Dietrich Bonhoeffers Leben bietet auch 75 Jahre nach seinem Tod noch eher unbekannte Seiten, die es zu entdecken gilt. Er pflegte nicht nur intensive Kontakte mit reformierten Pfarrern in der Schweiz, er war auch als geheimer Informant im Amt Ausland/Abwehr der deutschen Wehrmacht hierzulande unterwegs. 

 

Am 9. April 2020 jährt sich zum 75. Mal die Ermordung des evangelischen Pfarrers Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg. Hans Rudolf Fuhrer, Militärhistoriker aus Meilen, befasst sich sein einigen Jahrzehnten intensiv mit dem Leben des deutschen NS-Widerstandskämpfers. 

Dietrich Bonhoeffer fasste zusammen mit Hans von Dohnanyi und Friedrich Justus Perels, zwei deutsche Juristen und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, im Herbst 1941 einen Entschluss: „Sie wollten Charlotte Friedenthal, einer jüdische Mitarbeiterin in der Bekennenden Kirche  - eine Oppositionsbewegung evangelischer Christen, die sich bewusst gegen die  "Deutschen Christen", die dem Nationalsozialismus anhingen, wandten - die Flucht in die Schweiz ermöglichen“, weiss Hans Rudolf Fuhrer. Das Unternehmen Sieben (U7) sei gewagt worden. Dietrich Bonhoeffer habe Karl Barth und Alphons Koechlin, damals Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchbundes, beim Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei, Heinrich Rothmund um ein Einreisevisum für sie gebeten. 14 Personen, darunter Friedenthal, gelang im Herbst 1942 schliesslich die Flucht in die Schwei .

Hans von Dohnanyi stellte den deutschen Theologen unter einen „besonderen“ Schutz: Er habe, so Hans Rudolf Fuhrer, ihn als so genannten V-Mann, also als geheimen Informanten, in der Spionageabteilung eingebaut, um ihn so vor der Gestapo zu schützen. Bonhoeffer sollte in der Schweiz in geheimer Mission über seine Kontakte zum Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf Verbindungen zu den Alliierten knüpfen.

Riskanter Einsatz

Dietrich Bonhoeffers Tätigkeit als V-Mann weckte nicht nur im Reichssicherheitshauptamt in Berlin Argwohn, sondern auch bei Hans Bernd Gisevius, Landesvertreter der Spionageabteilung Ausland/Abwehr in Zürich. „Er stellte sich wohl die Frage, was dieser Pfarrer, der keine Erfahrung im Nachrichtendienst hatte, in der Schweiz solle“, mutmasst Hans Rudolf Fuhrer.
Das Perfide an dieser Operation war, so Fuhrer, dass das Unternehmen U7 in der Schweiz Geld benötigte, um den Juden einen Lebensunterhalt zu ermöglichen. Diese Transaktionen durch Dohnanyi in die Schweiz seien jedoch von Bonhoeffers Führungsoffizier Wilhelm Schmidhuber in München im Verhör verraten worden. Bonhoeffer und Dohnanyi wurden verhaftet. 

Kontakte zu reformierten Pfarrern 

Nicht nur zu Alphons Koechlin und zu Karl Barth hatte Dietrich Bonhoeffer engen Kontakt, so  Hans Rudolf Fuhrer. Zu nennen seien weiter die Basler Pfarrer Eduard Thurneysen und Wilhelm Vischer, die Zürcher Emil Brunner und Erwin Sutz, sein Freund aus der gemeinsamen amerikanischen Studienzeit, sowie der Genfer Kreis des Ökumenischen Rats der Kirchen um Willem Visser ‘t Hooft, mit denen Bonhoeffer in intensivem theologischem Austausch stand. 

Hans Rudolf Fuhrer betont: „Bonhoeffer war oft und gern im sogenannten Bergli in Kilchberg zu Gast. Das war ein kleines Landhäuschen der Familie Pestalozzi. Diese lernte er über Karl Barth kennen.“ Der Zürcher kann sich gut vorstellen, warum Bonhoeffer die Nähe zu Schweizer Pfarrkollegen so schätzte: „Da er in Deutschland abgeschottet war, stürzte er sich als bildungshungriger Mensch hier in theologische Debatten. Er wollte wissen, was in der Theologie gerade anstand und wohin sie sich entwickelte.“ Vor allem deshalb habe er alle verfügbaren Kontakte in der Schweiz aufgesucht.

Hans Rudolf Fuhrer war bei seinen Recherchen zu Bonhoeffer in der Schweiz erstaunt, dass er im Bundesarchiv keine Akte über ihn fand. Auch sei ihm hierzulande keine Gedenktafel bekannt, die an Bonhoeffers Reisen in die Schweiz erinnern. 

Bonhoeffer ist zeitlos aktuell

Was bleibt von Dietrich Bonhoeffer? Hans Rudolf Fuhrer sagt über den gebürtigen Breslauer: „Sein letzter Weihnachtsbrief von 1944 mit dem Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen ...“. ist zu einer ewigen Botschaft an die verzweifelte und zweifelnde Menschheit geworden.“

Für Christiane Tietz, bis 2018 Vorsitzende der deutschsprachigen Sektion der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft, bleibt Dietrich Bonhoeffers Haltung und Handeln zeitlos aktuell. Gegenüber kath.ch sagt sie: „Bonhoeffers Grundgedanke, dass jeder Mensch in seiner konkreten Situation verantwortungsvoll zu leben hat, ist durchgängig aktuell. In einer Situation von wiedererstarkendem Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus besitzt sein Denken natürlich besondere Aktualität."

Vera Rüttimann, kath.ch (8.4.20)


Dietrich Bonhoeffer

Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer wurde am 4. Februar 1906 in Breslau geboren. 1912 zog die Familie nach Berlin um. Von 1923-1927 studierte er evangelische Theologie in Tübingen, Rom und Berlin. 1933 galt Dietrich Bonhoeffer bereits als entschiedener Gegner der Nationalsozialisten. Er war Mitarbeiter der Bekennenden Kirche und wurde zu einem der führenden Theologen dieser kirchlichen Oppositionsbewegung. Ab 1940 vom Widerstandskreis der Spionageabwehr getarnt, benutzte er seine Auslandsreisen, um dort über den Widertand gegen Hitler zu informieren. 1943 wurde er verhaftet und im das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Berlin-Tegel inhaftiert. Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg durch die SS erhängt. (vr)

Teaserbild: © Vera Rüttimann


 

Bonhoefer
Plakat mit dem Bildnis von Dietrich Bonhoeffer auf der Empore in der Zionskirche, Berlin-Mitte.  Bild: © Vera Rüttimann

 

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