Ein Gespräch über Inklusion in der Kirche
Frauen gestalten und prägen Kirche an der Basis, indem sie Gottesdienste vorbereiten oder als Katechetinnen unterrichten. Sie übernehmen Verantwortung in Pfarrgemeinderäten, Kirchenvorständen und Ordinariaten. Trotzdem ist die katholische Kirche noch weit von einer gleichwertigen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Frauen und Männern entfernt sowie von einer gesellschaftlichen Öffnung. Ein Austausch darüber, warum das so ist, so sein muss und wohin es führt.
Yvonne Reichlin: 62 Jahre, Studium der Ökonomie, leitete zehn Jahre lang die Gemeindeabteilung des Kantons Aargau. Konvertierte vor neun Jahren von der protestantischen zur katholischen Kirche. Seit 2021 engagiert sie sich in der Initiative Maria 1.0.
Armin Ruf: 60 Jahre, Studium der Religionspädagogik und Theologie in Deutschland. Promovierte in Sozialethik und arbeitete als Gemeinde- und Pastoralreferent in der Diözese Augsburg, von 2011- 2018 als Bereichsleiter bei der Caritas Kempten/Oberallgäu. Seit 2018 katholischer Gemeindeleiter Weinfelden.
Simone Curau-Aepli: 61 Jahre, Marketingfachfrau und Politikerin, seit 2016 Präsidentin des SKF Schweizerischer Katholischer Frauenbund und Mitglied der Eidg. Frauenkommission EKF, lebt in Weinfelden.
Mentari Baumann: 28 Jahre, studiert im interdisziplinären Masterprogramm Religion, Wirtschaft und Politik. Die Bernerin mit indonesischen Wurzeln ist seit 2021 Geschäftsführerin der «Allianz Gleichwürdig Katholisch» und seit zwei Jahren Präsidentin der Zurich Pride.
In einem Satz: Was muss sich für Frauen in der Kirche in den nächsten Jahren ändern?
Curau: Es ist Zeit, dass auch Frauen ihre Berufung innerhalb der Kirche leben können.
Ruf: Wir müssen nicht darüber reden, was sich für Frauen ändern muss, sondern darüber, was sich in der Kirche ändern muss, damit Frauen und Männer hier gleichgestellt sind.
Baumann: Mitsprache und Entscheidungen sollen nicht gebunden sein an das Geschlecht, den Weihestatus oder die Sexualität.
Reichlin: In der Kirche brauchen wir keine strukturellen Reformen, sondern spirituelle, damit wir den Glauben wieder wirkungsvoll verkünden können.
Wie hat sich die Rolle der Frau in der Kirche in den letzten zehn Jahren verändert?
Reichlin: Frauen leisten seit Jahrhunderten einen entscheidenden Beitrag in der Kirche. Zu erwähnen sind die vielen heiliggesprochenen Frauen oder die christlichen Mütter. Die Katechese wird vorwiegend von Frauen erteilt. Durch die Kurienreform können Frauen bis in höchste Kurienämter aufsteigen. Im Bistum Basel sind 50 Prozent der Gemeindeleitungen in Frauenhand. In den letzten Jahren betonen die unzufriedenen katholischen Frauen ihre Opferrolle, und ihre Aktionen werden immer schriller und beschämender. Die Kirche wird teilweise in abschreckender Weise diffamiert.
Curau: Viele Seelsorgerinnen, andere Fachfrauen und freiwillig Tätige haben in den letzten Jahren der Kirche den Rücken gekehrt. Sie hatten vergeblich gehofft, dass sich mit ihren Erkenntnissen zur feministischen Theologie etwas bewegt. Mit der Amtszeit von Papst Franziskus hat sich die Kultur und das Wording im Blick auf Frauen verändert. Ebenso wurden strukturelle Reformen angestossen. Man spürt, dass etwas in Bewegung kommt.
Ruf: Es gibt strukturelle Veränderungen, dass Frauen beispielsweise jetzt auf bestimmten Positionen eingesetzt werden. Darüber hinaus sehe ich bei der Zulassung zum Weiheamt einen Stillstand.
Wo stehen Frauen in der Kirche heute?
