Protestwelle der Kirchenfrauen in Europa
Frauen wollen in der katholischen Kirche mehr Mitsprache und einen Zugang zum Priesteramt. Was bisher höflich als Anliegen vorgebracht wurde, kommt nun in Form von Protesten daher, die über Landesgrenzen hinweg vernetzt sind. In Deutschland ging der Kirchenstreik Maria 2.0 zu Ende, in der Schweiz beteiligen sich kirchlich organisierte Frauen am Frauenstreiktag am 14. Juni, um mehr Gleichberechtigung in ihrer Institution einzufordern.
In Münster (D) standen die Zeichen auf Streik: Die Initiative Maria 2.0 forderte Frauen dazu auf, eine Woche lang keine Kirche zu betreten und ihren ehrenamtlichen Dienst ruhen zu lassen. Während des Sonntagsgottesdienstes feierten Befürworterinnen und Befürworter der Initiative einen eigenen Gottesdienst vor den Kirchentüren. Auslöser für diese Aktion war ein Dokumentarfilm über die Vertuschung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. «Das hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen», sagt Lisa Kötter, eine der fünf Initiatorinnen, in einem Interview der Süddeutschen Zeitung, «die frohe Botschaft kann man in diesem Grauen nicht mehr finden.»
Aus dieser Betroffenheit heraus wuchs die Idee zu einem Streik, mit dem Frauen für mehr Mitsprache in der Kirche, für die Frauenordination und gegen den Pflichtzölibat protestierten. Für Lisa Kötter besteht ein klarer Zusammenhang zwischen den Missbrauchsfällen und den bisherigen Machtstrukturen: «Mit Frauen an wichtigen Stellen gäbe es bestimmt auch Unrecht, aber diese Systematik wäre nicht möglich.»
Die Aktion stiess auf unerwartet hohe Resonanz. Unterstützt von den katholischen Frauenverbänden formierte sich in Deutschland eine landesweite Protestwelle. An über 100 Orten – unter anderem auch in Bad Säckingen, Ravensburg und Weingarten – schloss man sich der Initiative an. In Freiburg i. Br. demonstrierten 400 rot gekleidete Frauen während der Priesterweihe vor dem Münster, in Reutlingen stapelten katholische Frauen einen Scherbenhaufen als Sinnbild für den derzeitigen Zustand der Kirche auf. Von bischöflicher Seite kamen ganz unterschiedliche Reaktionen: Nur wenige Oberhirten zeigten Verständnis für die Aktion, die Mehrheit schwieg, einige lehnten Maria 2.0 vollständig ab. Im Vordergrund stand die Kritik, dass bei dem Streik die Eucharistie instrumentalisiert worden sei. Der Osnabrücker Bischof Bode mahnte: «Es wird zu Spaltungen kommen, wenn fundierte Reformforderungen nicht ernst genommen werden.»
In Bayern bildete sich zwischenzeitlich eine Gegenbewegung mit den Namen Maria 1.0. Maria brauche kein update, heisst es auf der entsprechenden Internetseite. Die Kirchenleitung habe die Weihe der Frau abgelehnt: «Also sind Frauen, die nach Weiheämtern streben, auf dem Holzweg.»
Am 22. Mai waren es genau 25 Jahre, dass Papst Johannes Paul II. ein Machtwort in Sachen Frauenpriestertum gesprochen hat. «Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeutenden Angelegenheit, die die göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken, dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben», verkündete er in seinem Schreiben «Ordinatio sacerdotalis».
Trotz dieser Klarstellung verstummten die Stimmen nicht, die die Gleichstellung der Frauen und deren Zugang zum Priesteramt forderten. Es wurde theologisch darum gestritten, ob es sich bei «Ordinatio sacerdotalis» um eine unfehlbare Lehrentscheidung handle und ob sie damit revidierbar ist oder nicht. Der Präfekt der Glaubenskongregation bekräftigte den unfehlbaren Charakter des Schreibens vor einem Jahr. Bereits 2016 hatte Papst Franziskus sich hinter die Aussage des Schreibens gestellt: «…und es bleibt.»
