Ein Gespräch über die Bedeutung des Religionsunterrichts

Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl der Mitglieder in christlichen Kirchen in der Schweiz stetig ab. Sinkt damit auch das Verständnis für religiöse und ethische Zusammenhänge? Und welche Rolle spielt dabei der Religionsunterricht? forumKirche lud Vertreter*innen aus der Politik und dem schulischen Kontext ein, um über diese Fragen ins Gespräch zu kommen.


Marija Neururer-Kunac: 30 Jahre, Studium der Religionspädagogik, seit sechs Jahren im Pastoralraum Bischofsberg als Religionslehrerin tätig, schwerpunktmässig im Zyklus 2 und 3, ausserdem in der Jugendarbeit und in der Firmvorbereitung.


Daniel Ritter: 52 Jahre, Studium der Theologie und der Religionspädagogik, seit 11 Jahren Stellenleiter der Fachstelle Religionspädagogik bei der katholischen Landeskirche Thurgau, erteilt eine Lektion ökumenischen Religionsunterricht an der Sekundarschule in Diessenhofen.


Cornelia Schurter: 46 Jahre, Studium an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, hat 17 Jahre lang in verschiedenen Kantonen als Sekundarlehrerin gearbeitet, ist seit August 2022 in Basadingen-Schlattingen als Schulleiterin tätig, seit 2014 auch Lernarchitektin in der Schulberatung.


Andrea Vonlanthen: 75 Jahre, Studium am Lehrerseminar Kreuzlingen, war in verschiedenen Funktionen im Journalismus tätig, bis vor seiner Pension als Chefredaktor des evangelischen Magazins Idea, war 20 Jahre lang Mitglied des Grossen Rates des Kantons Thurgau.

 

Politischer Vorstoss
Im Mai 2020 stellten sieben Thurgauer Kantonsräte – darunter auch Andrea Vonlanthen - eine Einfache Anfrage an den Regierungsrat bezüglich des Religionsunterrichts an Schulen. Sie beklagten darin den Rückgang an religiösem Grundwissen und bezweifelten, dass diese Entwicklung mit dem neuen Lehrplan aufzuhalten sei. 
 

Es gibt Stimmen, die sagen, dass der christliche Glauben in unserer Gesellschaft verdunstet. Stimmt das? Wenn ja: Woran lässt sich dies festmachen?
Schurter: Wenn ich den christlichen Glauben weiter fasse, habe ich nicht das Gefühl, dass er verdunstet. Wenn ich ihn enger definiere, würde ich sagen, dass er verdunstet oder - eher noch - dass er sich verändert. 
Vonlanthen: Der christliche Glaube verdunstet nicht nur, sondern ist weitgehend verloren gegangen. Laut einer Pressemeldung verstehen sich nur noch 46 % der Engländer*innen als Christen, 10 % weniger als vor 10 Jahren. In der Schweiz glauben nur 26 % der Bevölkerung an die leibliche Auferstehung Jesu.
Ritter: Jein. Wenn man das Glaubenswissen betrachtet, dann geht tatsächlich etwas verloren. Im Blick auf die Wertorientierung ist es aber anders. Eine Studie zeigt, dass bei Jugendlichen ethische Überzeugungen sehr ausgeprägt sind, ja, im Verhältnis zu den letzten Jahren eher an Bedeutung gewonnen haben. Werte wie Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung haben bei jungen Menschen einen hohen Stellenwert. Das halte ich für zentral.
Neururer: Bei mir ist es auch ein Jein. Einerseits sieht man kaum noch junge Menschen in der Kirche. Aber wenn sie zu mir in den Firmkurs kommen, lassen sie sich gut auf die Themen ein. Sie haben ihre Ideen und Wertvorstellungen. Der Glaube spielt in ihrem Leben definitiv eine Rolle.

