Das Chorfenster der St. Laurentius Kirche

Das Glasgemälde im Chor der St. Laurentius Kirche in Frauenfeld Oberkirch gehört aufgrund seines Alters zu den bedeutendsten mittelalterlichen Glasmalereien der Schweiz. Das um 1320 entstandene Kunstwerk hat nichts an seiner schlichten Schönheit eingebüsst.

Das St. Laurentiusfenster – ein schmales hohes Fenster mit einem Spitzbogen - besteht aus drei Lanzetten zu je drei Feldern. Die untersten drei Lanzetten sind mit Ornamentmustern ausgelegt, die an Sterne und Pflanzen erinnern. In der Mitte stehen drei Figuren in tabernakelartigen Rahmen. Links und in der Mitte werden der Verkündigungsengel und Maria dargestellt, rechts der Kirchenpatron Laurentius mit einem Rost. In den drei darüberliegenden Rahmen liegt das Zentrum des Bildes mit dem gekreuzigten Jesus in der Mitte, links steht Maria, rechts Johannes. Zuoberst schliesst ein Vierpass mit einem Brustbild Christi - in anderen Quellen steht auch Gottvater - das Gemälde ab. 

Maria mit farblosem Gesicht
So viel zur Ikonographie des Glasgemäldes. Was mich beim Betrachten am meisten beeindruckt, ist der Gesichtsausdruck Jesu am Kreuz. Er ist nicht schmerzverzerrt oder leidend, wie man es oft sieht, sondern wirkt eher sanft, verklärt. Wissend um das Opfer, das er mit seinem Tod eingegangen ist. Und wissend wohl auch, dass er am dritten Tag wieder auferstehen wird, um den Menschen den Glauben und den Frieden zu bringen. Beim Wort Frieden bleiben meine Gedanken hängen. Seit gut 700 Jahren existiert dieses Kirchenfenster bereits und musste sich, glücklicherweise, vor keiner gewalttätigen Zerstörung fürchten. Mir wird gerade in dieser unsicheren Zeit mit dem Angriffskrieg in der Ukraine, aber auch Konflikten in anderen, in den Hintergrund geratenen Kriegsgebieten bewusst, wie privilegiert wir in der Schweiz leben dürfen. Der Friedensfürst ist heute mehr denn je gefordert und die Menschen scheinen aufgrund der Pandemie sowie des Ukrainekriegs wieder vermehrt das Gebet zu suchen – vorübergehend zumindest. Was mir ebenfalls auffällt, sind die Arme des gekreuzigten Jesus, die wie zu einer Schale geformt sind. Um die Leiden der Menschen aufzunehmen? Um Gottes Segen zu empfangen? Die Erklärung dazu lässt sich nicht finden und scheint der mittelalterlichen Darstellungsweise zu entsprechen. Was mir ein Rätsel aufgibt, ist die zweifache Darstellung Marias. Beide Male sind ihr Gesicht, ihre Hände sowie ihr Schleier durchsichtig und heben sich so von den beherrschenden Farben wie rot, blau und grün deutlich ab. Ich frage mich, was es wohl damit auf sich hat. Soll damit die Unschuld Marias dargestellt werden? Auch diese Frage meinerseits bleibt unbeantwortet.

Hoher Anteil originaler Substanz
Rückt man näher an das vier Meter hohe und 1.40 Meter breite Fenster heran, so ist das Alter der bunten Scheiben deutlich erkennbar. Obwohl die Farben noch über viel Leuchtkraft verfügen, sieht man vor allem beim farblosen Glas die Ablagerungen der Jahrhunderte. Das Fenster hat einen ausserordentlich hohen Anteil an originaler Substanz (vgl. www.vitrosearch.ch). Dies betrifft sowohl den Glasbestand sowie die Verbleiung. Insbesondere die Bildzonen stammen mit wenigen Ausnahmen aus dem 14. Jahrhundert. Es wurden farbige wie farblose Gläser verwendet, die mit Schwarzlot bemalt wurden. Wer das Kunstwerk hergestellt hat, ist unbekannt. Die Ähnlichkeit der zarten, filigranen Figuren sowie der Ornamente verweist auf verschiedene Kirchenfenster in Konstanz um 1320. Somit dürfte das Fenster aus einer Konstanzer Werkstatt stammen.

In katholischem wie evangelischem Besitz
Nicht nur das Glasgemälde versetzt mich in eine mir unbekannte, weit zurückliegende Zeit. Auch die gesamte Kirche versprüht einen Hauch von Geschichte. Bereits im 9 Jahrhundert nach Christus wurde die St. Laurentiuskirche urkundlich erwähnt. So schlicht und anmutig die Figuren auf dem Glasgemälde daherkommen, so präsentiert sich auch der Innenraum der Kirche: eine unspektakuläre, flache Holzdecke, wenig ausgeschmückte Fenster, Freskenreste beim Seitenaltar und in der Fensterleibung. Ein grosser Pluspunkt des ältesten Sakralbaus in Frauenfeld liegt aus meiner Sicht in dessen Parität, da er im Besitz der evangelischen und der katholischen Kirchgemeinde Frauenfeld ist. Die Kirche wird vor allem für Abdankungen genutzt, wovon auch der weit angelegte Friedhof Zeugnis gibt. Zu jeder Jahreszeit wetteifern die Pflanzen sowie die zahlreichen Bäume und Sträucher mit den Farben des wertvollen Glasgemäldes. 

Claudia Koch, 22.06.2022


Zur Serie «Glasmalereien
Im Frühjahr veröffentlichten die Museen Thurgau in Kooperation mit der Denkmalpflege des Kantons Thurgau und mit Thurgau Tourismus die Karte «Gläserne Welten. Exkursionen im Thurgau». Sie weist auf besondere Glasfenster hin, die es sich anzuschauen lohnt. Angeregt durch diese Erlebniskarte startet forumKirche in dieser Ausgabe die Sommerserie «Glasmalereien», in der verschiedene Glasfenster mit persönlichen Eindrücken und Hintergrundinformationen vorgestellt werden. Die Beiträge sollen bei den Leser*innen das Interesse für diese lokalen Kostbarkeiten wecken und sie dazu animieren, sich das eine oder andere Fenster im Original anzuschauen. Begleitend zur Karte ist auch das Buch «Licht- und Farbenzauber. Glasmalerei im Thurgau» erschienen. Den Download der Erlebniskarte und weitere Anregungen dazu findet man auf www.thurgau-bodensee.ch/de/stories/glas-und-gloria.html. (dk)
 

St. Laurentiusfenster
Quelle: © Christoph Gysin, Amt für Denkmalpflege Thurgau
Das St. Laurentiusfenster zählt zu den bedeutendsten mittelalterlichen Glasmalereien in der Schweiz.

 

 

St. Laurentiusfenster
Quelle: © Christoph Gysin, Amt für Denkmalpflege Thurgau
St. Laurentiusfenster

 

 

St. Laurentiuskirche in Frauenfeld Oberkirch
Quelle: Claudia Koch
Die St. Laurentiuskirche in Frauenfeld Oberkirch wurde bereits im 9. Jahrhundert urkundlich erwähnt.

 

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