Wie frei gewordene Friedhofsflächen genutzt werden können
Immer mehr Gemeinden sehen sich mit dem Umstand konfrontiert, dass ihre Friedhöfe immer mehr Freiflächen ausweisen. Was sich mit solchen leeren Flächen machen lässt, darüber weiss Sabine Stauffer aus Uesslingen (TG) Bescheid. Sie hat als dipl. Ing. Landschaftsarchitektin schon mehrere Aufträge zur Friedhofsumgestaltung ausgeführt.
Sabine Stauffer, weshalb müssen Friedhöfe heute umgestaltet werden?
Das Bedürfnis nach Urnen- und Gemeinschaftsgräbern hat stark zugenommen. Dadurch wird weniger Fläche benötigt. Der Aufwand für deren Pflege bleibt aber bestehen. Daher steigen die Kosten für Einzelgräber: Es werden weniger Einnahmen generiert fürs Nutzen eines Grabes und die Grabpflege. Durch die entstehenden Leerflächen gibt es aber auch neue Gestaltungsmöglichkeiten.
Seit wann wollen sich die Menschen in Gemeinschafts- oder Urnengräbern beisetzen lassen?
Zeitlich einordnen kann ich das nicht. Die Tendenz ist einfach über die letzten Jahre stark gewachsen. 50 % der Menschen in Städten wollen heute in einem Gemeinschaftsgrab
beigesetzt werden.
Was für Umnutzungsmöglichkeiten bestehen für Friedhöfe?
Wenn sich der Friedhof direkt bei der Kirche befindet, kann man den frei werdenden Raum als Aufenthaltsbereich für kirchliche Aktivitäten gestalten, zum Beispiel für die Kinder- und Jugendarbeit oder den Kinderkirchemorgen.
Eine zweite Möglichkeit besteht darin, einen Abdankungsbereich zu kreieren. Es gibt immer mehr Menschen, die nicht kirchlich beerdigt werden wollen oder die einer anderen Religion angehören, sodass es einen neutralen Ort des Abschiednehmens geben muss.
Findet in der Kirche ein Konzert statt, kann man danach noch eine Möglichkeit anbieten für den Austausch. Gerade darin sehe ich die Chance für die Kirche, wieder Leute zurückzuholen: indem sie Menschen einen Treffpunkt anbietet und damit Teil des Lebens bleibt. Ich finde, es ist legitim, Gemeinschaft zu suchen, auch wenn man nicht religiös ist.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Spaziergänge auf solchen Flächen zu ermöglichen, um dann Leute zu treffen.
Sie heben das Soziale hervor. Was ist Ihnen daran so wichtig?
In den Friedwäldern bleiben die Leute allein mit ihrer Trauer. Trauer sollte aber ein Teil der Gesellschaft sein. Der Tod gehört zum Leben, denn durch ihn wird das Leben kostbarer. Wenn der Friedhof ein zentraler Ort ist, trifft man dort Leute und wird weniger allein gelassen. Die Trauer ist dann nicht ins Niemandsland verlagert. Das darf sein, wenn es für jemanden stimmt, aber nicht generell und schon gar nicht für Leute, die Mühe haben, loszulassen.
Welche Leute meinen Sie?
Es gibt Menschen, die eine Urne zu sich nach Hause nehmen und die Asche eines Angehörigen im eigenen Garten verstreuen. Dabei vergessen sie, dass es danach für sie emotional schwierig werden kann, ein solches Haus zu verkaufen.
In Bern hat 2021 eine Petition verhindert, dass der Friedhof Bümpliz aus Spargründen aufgehoben wird. Der Friedhof sei die grüne Lunge des von Hochhäusern geprägten Stadtteils, wurde argumentiert. Die beliebten Berner Stadtpärke Rosengarten, Monbijoupark und die Münsterplattform waren zum Teil bis ins 18. Jahrhundert hinein Friedhöfe.
Umnutzungen hat es schon früher gegeben. Und ein Friedhof hat heute auch eine ökologische, klimatische Funktion. Trotzdem muss ich ab und zu darauf hinweisen, dass eine freie Fläche für Unvorhergesehenes wie eine Katastrophe belassen werden sollte. Zudem könnte es auch sein, dass die Menschen realisieren, dass ein Krematorium sehr viel Energie verbraucht – und es wieder mehr Erdbestattungen geben wird.
Offenbar wurden früher Friedhöfe als Versammlungs- oder Gerichtsorte benutzt. Das entspricht Ihren Vorstellungen vom Treffpunkt, widerspricht aber der Tradition des Friedhofs als Raum der Trauer.
Ich denke, dass sich die Bedeutung des Friedhofs im Laufe der Zeit gewandelt hat: Früher stand das Ritual viel mehr im Vordergrund. Damals wurde der Sarg durchs Dorf getragen bis zur Kirche, wo die Beerdigung stattfand. Danach haben die Menschen auf dem Friedhof – dem friedvollen Ort – getrauert, da ihr Alltag sehr hart war. Heute ist es eher so, dass das Individuum den Friedhof als Ort zum Trauern immer weniger braucht und Eltern ihren Kindern nicht mehr zumuten wollen, sich um ein Grab kümmern zu müssen. Einerseits wird das Individuelle betont, andererseits besteht der Wunsch nach Gemeinschaft durch die Beisetzung in Gemeinschaftsgräbern. Doch auch dort tritt das Individuelle zutage: Die meisten Menschen, die sich in einem Gemeinschaftsgrab beisetzen lassen, wollen eine individuelle Ecke haben für ihre Urne. Die wenigsten möchten ihre Asche in ein Gemeinschaftsgrab verstreuen lassen.
