Die KVI aus Sicht eines Wirtschaftsethikers

Am 29. November wird über die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative (KVI) abgestimmt. Sie verlangt, dass Unter - nehmen mit Sitz in der Schweiz die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland respektieren müssen. forumKirche sprach mit Florian Wettstein, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, über die Hintergründe und die Wirkungen der Initiative.

Warum engagieren Sie sich für die KVI?

Mein Engagement ist über viele Jahre natürlich gewachsen. Ich beschäftigte mich schon in meiner Doktorarbeit mit dem Thema «Wirtschaft und Menschenrechte», nur war es damals noch kein gesellschaftlich breit diskutiertes Thema. Ich war auch schon als Botschafter bei der Kampagne Recht ohne Grenzen, dem Vorläufer der KVI, mit dabei. Von daher war es selbst - verständlich, dass ich mich auch für die Initiative engagiere. Mein Engagement kommt aus der tiefen wissenschaftlichen Überzeugung heraus, dass dies der richtige Weg für die Schweiz ist.

Haben sich Schweizer Konzerne in den letzten Jahren aus ethischer Sicht bewegt? Achten sie mehr auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards? 

Es kommt darauf an, wo man hinschaut. Es gibt gewisse Branchen, die mussten sich bewegen, z. B. die Rohstoffbranche. Vor 10 Jahren war Glencore noch kaum jemandem ein Begriff. Heute ist der problematische Fussabdruck der Branche ein öffentliches Thema. In der Branche ist das Bewusstsein gestiegen, aber das alleine reicht leider nicht aus. Sicherlich gibt es in allen Branchen Unternehmen, die sich kontinuierlich verbessern. Aber es gibt auch die anderen, die die Einhaltung der Menschenrechte nicht als ihre Priorität oder überhaupt als ihre Aufgabe anschauen. Die Entwicklung geht allgemein viel zu schleppend voran und es wird zu wenig für die Umsetzung der UNO-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 getan.

Deswegen ist aus Ihrer Sicht auch eine gesetzliche Vorgabe notwendig?

Ja. Die Unternehmen und die Wirtschaftsverbände beteuern, dass mit freiwilligem Engagement mehr erreicht werden kann. Aber auf freiwilliger Basis ist einfach zu wenig geschehen. Auch die Forschung zeigt immer wieder, dass das Zusammenspiel von verbindlichen Mindestanforderungen und dem darauf aufbauenden freiwilligen Engagement zielführend ist.

Die Gegner der Initiative äussern das Bedenken, dass ein Unternehmen nicht die ganze Lieferkette kontrollieren kann? Wie sehen Sie das? 

Das ist für Unternehmen durchaus machbar. Eigentlich müssten sie das ja auch schon längst tun. Denn seit 2011 gelten die UNO-Leitlinien, für die sich sowohl die Schweizer Regierung als auch die meisten Schweizer Grossunternehmen explizit ausgesprochen haben. In den Leitlinien, die nicht gesetzlich verbindlich sind, wird von den Unternehmen gefordert, ihrer Sorgfaltspflicht nachzukommen. Damals hat niemand gesagt, dass das nicht möglich sei. Und jetzt, da die Sorgfaltspflicht gesetzlich verbindlich werden soll, wird eingewendet, dass das zu viel Aufwand bedeute, dass es zu teuer werde, dass es einen Wettbewerbsnachteil bringe.

Ist der juristische Weg, den die KVI einschlägt, der richtige?

Die Schiene der freiwilligen Standards fährt man nun seit rund 40 Jahren– mit bescheidenem Erfolg. Es braucht gesetzlich verbindliche Regeln, nicht zuletzt, um die freiwilligen Standards effektiver zu machen. Im Idealfall würden solche Regeln global gelten. Deshalb wird im UN-Menschenrechtsrat derzeit ein verbindliches Abkommen zur unternehmerischen Menschenrechtsverantwortung verhandelt. Die EU hat angekündigt, dass sie nächstes Jahr ein entsprechendes Gesetz verabschieden wird. Auch die Schweiz wird sich dem nicht auf die Länge entziehen können, da führt kein Weg daran vorbei. Wir haben jetzt die Wahl, ein auf die Schweiz zugeschnittenes Gesetz basierend auf der KVI zu erlassen, oder wir übernehmen es in fünf Jahren von der EU und wettern dagegen, dass uns diese Bestimmungen von aussen aufs Auge gedrückt werden. Für mich ist die erste Alternative die bessere.

Welcher Einwand gegen die KVI wiegt aus Ihrer Sicht am meisten?

