Eindrücke vom neuen Lektionar

Jede Bibel-Übersetzung ist ein Kind ihrer Zeit und muss gelegentlich sprachlich überarbeitet und auf den neuesten Forschungsstand der Bibelwissenschaften gebracht werden. 2016 erschien die Revision der Einheitsübersetzung. Diese Änderungen werden nun auch in die Gottesdienst-Texte, d. h. in ein neues Lektionar für alle deutschsprachigen Bistümer übernommen. Deshalb wird ab Advent 2018 in den Gottesdiensten in Zukunft manches leicht verändert tönen.

Sind dies blosse Anpassungen an den Zeitgeist? Die Bibelwissenschaftler versuchten, sich dabei näher beim griechischen oder hebräischen Urtext der Bibel zu orientieren.

Neu kommt uns auch die Erscheinungsform, d. h. der Einband entgegen. Schlicht gehalten ohne Titel oder Buchstaben – ausser einem kleinen Kreuz auf dem Buchrücken. Jedoch mit dynamischen roten Linien – das Wort Gottes ist und bleibt lebendig, wo es verkündet wird und auf offene Ohren und Herzen trifft.

Was ist sonst noch neu?

Die Anrede des griechischen Adelphoi wird nun neu mit «Schwestern und Brüder» übersetzt. Bei den paulinischen Briefüberschriften heisst es nun nicht mehr «Lesung an die Römer», sondern «Lesung aus dem Brief an die Gemeinde in Rom» – um damit zu betonen, dass die Schrift an die Christinnen und Christen adressiert ist, die sich als Gemeinschaft versammelt haben. Der mit dem Tetragramm JHWH bezeichnete Gottesname wird neu in der Einheits-übersetzung und somit auch im Lektionar mit HERR (in Kapitälchen) übersetzt und dargestellt. Dies um die jüdische Tradition aufzunehmen, dass der Name Gottes nicht ausgesprochen wird und werden kann, d. h. dass Gott nie in menschliche Begriffe reduziert werden soll. Daher wird das Tetragramm im Judentum gewöhnlich im gesprochenen Wort durch andere Begriffe wie Herr, Ewiger, Name u. ä. ersetzt. Hier darf die Frage gestellt werden: Soll dies in der deutschen Sprache ausgerechnet mit dem nicht geschlechterneutralen Begriff HERR festgelegt werden? Vielleicht wurde hier eine Chance verpasst…

Die Wirkung des Wortes

Doch das Wesentliche eines Lektionars wird sein: Wird das Wort Gottes gehört und aufgenommen, so dass es seine Wirkung in der Welt, unter den Menschen entfalten kann? Wie können wir als Christen das gewährleisten und unterstützen?

Dazu eine chassidische Geschichte: Es geschah einmal, dass der Synagogenwärter den Rabbi Aqiba († 135 n. Chr.) aufrief, öffentlich aus der Heiligen Schrift in der Gemeinde vorzulesen. Er aber wollte es nicht. Hinterher sprachen seine Schüler zu ihm: «Unser Lehrer, hast du uns nicht gelehrt: ‹Die Heilige Schrift ist dein Leben und die Länge deiner Tage?› Warum hast du dich geweigert, entsprechend zu handeln?» Er antwortete ihnen: «Beim Tempeldienst! Ich habe mich geweigert vorzulesen, weil ich diesen Abschnitt nicht zwei- oder dreimal vorher durchgegangen war; der Mensch darf die Worte der Heiligen Schrift vor der Gemeinde nicht sagen, bevor er sie nicht zwei- oder dreimal vor sich selbst vorgetragen hat…» (aus: H. L. Strack/P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Bd. IV/München 1956, S. 158)

Bruno Strassmann/Red.


Nähere Infos: www.liturgie.ch/liturgiepraxis/neuauflagelektionare/1379-ueberblick-lektionar 


 

Auch der Einband des Lektionars wurde neu gestaltet.

Bild: Detlef Kissner

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