Wie kann man dem Verlust an Glauben entgegenwirken? Oder wie kann man das, was positiv wahrgenommen wird, stärken?
Ritter: Wo es Krisen gibt, steigt der Glaube an tradierte Systeme, da wächst die Frömmigkeit. Von daher könnte man provokativ sagen, es bräuchte Krisen. Aber das ist nicht das, was wir wollen. Beim Glauben geht es nicht darum, dass Menschen im engen Sinn ein System ausüben, sondern dass sie aus einer existenziellen Überzeugung heraus leben, in einer Verbundenheit zu anderen Menschen, zur Natur, zum Göttlichen …
Um einen solchen Glauben zu fördern, brauchen wir Menschen, die das erfahrbar machen und Beziehungen gestalten können - Vorbilder an den Schulen, in den Kirchen und in den Familien. 
Vonlanthen: Es erstaunt, dass die Kantonsregierung sagt, dass religiöse Erziehung primär Sache der Eltern ist. Wie soll sie Sache der Eltern sein, wenn diese selbst nicht mehr wissen, um was es geht? Die Regierung schiebt damit die Verantwortung ab. Man müsste von der Politik her den christlichen Werten und Feiertagen viel mehr Aufmerksamkeit schenken. Das müsste sich auswirken auf die Schulen und letztlich auf die Eltern. Es ist eine politische Frage, die aber auch die Kirchen und die Schulen beschäftigen muss.
Schurter: Ich kann dies ein Stück weit nachvollziehen, dass es eine Notwendigkeit gibt, politisch einzuwirken - vor allem weg vom Superkonsum hin zu mehr Innehalten. 
Wenn ich überfachliche Themen wie «Leben in der Gemeinschaft», «Umgang miteinander» usw. betrachte, stelle ich bei Kindern grosses Interesse fest. Sie sind allerdings dabei auf Erwachsene angewiesen, die in den Austausch gehen und sich solchen philosophischen Fragen stellen.
Neururer: Wir können in den Pfarreien gute Arbeit leisten und mit Kindern und Jugendlichen in Beziehung gehen, auf ihre Fragen eingehen. Denn diese interessieren sich immer noch für die grossen Fragen des Lebens. 
Vonlanthen: Vor ein paar Jahren hat Doris Leuthard als Bundesrätin bei der Neujahrsansprache dem Schweizer Volk Gottes Segen gewünscht. Das gab fast einen Aufschrei. Einige Medienleute fanden das unangemessen. Natürlich soll man Politik und Religion trennen, aber man muss Politik und Glauben nicht trennen. Ich erwarte von einem christlichen Politiker, dass er sich zu seinem Glauben bekennt, ihn lebt und sich auch hier und da dazu äussert. 

Was kann der Religionsunterricht zur Weitergabe religiöser Kompetenzen beitragen?
Wo stösst er an seine Grenzen?

Ritter: Es besteht teilweise die Erwartung, dass der Religionsunterricht das kompensieren soll, was zum Teil verloren gegangen ist an Elternwissen, an Präsenz der Kirche in der Gesellschaft usw. Das kann der Religionsunterricht nicht leisten. Auf der anderen Seite kann eine Religionslehrperson, die authentisch ist, persönliche Zugänge schaffen und einen Dialog ermöglichen, in den sich die Schüler*innen mit ihren Erfahrungen einbringen können. Gemäss einer Studie der Uni Zürich geniesst der Religionsunterricht ein hohes Vertrauen, dass man dort offen reden kann. Das erlebe ich auch in der Schule so. Wir haben weniger Druck, Kompetenzziele zu erreichen, und damit mehr Raum, Diskussionen laufen zu lassen. Wir können auch mal einen Konflikt aufgreifen und besprechen. Dadurch wird für die Schüler*innen erfahrbar, was Religion bedeutet, nämlich miteinander menschlich unterwegs zu sein.
Neururer: Das erlebe ich auch so. Wir haben keinen Druck. Wenn Schüler*innen einen Streit haben und die Klassenlehrperson keine Zeit hat, darauf einzugehen, gebe ich dem Raum. Das sehe ich als Stärke des Religionsunterrichts.
An die Grenze komme ich, wenn Eltern die Verantwortung für die Glaubensbildung ihrer Kinder an mich übertragen. Das schaffe ich mit 45 Minuten pro Woche nicht. Schwierig wird es auch, wenn eine Gruppe sehr heterogen ist, wenn die einen religiös beheimatet sind und die anderen wenig Erfahrung mit dem Glauben haben.
Vonlanthen: Die interreligiöse Arbeitsgemeinschaft Iras Cotis kam in einer Studie zu dem Schluss: «Es wächst eine Generation heran, die beim Schulabschluss kaum mehr etwas über Religion weiss.» Wie gehen wir damit um? Der konfessionelle Religionsunterricht sollte meines Erachtens klar bekenntnishaft sein, damit Grundlagen geschaffen werden und die Schüler*innen für den Glauben gewonnen werden können. Der schulische Religionsunterricht sollte die Wertevermittlung und die Kenntnis christlicher Feiertage zum Ziel haben. Er sollte einen Beitrag zu einer Identität leisten, die in unserem Land christlich sein muss.