Wenn Sie einen Auftrag erhalten zur Umnutzung eines Friedhofs, wie gehen Sie dann vor?
Ich muss den Ort und die Bedürfnisse der Leute spüren. Je nachdem ist es beispielsweise eine Friedhofskommission, mit der ich zusammenarbeite, oder der Kirchgemeinderat. Wichtig ist, dass es sich um Leute handelt, die sich damit auseinandersetzen, denn sie wissen am besten Bescheid, was es braucht. Ich fertige dann einen Entwurf an. Meist wird mir für die Umsetzung der Bedürfnisse freie Hand gelassen.
Manchmal braucht es gar nicht viel. Zurzeit bin ich an einem Projekt für Wilchingen (SH). Die Aussicht in den Klettgau vom Hügel, auf dem die alte reformierte Kirche steht, ist wunderschön. Da ist es sinnvoll, die Sicht, die an einer Stelle durch eine Eibe verdeckt ist, wieder herzustellen. Es entsteht eine gemeinschaftlich bepflanzte Fläche für die Urnen und Namensschilder an seitlichen Steinriemen.
Ich finde Rituale wichtig für die Gemeinschaft. Sie geben Halt in schwierigen Zeiten und bringen Menschen zusammen. Auf diese Treffen sollen die frei gewordenen Flächen ausgelegt sein. Es soll eine Kontaktzone sein.
Wie lässt sich denn eine solche Kontaktzone herstellen?
Bei der reformierten Kirche in Matzingen (TG) durfte ich den Aufgang zur Kirche neu gestalten und einen Teil des Friedhofs umgestalten. Der Zugang zur Kirche wurde geöffnet, indem die dichte Hecke, die im Westen stand, ausgerissen wurde. Zum Vorschein kam ein wunderschöner Eisenzaun, der aber stark verrostet war. Dieser Zaun wurde renoviert und nach hinten versetzt zur Kirchentüre, wo er benötigt wird. Die beiden Tore, die den alten Eingang zum Areal bildeten, sind nun einzeln als Abgrenzungselemente zum restlichen Friedhof eingesetzt worden. Ich hätte es schade gefunden, sie einfach zu entsorgen. Zwei Buchenbögen dienen in Zukunft als schöne Fotosujets an Hochzeiten. Neben dem Aufgangs- und Eingangsbereich gibt es einen Aufenthaltsbereich, wo über die Jahre durch die flach geschnittenen Hainbuchen ein natürliches Schattendach entsteht, ohne dass es die Kirche verdeckt. Der Platz ist rollstuhlgängig, hat Stromanschluss und ist geeignet für Apéros nach Taufen oder für andere kirchliche Veranstaltungen. Unterhalb dieses Bereichs ist ein Blumenschmuck in Form von Fisch und Taube entstanden.
Weshalb haben Sie für die Bepflanzung Hainbuchen gewählt?
Der Wunsch bestand, auch im Winterhalbjahr Sichtschutz und Schatten zu haben. Dann wird es schwierig mit einheimischen Pflanzen. Es gibt nur die Hainbuche, die das vertrocknete Laub bis zum Neuaustrieb behält, und die immergrüne Eibe. Bei Letzterer fürchten die Leute, dass Kleinkinder sich vergiften könnten mit den Samen. Daher haben wir Hainbuchen gesetzt, die auch das immer heisser werdende Klima ertragen. Weil auch die Finanzen ein Teil des Nachhaltigkeitsgedankens sein sollten, bieten sich einheimische Pflanzen an. Deren Pflegeaufwand hält sich in Grenzen. Mit den Pflanzen entlang des Weges zum Haupteingang der Kirche in Matzingen muss man fast nichts mehr machen. Sie gedeihen jedes Jahr wieder, bieten das ganze Jahr über einen schönen Anblick und sind eine gute Bienenweide.
Wie sehen die Friedhöfe der Zukunft aus?
Sehr naturnah. Die Gräber stehen nicht mehr in militärischen Reihen mit eckigen Steinen und getrimmtem Gras und folgen dennoch einer Struktur. Ein Friedhof braucht eine Gesamtkonzeption, die auf einen Zeithorizont von mindestens 20 Jahren ausgerichtet ist. Zudem ist er etwas individueller als heute: Wenn jemand ein Rosenbäumchen haben will oder seinen Lieblingsstrauch aus dem Garten, dann hat es dafür Platz. Auch der zeitliche Rahmen für die Aufhebung von Gräbern ist flexibler: Die einen haben in fünf Jahren abgeschlossen, für andere sind 20 Jahre zu wenig. Es gibt verschiedene Gemeinschaftsgräber: eines im Schatten, eines in der Sonne – je nach Vorliebe. Ebenso gibt es vermehrt Schattenbäume, die auch als Friedwald dienen können. Zudem dürfte vor allem die Pflege nachhaltiger werden.
Was macht für Sie einen schönen Friedhof aus? Haben Sie einen Lieblingsfriedhof?
Nein, ich habe keinen Lieblingsfriedhof. Für mich ist ein Friedhof schön, wenn ich spüre, dass es stimmt. Das hat viel mit dem Ort zu tun. Dieser muss selbstverständlich wirken, wenn er fertig gestaltet ist. Als ob er immer so gewesen wäre. Wenn er finanziell tragbar, wertvoll für die Natur und vor allem für die menschlichen Bedürfnisse stimmig ist, dann habe ich meine Aufgabe gut erfüllt.
Interview: Béatrice Eigenmann, 21.8.24
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