, Freiburg i. Br. 2012.
Bei der feierlichen Profess – wie hier in Gwiggen – bekennt man sich zu Armut, Gehorsam und Keuschheit.
Bild: Bruno Strassmann
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