Der 2021 in Kraft gesetzte Lehrplan RU der beiden Landeskirchen im Thurgau ist sehr umfangreich. Wie viele der genannten Ziele lassen sich im Religionsunterricht mit einer Lektion pro Woche erreichen?
Ritter: Im Lehrplan sind 118 Teilkompetenzen enthalten. Das sind relativ viele. Aber sie betreffen nicht nur den Religionsunterricht mit einer Lektion, sondern auch das katechetische Angebot in den Pfarreien. Eine Kinderbibelwoche oder einen Schöpfungstag kann man auch an diesen Kompetenzen ausrichten. Das entlastet das Ganze. 
Ausserdem hängen die einzelnen Kompetenzen miteinander zusammen. Sie stärken sich gegenseitig. Wenn man z. B. das Vaterunser als Form von christlicher Ausdrucksweise behandelt, dann hat das auch mit Liturgiefähigkeit zu tun.
Schurter: Die überfachlichen Kompetenzen sind auf den Unterrichtsalltag als Ganzen bezogen. Sobald Menschen zusammen sind und sich entwickeln, rücken auch solche Kompetenzen ins Zentrum. Das sind keine eigenen Lektionen, das ist nicht minutenmässig ausgewiesen. 
Beim Argumentieren im Deutschunterricht geht es z. B. darum, wie man mit einem konträren Standpunkt umgeht: Akzeptiert man ihn? Welche Sprache verwendet man? Aber darüber hinaus werden auch überfachliche Kompetenzen weiterentwickelt: wie wir als Menschen miteinander umgehen, wie wir mit Vielfalt umgehen, wie wir uns mit unseren Schwächen und Stärken gegenseitig unterstützen können. So verstehe ich Bildung. 
Vonlanthen: Ich habe gelesen, dass der Religionsunterricht helfe, Identität zu entwickeln. Was dient da als Grundlage? In der Gesellschaft und in den Kirchen geht die Identität doch mehr und mehr verloren. Wie soll man Glauben feiern, wenn einem die Glaubensgrundlagen fehlen? Ich habe grösste Bedenken, wie diese Ziele in einer Stunde erreicht werden können.
Ritter: Beim Kompetenzbereich «Christliche Identität entwickeln» ist nicht eine gesellschaftliche oder kirchliche Identität gemeint, sondern es geht um den Menschen, um subjektorientierte Identitätsbildung, man könnte auch Menschwerdung sagen. Das muss doch unser zentrales Anliegen sein, dass Menschen sich selbst entdecken als Gegenüber von Gott und Gott als Gegenüber vom Menschen. Jesus setzte sich nicht primär für die Glaubenslehre ein, sondern handelte befreiend an Menschen. Identitätsbildung ist auch das Kernanliegen der Schule. Da arbeiten wir zusammen.
Vonlanthen: Einverstanden. Wir sind als Individuen geschaffen, jeder mit einer eigenen Identität. Aber diese hängt von anderen Identitäten ab - sehr wohl auch von der Kirche. Die Kirche wurde an Pfingsten gegründet. Darum erwarte ich von der Kirche, dass sie vom Heiligen Geist geleitet wird, sodass etwas von diesem Geist ausströmt, damit das Individuum davon erfasst werden kann.

