Online-Sicherheit für Kinder und Jugendliche
Am 29. November findet in Frauenfeld eine Fachveranstaltung zum Thema «Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im digitalen Raum» statt. Der Anlass wird von der Koordinationsstelle Gewaltprävention der Kantonspolizei Thurgau organisiert. Jasmin Schweizer, Sozialarbeiterin bei der BENEFO Fachstelle Opferhilfe Thurgau, wird dort ein Referat halten und berät minderjährige Opfer nach solchen Erlebnissen.
Was macht die BENEFO Fachstelle Opferhilfe Thurgau?Wir bieten kostenlose Beratung, persönlich und telefonisch, sowie Unterstützung für Opfer und Angehörige von körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt an – sowohl für Erwachsene wie auch für Kinder und Jugendliche. Im Thurgau sind wir die einzige Opferberatungsstelle. Seit 1995 wird diese im Auftrag des Kantons von der Stiftung BENEFO geführt, basierend auf dem Schweizerischen Opferhilfegesetz, das 1993 in Kraft trat. Im Thurgau wurde die Stiftung von den fünf grossen Frauenorganisationen – unter anderem dem Thurgauischen Katholischen Frauenbund (TKF) – gegründet.
Wie gestaltet sich Ihre Arbeit?Ich arbeite insbesondere mit Kindern und Jugendlichen, berate je nachdem aber auch die Eltern von Opfern. Der grösste Teil unserer Klient*innen sind von häuslicher Gewalt betroffen. Hierbei kann ein Kind mitbetroffen sein, wenn beispielsweise seine Mutter Gewalt erlebt, oder es wird selbst zu Hause körperlich oder seelisch misshandelt. In diesem Zusammenhang beraten wir häufig auch Fachpersonen, da wir im Thurgau Kontaktstelle für Fragen bei Kindesmisshandlung sind. Deshalb arbeiten wir unter anderem mit Schulen zusammen, für die sexualisierte Gewalt im digitalen Raum natürlich ebenfalls ein Thema ist.
Warum ist die Gefahr für Kinder und Jugendliche so gross, im Internet Sexualtätern ins Netz zu gehen?Ganz grundsätzlich existiert ein Machtgefälle – allein aufgrund des Altersunterschieds und der Lebenserfahrung. Während Kinder unbedarft sind, ist bei Jugendlichen, die sich in der Phase der Identitätsfindung befinden, die Anerkennung besonders wichtig. So sind beide Altersgruppen leicht zu manipulieren. Hinzu kommt, dass Kinder und Jugendliche Digital Natives sind. Sie wissen, allein vom Technischen her, viel besser Bescheid als ihre Eltern. Deshalb bewegen sie sich natürlicher im Netz. Gefährdet sind vor allem unsichere Minderjährige, die entweder sehr behütet aufwachsen und nicht sehr selbständig sind, oder die vernachlässigt werden und sich stundenlang alleine im Internet aufhalten.
Wie gehen die Täter in den meisten Fällen vor?Zuallererst bauen sie ein Vertrauensverhältnis auf, oftmals über einen längeren Zeitraum. Alles fängt ganz harmlos und unverfänglich an, beispielsweise mit dem Senden eines Porträtfotos, und steigert sich dann bis hin zu Nacktbildern. Die Minderjährigen werden in eine Zwangslage gebracht, weil die Täter Druck ausüben oder sie in Geheimnisse einbinden. Sie behaupten vielleicht, selber in einer Notlage zu sein oder eine schwierige Kindheit erlebt zu haben, damit ihre jungen Opfer an ihrem Leben Anteil nehmen und Mitleid haben. Sie verunsichern die Kinder aber auch, schicken ihnen beispielsweise Geld und drohen dann mit einer Anzeige, weil sie das Geld angenommen haben. Oftmals erpressen sie ihre Opfer damit, deren Fotos zu veröffentlichen.
Diese Perfidität zeigt auch der tschechische Dokumentarfilm «Gefangen im Netz»* auf. Warum werden die Täter zu wenig zur Rechenschaft gezogen?Im gesamten Bereich der Pädokriminalität stehen oftmals materielle Interessen im Vordergrund – das Geschäft mit Kinderpornografie, -handel sowie -prostitution. Es ist also nicht immer leicht auszumachen, wer alles in einen bestimmten Fall involviert ist. Dazu gibt es eine Vielzahl an Kontaktmöglichkeiten, die nicht alle kontrolliert werden können: Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram, Chats in Spielen und die Sozialen Medien. Es ist ein äusserst komplexes, weites Feld.
Wie können Kinder und Jugendlichen besser geschützt, aber auch geschult werden, selbst solche Phänomene zu erkennen?Ganz wichtig ist es, diese Thematik in Schulen zu behandeln und auch, dass sich die Eltern selber informieren und sich für das «digitale» Leben ihrer Kinder interessieren. Ich kann hier die Webseite lilli.ch nur empfehlen. Dort wird über Online-Sicherheit mit Verhaltenstipps im Internet und Anlaufstellen informiert. In unseren Beratungen analysieren wir oft die Sachverhalte und arbeiten mit folgendem Beispiel: Sich immer die Frage stellen, ob man einer fremden Person, die einem im Zug gegenübersitzt, auch so viel über sich erzählen würde. Diese natürliche Hemmschwelle sollte jede*r auf das Internet übertragen.
Warum ist die Fachveranstaltung Ende November wichtig?Damit sich Fachpersonen vernetzen, die mit der Prävention und Krisenintervention betraut sind oder in ihrer Arbeit mit dem Thema in Berührung kommen. Um grundsätzlich für das Thema zu sensibilisieren, damit der sichere Umgang mit dem Internet erlernt wird und man sich darin mit einer gewissen Vorsicht bewegt. Und weil man nie weiss, wer sich hinter dem Bildschirm verbirgt.
Interview: Sarah Stutte, forumKirche, 16.11.21
Weitere Infos auf: www.opferhilfe-tg.ch
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