Über das Hungertuch von Emeka Udemba
Die Luzerner Theologin Jacqueline Keune hat im Auftrag der Fastenaktion Meditationstexte zum diesjährigen Hungertuch verfasst. Im Gespräch erzählt sie, wie sie sich dazu hat inspirieren lassen.
Was sehen Sie auf dem neuen Hungertuch?
Ich sehe eine Erde, die fällt, und eine Gegenbewegung, die versucht, diesen Fall zu verlangsamen oder aufzuhalten. Das Bild macht auf mich den Eindruck eines Flickenteppichs, in den roten und gelben Flecken sehe ich Blut und Feuer. Die Buchstaben wirken wie Dauergerede – ein Kommentieren und Analysieren, um das komplexe Ganze zu begreifen.
Das Originalbild ist auf Zeitungen gemalt, einzelne Titelworte wie «Vom Anfang» oder «Der Mensch» schimmern noch durch. War dieser Entstehungsprozess für Sie wichtig?
Ja, das hat mir einen Zugang zum Bild verschafft. Auf den ersten Blick erscheint es als sehr einfache Darstellung einer hochkomplexen Wirklichkeit. Auf den zweiten Blick sehe ich, dass es sich aus Hunderten kleiner Zeitungsfetzen zusammensetzt. Diese benennen grausame, banale oder hoffnungsvolle Realitäten dieser Welt. Für dieses Bild wurde zusammengeklebt, ausgebessert, übermalt. Genauso erlebe ich die Welt. Diese Entsprechung von innen und aussen gefällt mir sehr.
«Was ist uns heilig?» lautet der Titel des Tuches. Wie verstehen Sie diese Frage?
Was macht uns Staunen? Was löst Gefühle von Ehrfurcht aus? Was tasten wir nicht an? Was machen wir um keinen Preis zu Geld?
Wie lautet Ihre Antwort darauf?
Manchmal werde ich von etwas so ergriffen, dass ich das Gefühl bekomme, ich erlebe gerade etwas von der Macht des Heiligen. Die letzten Stunden im Leben meiner Freundin Rita. Das war für mich eine Begegnung mit dem Heiligen. Auch im ersten Kuss von Markus, meinem heutigen Mann, habe ich etwas von der Nähe des Himmels gespürt, oder wenn ich tief im Wald unterwegs bin.
Wie sind Sie vorgegangen, um von diesem Bild zu Ihren Meditationstexten zu kommen?
Ich habe das Bild immer wieder angeschaut und es am Computer vergrössert. Zuerst dachte ich: Ich kann einen, aber nicht sieben verschiedene Texte darüber schreiben. Je länger und genauer ich es angeschaut habe, desto vielschichtiger wurde es.
«In unserer Hand liegt es» lautet die letzte Zeile des letzten Textes. Welche Möglichkeiten haben Sie, haben die Gläubigen in den Pfarreien, damit «die Blätter der Bäume aufatmen»?
Ich bin oft nahe daran, die Hoffnung komplett zu verlieren, wenn ich in die Welt schaue. Darum ist es wichtig, mir selbst immer wieder zu sagen: Wir sind nicht ohnmächtig, wir sind teilmächtig. Nicht nur politische Weichenstellungen oder grosse Aktionen sind von Bedeutung, sondern jeder Schritt zählt.
Wie sehen solche Schritte aus?
Für mich ist es wichtig, mich ausschliesslich mit dem ÖV oder aus eigener Muskelkraft zu bewegen. Beim Einkaufen leiten mich zwei Fragen: Brauche ich das wirklich? Habe ich genug Zeit für das, was ich kaufe? Ein deutscher Ökonom sagte einmal, wir sollten nur so viel konsumieren, wie wir auch Zeit haben, den Dingen unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Sonst werde das Gekaufte zum Ballast.
Können solche kleinen Schritte etwas verändern?
Wenn wir konsequenter und solidarischer wären, dann hätten wir eine ungeheure politische Macht – als Einzelne und miteinander. Darum habe ich Mühe mit Fürbitten, die Gott darum bitten, er solle den Hunger wegmachen. Es ist unsere Aufgabe, für Gerechtigkeit zu sorgen.
«Für welche Welt wollen wir verantwortlich sein?» lautet das Motto der diesjährigen Kampagne. Wie lautet Ihre Antwort auf diese Frage?
Es gibt nur diese Welt. Ich habe eine kleine Mitverantwortung für diese Welt, in der Hunderttausende Menschen im Südsudan oder in Somalia Hunger leiden. In der über dem indischen Kontinent Vögel tot vom Himmel fallen, weil die Temperaturen auf 50 Grad ansteigen. Das ist aber auch die Welt, in der sich junge Menschen an kerngesunde Bäume ketten, weil sie verhindern wollen, dass ein Grosskonzern sie fällt, um den Kohleabbau auszuweiten.
Sylvia Stam/Red., Erstpublikation im Kantonalen Pfarreiblatt Luzern, 01.03.2023
Zum Hungertuch
Das diesjährige Hungertuch trägt den Titel «Was ist uns heilig?». Geschaffen wurde es von Emeka Udemba (55). Der nigerianische Künstler lebt und arbeitet in Freiburg (D). Am Anfang stand eine Zeitungscollage: Nachrichten, Infos, Fakten, Fakes – Schicht um Schicht riss und klebte der Künstler diese Fragmente, übermalte sie und komponierte aus ihnen etwas Neues.
Download der Meditationen von Jacqueline Keune zum Hungertuch sind zu finden unter: sehen-und-handeln.ch/fuer-pfarreien-und-kirchgemeinden/hungertuch/
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