Inwieweit werden in den Schulen auch ausserhalb des Religionsunterrichts religiöse Kompetenzen vermittelt, z. B. im Fach «Ethik, Religion, Gemeinschaft» (ERG)?
Schurter: Alle kirchlichen Feiertage sind Thema im Kindergarten und in der Primarschule. Das neue Lehrmittel für ERG bietet eine gute Grundlage, um in der Sekundarstufe über religiöse Themen zu reden. Dazu gehören auch die fünf Weltreligionen. 
Neururer: Das erlebe ich in der Realität anders. Ich habe es selten erlebt, dass eine Klasse sagt: «Wir haben die Weltreligionen durchgenommen.» Das Judentum ist bei mir im Religionsunterricht auch Thema. Ich würde mir wünschen, dass ich auf etwas aufbauen kann. Aber ich vermittle wirklich Grundlagenwissen. Das finde ich schade.
Ritter: Ich habe es schon erlebt, dass Religionen im schulischen Unterricht behandelt wurden. Es hängt viel von der Lehrperson ab. Zum Teil gibt es da auch Widerstände gegenüber religiösen Themen. Schliesslich kann es auch sein, dass sich Schüler*innen nicht mehr an behandelte Themen erinnern. 
Vonlanthen: Der Regierungsrat hat in seiner Antwort geschrieben: «Grundsätzlich haben sich die Studierenden der Pädagogischen Hochschule Thurgau (PHTG) ausreichend mit Religion und christlichen Werten auseinandergesetzt.» Da habe ich grosse Zweifel. Ich erlebe bei Lehrpersonen viel Distanz bis grösste Abneigung zu allem, was Religion und Glauben betrifft. 
Ritter: Ich finde, wir dürfen auf zwei Dinge vertrauen. Dass der Geist Gottes wirkt - und dass die christlichen Feste auch aus sich heraus wirken. Durch die Position von Ostern im Jahreskreis – am ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond – können Menschen in der Natur erfahren, dass etwas, was tot war, lebendig wird, zum Blühen kommt. Sie erleben damit Auferstehung, den Kern unseres Glaubens, auch wenn sie dann nicht genau wissen, wie lange Jesus im Grab gelegen ist. 

Gibt es Kooperationen im Bereich Religionsunterricht und ERG?
Schurter: Als Privatperson würde ich es mir sehr wünschen. Ich sehe grosses Potenzial. Viele Themen überschneiden sich mit den Themen des ERG und dem Fach «Natur Mensch Gesellschaft» (NMG) oder mit den überfachlichen Kompetenzen. Eine Kooperation würde Sinn machen. Aber in meiner neuen Aufgabe spüre ich, dass viele Bedenken beim Personal da sind, die zum Teil auf frühere Erfahrungen in der Zusammenarbeit zurückzuführen sind. 
Neururer: Ich würde auch gern mehr mit den Klassenlehrpersonen zusammenarbeiten. Aber ich merke, dass sie nicht viel mit uns Religionslehrpersonen zu tun haben wollen. Das finde ich eine verpasste Chance. Im Kanton Luzern habe ich zusammen mit der Klassenlehrerin einen Religionshalbtag durchgeführt. Das habe ich sehr bereichernd gefunden. 
Ritter: Es ist sehr abhängig von den Lehrpersonen. Es gibt gute und schlechte Erfahrungen. Es gibt auch Vorbehalte bei den Schulleitungen, zum Teil auch aus organisatorischen Gründen. 
Vonlanthen: In der Schule gibt es heute Gendertage, Ökotage und Sporttage, zu denen man aussenstehende Organisationen einlädt. Wieso setzt sich die Kirche nicht einmal für einen Glaubenstag an der Schule ein? Dort könnten gläubige Personen des öffentlichen Lebens erzählen, was ihnen der Glaube bedeutet und wie man als junger Mensch zum Glauben finden kann. 