Curau: Es gibt verschiedene Dimensionen. In einer Kirchgemeinde, bzw. im ganzen dualen System in der Schweiz, haben Frauen viele Möglichkeiten sich einzubringen. In vielen Ländern Europas – so meine Erfahrung – wird es Frauen verwehrt, gleichberechtigt zu agieren, sogar im diakonischen Bereich. Doch es setzen sich nicht nur Christ*innen in Europa für mehr Gleichberechtigung ein, sondern weltweit. Das erlebe ich unter anderem im Online-Austausch mit den Teilnehmerinnen des Catholic Women's Council.
Reichlin: Frau und Mann sind von Gott gleichwertig geschaffen worden. In der Kirche sind alle zum allgemeinen Priestertum berufen. Es gehört zum zentralen Wesen der katholischen Kirche, dass das geweihte Priestertum Männern vorbehalten ist. Wobei kein Anrecht darauf besteht.
Sollten Frauen zu Diakoninnen oder Priesterinnen geweiht werden? Warum oder warum nicht?
Baumann: Ja, Frauen sollten die Möglichkeit dazu haben. Weil Frauen das nicht dürfen, wird verhindert, dass sie in gewisse Positionen kommen und mitgestalten können. Ein Machtgefälle, das nicht förderlich ist für das Individuum und für die Organisation.
Ruf: Kirche ist zuerst einmal eine Gemeinschaft von Gläubigen, die sich zu Jesus Christus bekennen – damals wie heute. Es gibt Frauen und Männer, die sich gern in diese Gemeinschaft einbringen würden. Vor 1'000 Jahren gab es andere Voraussetzungen, aber wir leben in der Gegenwart und da sollte Gleichberechtigung auch in der Kirche eine Selbstverständlichkeit sein. Die kirchlichen Strukturen haben sich - im Rahmen der gesellschaftlichen Bedingungen - immer weiterentwickelt.
Reichlin: Jesus hat unter die 12 Apostel, denen er die priesterliche Gewalt und den Sendungsauftrag erteilte, keine Frau berufen. Die Apostel haben in der Folge nur Männer als Apostel (Priester) geweiht. Als Hüterin der Überlieferung von Jesus hat die Kirche keine Vollmacht, dies zu ändern.
Curau: Jesus hat einfache Männer und Frauen in seinen Dienst berufen. Es gab durchaus Apostelinnen wie Junia oder Maria Magdalena. Letzterer hat Papst Franziskus 2016 den Titel «Apostelin der Apostel» verliehen.
Ruf: Wenn ich die Evangelien ernst nehme, dann gäbe es keine Apostel ohne Frauen. Denn die Apostel haben nicht die Osterbotschaft verkündet, wohl aber die Frauen. Die Männer haben sie dann weitergegeben.
Fakt ist: Die Männergemeinschaft hat das Vertrauen in die Kirche erschüttert, vor allem durch die vielen Missbrauchsfälle. Was würde sich ändern, wenn Frauen mehr Macht bekommen würden?
Baumann: Frauen sind nicht per se bessere Menschen und es gibt auch keine Garantie dafür, dass sie alles besser machen würden. Aber Frauen bringen eine andere Lebensrealität, Erfahrungen und Sozialisierungen mit. Das ist sehr bereichernd. Auch für Kirchenbesucher*innen, die somit 'vorne' eine Diversität sehen, mit der sie sich identifizieren können. Die Missbrauchsfälle hängen in dem Ausmass und der Historie vor allem mit der Struktur und Kultur der Kirche zusammen, mit dem Klerikalismus und dem Zölibat. Wir können nicht einfach nur am laufenden Band Priester suspendieren und dann glauben, dass alles wieder gut wird. Wir müssen über die Machtstruktur reden, sonst können wir die Krankheit nicht heilen.
Reichlin: Viele Priester sind vom Glauben abgefallen. Das Sakrament der Beichte wird nicht mehr gelebt. Die Kirche kennt Regelungen und Strafprozesse, welche nicht eingehalten worden sind. Die Vertuschung wird durch innerkirchliche Netzwerke gefördert.
Curau: …weil der Bischof in persona Vorgesetzter und Richter ist. Es gibt keine Gewaltenteilung. Das ist ein systemisches Problem. Hier sind andere Organisationsstrukturen vonnöten. Die Angst, gewisse Privilegien zu verlieren, ist jedoch gross.