«Einwand» ist der falsche Begriff. Ich verstehe gewisse Sorgen, die die Gegner äussern. Z. B. das Argument, dass sich gewisse Unternehmen aus Risikogebieten zurückziehen könnten und dass dies unter Umständen mehr schadet als nützt. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage ist wichtig. Ich glaube aber, dass es gewichtigere Gegenargumente gibt. Die Angst vor fabrizierten Klagen ist überzogen, denn die Hürden, einen solchen Fall in die Schweiz zu bringen, sind sehr hoch. Ausserdem ist die Initiative ja gerade deshalb so angelegt, dass vertieftes Engagement vor Ort das Haftungsrisiko senkt, nicht erhöht. Das ist ein entscheidender Vorteil der Initiative gegenüber ähnlichen Bestimmungen im Ausland.

Wie beurteilen Sie den indirekten Gegenvorschlag, der bei Ablehnung der Initiative in Kraft treten soll?

Auch hier sollte man sich an den Erfahrungen im Ausland und an der Forschung orientieren. Solche Berichterstattungspflichten haben im Ausland schlicht nicht zu den gewünschten Resultaten geführt. Die Berichterstattungsquote ist bei den Unternehmen sehr tief, weil die Verbindlichkeit fehlt, und die Veränderungen, die damit angestossen werden sind vernachlässigbar. Aufgrund dieser Erfahrungen kann ich nicht nachvollziehen, dass man nun in der Schweiz auf solche Bestimmungen setzen soll – das ist reine Augenwischerei.

Wie nehmen die europäischen Nachbarländer die dort ansässigen Konzerne in die Verantwortung?

Es gibt einen klaren Trend zu gesetzlich verbindlichen Sorgfaltspflichten. Frankreich hatte als erstes europäisches Land ein Gesetz, das eine umfassende menschenrechtliche Sorgfaltspflicht einfordert (loi de vigiliance, am 21.02.17 verabschiedet). Deutschland wird ein Lieferkettengesetz verabschieden, welches in eine ähnliche Richtung zielen wird. Vorausgegangen ist eine Studie, die bei den grössten deutschen Unternehmungen die Umsetzung der UNO-Leitlinien überprüft hat. Gemäss Nationalem Aktionsplan sollte bei einer Umsetzungsquote unter 50 Prozent ein entsprechendes Gesetz erlassen werden, was nun der Fall ist. Die Niederlande haben gerade ein Sorgfaltsprüfungsgesetz in Bezug auf Kinderarbeit verabschiedet. In Grossbritannien sind Klagen gegen Unternehmungen, die im Ausland Menschenrechte verletzen seit Jahren möglich. In vielen weiteren Ländern wie Schweden, Finnland oder Luxemburg laufen Initiativen, die in eine ähnliche Richtung gehen.

Wie erleben Sie die Diskussionen rund um die Initiative?

Man muss sich immer vor Augen halten, dass es bei der Initiative um Menschen geht, denen die Lebensgrundlage entzogen wird, die Angehörige verlieren, die vergewaltigt werden, deren fundamentalste Ansprüche missachtet werden und die vor Ort oft keine Möglichkeit haben, ihr Recht einzufordern. Es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, dass wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür einsetzen, dass diese Menschen irgendwo die Möglichkeit erhalten, zu ihrem Recht zu kommen. In der Diskussion um die Initiative und in der breiten Berichterstattung dazu geht es viel zu viel um uns, welche Auswirkungen die Initiative auf unseren Wohlstand hat, oder ob wir dann mehr für eine Tafel Schokolade bezahlen müssten. Wir sprechen viel zu wenig über die Menschen, um die es bei der Initiative eigentlich geht, geschweige denn, dass wir sie selbst zu Wort kommen lassen.

Was hat die Initiative bisher bewirkt?

Sie hat eine breite Diskussion angestossen. Vor sieben Jahren noch wäre es undenkbar gewesen, dass sich eine so breite Öffentlichkeit mit diesem Thema, den Argumenten und Auswirkungen so fundiert auseinandersetzt. Selbst wenn die Initiative abgelehnt werden sollte, ist diese Auseinandersetzung als grosser Erfolg zu werten. Die Unternehmen wissen nun, dass ein Grossteil der Bevölkerung Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten nicht goutiert.

Was braucht es darüber hinaus, um die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards im wirtschaftlichen Bereich zu verbessern?

Es braucht Massnahmen auf verschiedenen Ebenen, die aufeinander abgestimmt sind. Politikkohärenz ist zentral. Man kann nicht ein derartiges Gesetz erlassen und in anderen Politikbereichen Ziele verfolgen, die handkehrum das Gesetz wieder aushöhlen. Z. B. beim Abschluss von Freihandelsabkommen müssen solche Bestimmungen konsequenterweise ebenfalls als Zielgrösse einfliessen. Auf regionaler und internationaler Ebene wäre es ebenso wichtig, entsprechende Regeln vorzugeben. Wie erwähnt, laufen auf UNO-Ebene entsprechende Verhandlungen, der Ausgang ist allerdings offen. Dass ein solcher Mindeststandard globale Gültigkeit haben sollte, ist offensichtlich.

Interview: Detlef Kissner, forumKirche, 3.11.20

Prof. Dr. Florian Wettstein
Quelle: zVg
Prof. Dr. Florian Wettstein ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen.

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