Welchen Stellenwert hat Religion bzw. die Vermittlung religiöser Kompetenzen in den Schulen?
Ritter: Im Thurgau ist die Zusammenarbeit mit dem Amt für Volksschule und mit der Pädagogischen Hochschule ausgezeichnet. Wir sind in einem guten Kontakt, haben letztes Jahr zusammen eine Tagung veranstaltet. Die Offenheit besteht nicht nur gegenüber dem christlichen Religionsunterricht, sondern auch gegenüber Projekten wie dem islamischen Religionsunterricht. Dahinter steht die Überzeugung, dass dies allen Beteiligten dient. 
Schurter: Wenn man religiöse Kompetenzen weit fasst – im Sinne von Zusammenleben, Umgang miteinander –, haben sie einen grossen Stellenwert an der Schule, weil in den Klassen ein hoher Bedarf besteht, darüber zu reden. Die konfessionsbezogenen Inhalte werden meines Erachtens ausgelagert in den Religionsunterricht, weil sie für die Lehrpersonen da hingehören.
Vonlanthen: Inwieweit kommt die Glaubensweitergabe noch vor in der Schule? 
Schurter: Wenn man unter Glauben versteht, dass man auf etwas vertraut, das einen beschützt, das einem Halt gibt, ohne dass man ihm einen Namen gibt, würde ich Ja sagen. Wenn das, worauf man vertraut, einen Namen haben soll, würde ich Nein sagen. 
Vonlanthen: Das ist verrückt. Wir haben fast keine christlichen Vorbilder und kein christliches Bekenntnis mehr. Es ist niemandem geholfen, wenn ich in einem christlichen Land sage, ich glaube an irgendetwas.
Schurter: Es ist allen geholfen, die an etwas glauben, weil sie das stärkt. Traurig ist es, wenn man an nichts glaubt. Dann ist man verloren. Solange Menschen einen Glauben haben, bedeutet das, sie sind aufgehoben und beschützt. Das gibt ihnen einen anderen Mut, eine andere Stärke, ein anderes Auftreten im Leben.
Ritter: Ich würde es noch stärker formulieren. Was nützt es uns, wenn Menschen einen Angriffskrieg unterstützen und sagen, dass sie an Gott glauben? Ich wünsche mir Menschen, die merken, dass es mehr gibt als uns, die das Gott oder anders nennen und die dann auch so handeln, dass darin sichtbar wird, woran sie glauben. Es gab und gibt viele Menschen, die von sich sagen, dass sie an Gott glauben, in deren Handeln aber etwas ganz anderes sichtbar wird. 
Ich spreche nicht mehr von Glaubensweitergabe, sondern verwende lieber den Begriff Glaubenskommunikation. Ich kann nichts weitergeben, aber ich kann es ins Gespräch bringen und Zugänge gegenseitig erarbeiten.
Vonlanthen: Als Pädagogen haben wir aber auch die Aufgabe, die guten Beispiele von Christen zu bringen.