Baumann: Man kann diese Themen nicht separat voneinander betrachten. Alles ist miteinander verzahnt.
Können Frauen andere Kompetenzen in das kirchliche Leben einbringen als Männer?
Reichlin: Frauen haben grosse Organisationsfähigkeiten. Theresa von Avila hat viele Klöster in Spanien aufgebaut. Mutter Theresa hat ein grosses Hilfswerk geschaffen. Ausserdem können wir Frauen Durchsetzungskraft, Mut und grosses Gottvertrauen einbringen.
Curau: Frauen, die menstruieren und gebären, haben andere essenzielle Lebenserfahrungen, die Männer nicht haben. Hinzu kommt die ganze Care-Arbeit, die vor allem von Frauen geleistet wird. Diese Erfahrungskompetenz ist für eine Gemeinschaft wertvoll, die den Auftrag hat, Nächstenliebe zu leben.
Warum braucht es mit Maria 1.0. noch eine Gegenbewegung zu progressiveren Forderungen?
Reichlin: Maria 1.0. wurde vor vier Jahren in Deutschland gegründet, um denjenigen Katholiken eine Stimme zu geben, die zur Kirche mit ihrer ganzen Tradition, ihrem Lehramt und dem Katechismus stehen. Die Bewegung – in der sich auch Männer engagieren – wurde auf die Schweiz ausgeweitet und ist nun mit einer kleinen Gruppe auch hier aktiv.
Curau: Für mich ist das ein Zeichen von Meinungsvielfalt, die eine katholische Kirche verträgt. Obwohl ich mit den Inhalten so nicht einverstanden bin. Es gibt aber bestimmte Bilder, die in dieser Gesellschaft und unseren Kirchen heute schlicht nicht mehr rezipiert werden dürfen, weil das unsere Haltung als Christ*innen nicht widerspiegelt.
Ruf: Ich finde, mit dieser Ausrichtung wird keine Offenheit transportiert, sondern eine Festlegung: So ist es richtig und nur so. Das ist mir persönlich zu eng. Ich habe überhaupt nichts gegen Tradition, aber ich vermisse manchmal eine gewisse Wertschätzung gegenüber anderen Meinungen.
Soll mit einer Initiative wie Maria 1.0. und dem Festhalten am traditionellen Frauenbild ein Stück weit auch verhindert werden, dass man sich als katholische Frau an möglicherweise unerreichbaren Zielen aufreibt?
Reichlin: In der Gesellschaft ist die Gleichberechtigung faktisch realisiert, aber es besteht ein Druck auf die Frau, dass sie berufstätig sein soll. Jede Frau muss ihre eigene Berufung finden und ihrem Herzen folgen. Sie kann sich für das Muttersein und/oder die Berufstätigkeit entscheiden. Das Frauenpriestertum wird nie eingeführt werden, da es nicht dem Willen des Kirchenstifters entspricht.
Curau: Gerade dafür haben Feministinnen ihr Leben lang gekämpft, dass jede Person die Wahl hat, ihren Lebensentwurf zu gestalten. Genau deshalb befremdet es mich, wenn gesagt wird, dass das für die Kirche nicht gilt. Das mutet wie eine Parallelwelt an, die nichts mit unserem Alltag und unserer Gesellschaft zu tun hat. Doch Jesus war mitten in der Gesellschaft. Er hat sich dort hineingegeben. Wir sind als Kirche Teil dieser Gesellschaft.
Könnten Sie sich eine vielgestaltige Kirche vorstellen, in der ein Nebeneinander von verschiedenen Formen möglich ist?
Curau: Mit seinem Schreiben «Querida Amazonia» hat der Papst ganz deutlich ausgedrückt, dass es eine kulturelle Vielfalt geben soll und es Unterschiede auf der Welt gibt, wie hier und dort Glauben gelebt werden kann. Diese kulturelle Vielfalt ist ein Ausdruck unseres Glaubens und für unsere Kirche eine Stärke.
Was gewinnt die Kirche, wenn sie sich nicht nur beim Frauenthema öffnet, sondern beispielsweise auch homosexuellen Gläubigen gegenüber?
