Von Wüstenexerzitien zurück in den Corona-Lockdown
Ungefähr 60 Männer und Frauen aus Deutschland, Österreich sowie der Schweiz, begleitet durch die Gemeinschaft Emmanuel und einem ortskundigen Beduinen, pilgerten im März durch die Wüste im Heiligen Land Jordanien. In diesem Jahr mussten diese normalerweise zwei Wochen dauernden Exerzitien aufgrund des Corona-Virus jedoch bereits nach einer Woche abgebrochen werden.
Veronika Steiner* aus Zug (56), eine Teilnehmerin der diesjährigen Wüstenexerzitien, hat sich ungefähr ein Jahr lang mit dieser Zeit in der Wüste auseinandergesetzt und sich darauf vorbereitet. Den grössten Respekt hatte sie vor der körperlichen Herausforderung, denn «zwei Wochen zu Fuss, bei jeder Witterung, durch die alttestamentliche Wüste ist nicht gerade ein Sonntagsspaziergang.» Dabei schlief die Pilgergruppe, welche sich in zwei Gruppen aufteilte – eine mit unter 35-Jährigen und eine mit über 35-Jährigen –, unter freiem Himmel in Schlafsäcken. «Wir wussten jeweils nicht, welches Tagesprogramm uns im Detail erwartete, wir hatten keinerlei elektronische Geräte dabei und wuschen uns lediglich mit Feuchttüchern», berichtet die Teilnehmerin. Auf den Spuren des Volkes Israel «feierten wir täglich Gottesdienst, setzten uns mit Texten aus der Bibel auseinander, tauschten uns in Kleingruppen aus, hatten Zeiten der Stille und des Schweigens und gaben der Suche nach Gott Raum.»
Entschleunigung vom Alltag
«Mir war bewusst, dass ich mich auf ein Abenteuer einlasse. Ich war gespannt und hatte auch ein wenig Respekt», erklärt die Exerzitienteilnehmerin. Der Alltag wurde bewusst verlassen und ohne Handy, Uhr oder Kompass blieb nichts anderes übrig, als sich auf den Rhythmus der Natur und der Gruppenleitung einzulassen. Veronika Steiner hatte eine ganz persönliche Frage an Gott, welcher sie in dieser Zeit nachgehen wollte. Denn «bei Exerzitien geht es darum, sich Zeit für Gott und mich und unsere Beziehung zueinander zu nehmen», lacht sie und fügt erklärend hinzu: «Bereits in der ersten Nacht drängten sich ganz andere Themen und Fragen auf, als jene, welche ich mir gestellt hatte. Alte Geschichten, die für mich erledigt und verarbeitet schienen.» Also machte sie sich inmitten von Felsenformationen und Sanddünen auf die Suche nach einer Antwort. «Und so fand ich rückblickend tatsächlich über diesen vermeintlichen ‹Umweg›, der auch ein Weg der Versöhnung mit Vergangenem war, die Antwort auf meine ursprüngliche Frage.»
Abbruch und Rückkehr
Bereits in der Bibel spielt die Wüste als Örtlichkeit immer wieder eine zentrale Rolle. Dies wahrscheinlich auch deshalb, weil sie für uns Menschen als eine der spannendsten Landschaften unserer Erde gilt. Die Gruppe war hingereist, aus einer Welt, die funktionierte, die vor allem sehr schnell und laut funktionierte. Vom neuen Corona-Virus war zwar bereits die Rede, aber «sobald wir in der Wüste waren bekamen wir Dinge aus der Schweiz, aus Europa nicht mehr mit.» Umso grösser war die Verwunderung aller Teilnehmenden, als es bereits nach einer Woche Abbruch und Rückkehr hiess. «Es war ein Vorteil, dass ich in der Wüste schon eine gewisse innere Ruhe gefunden hatte. Und da mein Mann im Home-Office sehr beschäftigt war und mein Sohn das Home-Schooling selbstständig erledigte, konnte ich weiterhin Zeiten in Stille und ohne Ablenkungen geniessen. Allerdings bin ich dabei oft eingeschlafen! Das Marschieren war doch recht anstrengend», berichtet Veronika Steiner gelassen.
Lerneffekt für Lockdown
Es stellt sich die Frage, ob die jetzige Zeit für uns Christen nicht auch so etwas wie eine Wüstenzeit im übertragenen Sinne ist; wir müssen auf einiges verzichten, man weiss nicht, was der nächste Tag bringt, viele Gewohnheiten können nicht mehr weitergeführt werden wie bisher. Nichts ist selbstverständlich. Veronika Steiner meint dazu: «Beschränkungen helfen uns – das habe ich beim morgendlichen Packen des Rucksackes gelernt –, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und wir sollten nicht vergessen, dass den meisten von uns trotz Corona-Einschränkungen immer noch das zur Verfügung steht, wovon Millionen Menschen nur träumen können: ein sicheres Dach über dem Kopf mit Elektrizität und fliessendem Wasser, genug zu essen, Frieden.» Von ihrer Auszeit in der Wüste Jordaniens habe sie somit Wertvolles für den Alltag mit Corona mitgenommen: «Wen oder was brauchen wir wirklich? Lebendige Beziehungen zu Gott und unseren Lieben, und das Vertrauen, dass Gott mit uns allen ist. Das war auch die Antwort, welche die Wüstenpilgerin auf ihre Frage erhalten hat: «… mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt, darum habe ich dir so lange die Treue bewahrt» (Jer 31,3).
* Name geändert
Interview: Romina Monferrini Übersetzung: Monika Freund Schoch (12.05.20)
From the desert to Corona-Lockdown
Around 60 people from Austria, Germany and Switzerland, accompanied by the Emmanuel community and a local Bedouin, made a pilgrimage through the desert in the Holy Land of Jordan. The retreat was supposed to take two weeks, but was stopped in halfway through, because of the coronavirus spreading all over the world.
Veronika Steiner* from Zug (56), who took part in this retreat for the first time, spent about a year preparing for the two weeks in the desert. She went there with great respect and a very personal question to God, which she wanted to pursue during spiritual exercises. The group left a world that functioned very quickly and loudly. There were already some discussions about the new virus, but «As soon as we were in the desert, we didn’t get anything about what was going on.» They didn’t have cellphones with them. The daily life was left behind consciously and by not having a watch or a compass, one has no choice but to get involved with the rhythm of nature.
All the greater was the astonishment of the participants when, after only one week, it was called Abort & Return. And yet she was able to take so much from this time out in the desert of Jordan for her daily life and her connection with God. Based on that, she’s convinced that also the corona-time will provide many beautiful and good insights regarding relationships with people and with God. Many things have to be given up now and many habits cannot be continued as before, one does not know what the next day will bring. «We cannot, as I experienced in the desert, be constantly in command of everything, nothing is selfevident.»
* Name changed
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