Als Papst Franziskus vor zwei Jahren eine Expertenkommission einsetzte, die untersuchen sollte, ob und in welcher Form es Diakoninnen in den ersten christlichen Gemeinden gab, blitzte für all jene ein Hoffnungsschimmer auf, die sich für eine Gleichstellung von Männern und Frauen in der Kirche einsetzten. Könnte Frauen wenigstens dieses niedere Weiheamt zugestanden werden? Doch selbst dieser Türspalt schloss sich vor wenigen Wochen wieder. Da sich die Fachleute nicht einig wurden über die Auslegung der Quellen, werde es in absehbarer Zeit keine Entscheidung zum Frauendiakonat geben, so Papst Franziskus.
Und in der Schweiz?Hierzulande setzten sich die Bemühungen um eine kirchliche Gleichstellung schon vor einigen Jahren wortwörtlich in Bewegung. 2016 pilgerte eine Gruppe von Frauen und Männern unter dem Motto «Für eine Kirche mit* den Frauen» von St. Gallen nach Rom. Ziel war es, Papst Franziskus mitzuteilen, dass Frauen in der katholischen Kirche endlich mehr Gehör und ein Mitspracherecht erhalten. Initiantin des Projekts war die Theologin Hildegard Aepli, die damals sagte, dass viele Teilnehmende durch die Reise erst eine Ahnung davon bekommen hätten, was Kirche-sein heute bedeuten könne. Und tatsächlich brachte die Idee einiges ins Rollen und vor allem ein Netzwerk von engagierten Frauen hervor, die wenig später, angelehnt an den Fussmarsch nach Rom, den jährlichen Wiborada-Pilgertag des Bistums St. Gallen am 2. Mai ins Leben riefen.
Gebet der ZuversichtIrene Gassmann, Priorin des Klosters Fahr, war 2016 ebenfalls auf dem Weg nach Rom mit dabei. Daraus schöpfte sie viel Inspiration für eigene Aktionen, wie beispielsweise dem gemeinsamen Singen für eine geschwisterliche Kirche oder dem im Februar lancierten Aufruf zum wöchentlichen Gebet am Donnerstag (www.gebet-am-donnerstag.ch). Zusammen mit drei weiteren engagierten Katholikinnen will sie damit für die Gleichstellung und für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche sprechen. Betend zu protestieren, sei dabei eine bewusste Entscheidung gewesen. «Als Benediktinerin, die im Kloster lebt, liebe ich die Kirche und leide an ihrer Situation. Ich wollte deshalb einen anderen Weg wählen, als eine Initiative oder Petition zu starten: Ein Gebet für diese Zeit der Veränderung, ein Gebet, das die Ohnmacht zum Ausdruck bringt und Kraft und Zuversicht gibt», erklärt sie.
Global denkenAndere, progressivere Massnahmen lehnt sie jedoch deshalb nicht ab: «Es geht darum, Zeichen zu setzen. Deshalb braucht es sowohl Menschen, die aufstehen und die Themen benennen und Aktionen wie Maria 2.0 ins Leben rufen, wie auch ein Gebet, das dazu ermutigen und diesen Prozess unterstützen kann.» Das Gebet am Donnerstag soll dabei nicht in der Schweiz bleiben, sondern über das Netz der Benediktinerinnen auf der ganzen Welt Anklang finden. «Wir müssen in der Kirche globaler denken. Alleine können wir die Weltkirche nicht verändern», sagt Irene Gassmann. Eine wertvolle Plattform biete deshalb auch die liechtensteinische Initiative Voices of Faith zur Stärkung der Rolle katholischer Frauen weltweit sowie deren Kampagne Overcomingsilence, die dazu einlädt, die Stimme zu erheben.
Neue GlaubwürdigkeitIhre Stimme erhebt auch Monika Hungerbühler, Theologin und Co-Leiterin der Offenen Kirche Elisabethen in Basel. Zusammen mit der Theologin Jacqueline Keune hat sie im Dezember 2018 mit einem Text auf den Protestaustritt von sechs Frauen aus der katholischen Kirche reagiert, der von über 300 Personen mitunterzeichnet wurde. Die beiden Frauen erhielten daraufhin eine Einladung zum Gespräch mit Bischof Felix Gmür, zusammen mit fünf Begleitpersonen. Gemeinsam verfassten sie ein Papier unter dem Titel «Wir haben es satt!». Darauf befinden sich zwanzig nachdrückliche Forderungen an den Bischof. So beispielsweise nach einer grundlegenden Revision des Kirchenrechts und einer kirchlichen Verfassung in Rom, für verbindliche Rechtsgleichheit und nicht-diskriminierende Strukturen. «Uns ist bewusst, dass die Umsetzung mancher Punkte mehr Zeit benötigt. Das Signal zur Gesprächsbereitschaft ist an sich aber schon bedeutungsvoll. Wir möchten den Bischof mit ins Boot holen, um für eine neue Glaubwürdigkeit der Kirche zu kämpfen.»