Baumann: Wenn wir als katholische Kirche den Anspruch haben wollen, dass wir für alle da sind und alle willkommen sind, dann dürfen auch alle kommen. Ohne Forderungen, sich dann aber bitte auch zu verbiegen. Wir haben in unserer Gesellschaft einen Anspruch in Bezug auf Inklusion und das sollte eine katholische Kirche auch haben. Es gibt viele gläubige queere Katholik*innen, die von der Kirche die Erwartung fühlen, dass sie nur dazugehören dürfen, wenn sie sich in eine Box zwängen. Doch wir können nicht so tun, als würden wir Menschen willkommen heissen und sie faktisch doch ausschliessen. Ganz persönlich sehe ich nicht ein, warum ich mir die Kirche, in der ich aufgewachsen bin, wegnehmen lassen sollte, nur weil ich lesbisch bin.
Ruf: Allein Barmherzigkeit zu predigen, hilft nicht. Es ist nötig, die eigenen tradierten Werte- und Moralvorstellungen zu reflektieren. Zu überprüfen, ob das, was bis dato gelehrt und festgelegt wurde, noch Gültigkeit hat. Genau so, wie manches andere in der Vergangenheit auch schon überprüft wurde. Das ist eine Herausforderung, der sich die Kirche immer wieder neu stellen muss und das geht nicht von heute auf morgen. Aber um der Ehrlichkeit und des Ernstnehmens willen sollte diese Diskussion geführt und nicht von vornherein abgeschmettert werden. Dazu ist Mut nötig, die Situation der Menschen in der heutigen Zeit zu beurteilen und weniger die Katechismen und einzelne Bibelstellen als Gegenargumente hervorzuholen.
Reichlin: Ich stelle nicht fest, dass Menschen von der Kirche ausgeschlossen werden. Man muss zwischen dem Sünder und der Sünde unterscheiden. Alle Sünder sind in der Kirche willkommen.
Baumann: Tatsache ist aber, queere Menschen fühlen sich nicht willkommen. Willkommen sein bedeutet, den*die anderen in seiner*ihrer Identität anzunehmen, so wie er*sie ist und nicht, ihn*sie ständig spüren zu lassen, dass er*sie sowieso falsch ist.
Curau: Für mich ist es zutiefst unchristlich, gleichgeschlechtliche Menschen, die sich lieben und ihren weiteren Weg miteinander gehen möchten, auszuschliessen. Ich kann nicht verstehen, dass dies in der christlichen Tradition weiterhin so praktiziert wird.
Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche, wenn sich die Rolle der Frauen nicht ändert?
Baumann: Wenn sich nichts verändert, werden sich mit der Zeit noch mehr Menschen von der Kirche abwenden. Weil sie die Stellung der Institution mit ihrem Glauben und ihrem Gewissen nicht vereinbaren können. Was dann von der katholischen Kirche übrig bleibt, wird etwas sehr Versteiftes und Kleingedachtes sein.
Ruf: Rückblickend auf die Diskussionen der letzten zehn Jahre, habe ich Angst um die Kirche, wenn sie diese Frage nicht beantwortet. Irgendwann kommt der Punkt, von dem aus es nicht mehr weitergehen wird. Es gibt keinen biblischen, christlichen Grund, an den alten Überzeugungen festzuhalten. Das wird immer deutlicher und merken auch immer mehr Menschen weltweit.
Curau: Die Kirche wird sich weiterentwickeln. Die Frage ist wie. Schafft sie es, ihr Potenzial aus dem Evangelium wirklich zu erkennen, glaubwürdig zu leben und nicht an diesen patriarchalen Inhalten und Strukturen festzuhalten, die der Botschaft und dem Leben Jesu diametral widersprechen? Die Kirche hätte sehr wohl eine relevante Stimme. Mit ihrer christlichen Sozialethik kann sie sich beispielsweise für eine gerechtere Wirtschaft einsetzen. Deshalb bin ich auch noch dabei, weil ich dieses Potenzial sehe und die Kirche mitverändern möchte.
Reichlin: Die katholische Kirche ist auf Ewigkeit ausgelegt und bleibt die wichtigste Verkünderin des Evangeliums. Sie wächst in Asien, Afrika und Amerika schneller als die Bevölkerung. Dem rasanten Glaubensverlust in den deutschsprachigen Gebieten muss mit einer Neuevangelisierung begegnet werden. Es braucht spirituelle Reformen!
Interview: Sarah Stutte und Detlef Kissner, forumKirche, 23.06.2022
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