Braucht es in den Schulen weniger religionskundlichen Unterricht und mehr Religionsunterricht auf christlicher Basis?
Schurter: Organisatorisch braucht es sehr grosse Anstrengungen, den Religionsunterricht im Stundenplan sinnvoll zu platzieren. Das ist schade. 
In unseren Schulen gehören etwa zwei Drittel der Kinder den beiden Konfessionen an. Was machen wir mit dem anderen Drittel während des Religionsunterrichtes? Hinzu kommen viele Fachlehrpersonen, Teilzeitkräfte, Therapeuten usw. Es ist eine unglaubliche Leistung, einen Stundenplan zusammenzustellen, der auch für Katechet*innen Sinn macht und leistbar ist.
Neururer: Ja, das ist ein Problem. Die Stundenplanung ist für alle sehr anspruchsvoll. Ich würde es sehr begrüssen, wenn man mehr Zeit mit den Kindern hätte. Aber für manche Eltern ist selbst diese eine Lektion zu viel. Es ist wichtig, dass man den Lernort Kirche mehr einbezieht, Kinder z. B. aktiv zum Familiengottesdienst am Sonntag oder zu einem Projekttag einlädt.
Vonlanthen: Wir sollten die heutige Situation ernst nehmen. Viele junge Menschen haben psychische Probleme, viele leiden darunter, dass ihre Familien auseinanderbrechen. Wir müssen uns fragen, was Kindern ein Fundament und Geborgenheit geben kann. Deshalb muss die Zusammenarbeit von Kirche und Schule intensiver werden. 
Ritter: Bei den eben genannten Problemen müssen wir wirklich schauen, was es braucht. Ob man auf diese Bedürfnisse in Stunden der Volksschule oder der Kirchen eingeht, ist eigentlich egal. Es geht darum, dass Menschen sich entwickeln, damit sie in den Anforderungen des Lebens bestehen können – sowohl in der schulischen als auch in der kirchlichen Bildung. 
Die Frage ist nicht, wer macht was, sondern, wie erreichen wir dieses Ziel miteinander. Es braucht auf jeden Fall das Zusammenspiel. Keiner der beiden Partner kann diese Aufgabe alleine meistern. 

Eine 2023 veröffentlichte Studie der reformierten Kirche Schweiz zeigt, dass Kinder durchaus empfänglich sind für religiöse Inhalte. Wie könnte man diese Offenheit nutzen, um ihnen den christlichen Glauben nahezubringen?
Ritter: Wichtig sind katechetische Angebote neben der Schule. Meine Tochter hat z. B. von einer Kinderbibelwoche religionspädagogisch sehr viel mitgenommen. Die «Lange Nacht der Kirchen» mit Projekten für Kinder und Jugendliche ist ein weiteres Beispiel. Wir benötigen Angebote, die attraktiv sind, bei denen aber auch etwas von dem zur Sprache kommt, was unseren Glauben ausmacht. Dann können die Eltern und die Schule ihren Teil dazu beitragen.
Vonlanthen: Es würde viel helfen, wenn es in den Schulhäusern Lehrergebetsgruppen geben würde - ähnlich wie Moms in Prayer (Mütter im Gebet). Auf diese Art und Weise könnte viel Segen in die Schule einfliessen.
Schurter: Mir kommt Midnight Basketball in den Sinn. Man könnte Jugendlichen, die abends verloren herumhängen, ein ähnliches Angebot machen: einen Raum zur Verfügung stellen, in dem sie über das reden können, was sie beschäftigt. 
Neururer: Kinder und Jugendliche ernst zu nehmen, scheint mir wichtig. Ich habe meine Firmgruppe gefragt, wie sie sich Kirche vorstellen. Da kam sehr viel. Sie haben konkrete Ideen. Aber oft werden sie gebremst. Beim Firmkurs mute ich den Jugendlichen auch Dinge zu, die sie von sich aus nie ausprobieren würden. Ich habe sie zu einer einfachen Taizé-Feier eingeladen. Das Feedback war sehr positiv. Alle haben die einfache Form und die Ruhe sehr geschätzt. 
Wir sollten nicht denken: Das interessiert die Jungen nicht. Wir sollten den Mut haben, sie an Themen des Glaubens heranzuführen. 

Interview: Detlef Kissner, forumKirche, 22.06.2023
 

Gesprächsrunde
Quelle: Béatrice Eigenmann
Die Gesprächsrunde fand im Obstgarten der Pfarrei Weinfelden statt.

 

 

Marija Neururer und Andrea Vonlanthen
Quelle: Béatrice Eigenmann
Im regen Austausch miteinander: Marija Neururer-Kunac und Andrea Vonlanthen …

 

 

… Cornelia Schurter und Daniel Ritter
Quelle: Béatrice Eigenmann
… Cornelia Schurter und Daniel Ritter

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