Unermüdliche ArbeitDas Problem der mangelnden Glaubwürdigkeit erkennt auch die Thurgauer Kirchenrätin Anne Zorell Gross: «Die Kirche kann auf keinen Fall so weitermachen wie bisher. Immer noch unternimmt sie viel zu wenig, um mit dem Thema Missbrauch angemessen umzugehen. Dadurch verliert sie das Vertrauen und die Menschen laufen ihr davon. » Sie fügt hinzu: «Durch Aktionen wie Maria 2.0 verbinden sich Frauen solidarisch miteinander, bringen sich wieder ins Bewusstsein und machen damit auch bewusst, dass sie die Kirchen durch ihre unermüdliche Arbeit am Leben halten.» Für die Sichtbarkeit der Thurgauer Kirchenfrauen setzt sich auch Simone Curau-Aepli ein, Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds SKF. Aus diesem Grund beteiligt sie sich, zusammen mit drei weiteren Frauen aus dem Pastoralraum Thurgau Mitte, am nationalen Frauenstreiktag vom 14. Juni, um den frauenkirchlichen Anliegen mit dem pinken Punkt eine eigene Note zu geben.
Nicht müde werdenDie Projektgruppe organisiert zudem am Sonntag, den 16. Juni (siehe Veranstaltungen Seite 16) von 9.30 Uhr bis 11 Uhr eine weitere sichtbare, jedoch leisere Aktion. Angelehnt an Maria 2.0 werden die vier Frauen in weisser Kleidung vor der Kirche stehen, schweigen und beten. Frauen und Männer sind eingeladen, sich daran zu beteiligen. «Wir wollen die Menschen nicht abschrecken, sondern gewinnen, weshalb wir uns still für eine Veränderung einsetzen. Im Wissen darum, dass dies eine eigene Kraft entwickelt», erklärt Simone Curau-Aepli. Zusätzlich sollen vom 14. bis 16. Juni und im besten Fall noch darüber hinaus in den drei Kirchen in Berg, Sulgen und Weinfelden weisse Stellwände positioniert werden, auf denen Menschen ihre Wünsche und Hoffnungen, aber auch ihre Betroffenheit und Enttäuschung in Bezug auf die Kirche aufschreiben können. «Das Schwierigste für mich und ganz viele Menschen, die sich der Kirche noch zugehörig fühlen, ist es, nicht müde zu werden. Vor allem, wenn man sich mit der Realität der zunehmenden Kirchenaustritte konfrontiert sieht», sagt die SKF-Präsidentin.
Auf die Frage, inwieweit die Organisationen und Verbände in der Schweiz aber auch darüber hinaus miteinander vernetzt seien, antwortet sie: «Sehr gut, auch die Zusammenarbeit mit den regionalen Frauenverbänden ist sehr intensiv. Alle Allianzen müssen nun aber schauen, wie man weiterhin Ressourcen bestmöglich bündeln kann. Doch unsere Anliegen werden weiterbewirtschaftet werden, weil noch einiges auf uns zukommen wird», so Simone Curau-Aepli. Davon ist auch Irene Gassmann überzeugt. «Der Dialog muss unbedingt weiter gesucht und gepflegt werden. Nur im geschwisterlichen Miteinander kann die Kirche gestärkt in die Zukunft gehen. Der Weg ist noch lange, aber es gibt kein Zurück mehr!»
Detlef Kissner/Sarah Stutte (27.5.19)
Cartoon zum Frauen-Kirchenstreik: Der Pileolus wird zum pinken Punkt.
Illustration: Kati Rickenbach, Zürich
Priorin Irene Gassmann pilgerte 2016 mit beim Projekt «Für eine Kirche mit* den Frauen» von St. Gallen nach Rom.
Bild: © Sylvia Stam/kath.ch
Daraus entstand der jährliche Wiborada-Pilgertag am 2. Mai. Hier 2019 im Chor der Kathedrale St. Gallen. (Vierte von links in hellblauer Jacke: Simone Curau-Aepli)
Bild: © Vera Rüttimann/kath.ch
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