50 Jahre ökumenisches Engagement für eine gerechte Welt

Im Jahr der 50. Ökumenischen Kampagne organisieren Brot für alle und Fastenopfer zusammen mit dem Institut für Sozialethik ISE der Theologischen Fakultät der Universität Luzern am 23. September eine öffentliche Tagung. Der Leiter des Instituts im Interview.

Professor Dr. Peter Kirchschläger, Sie sind Leiter des ISE und werden anlässlich der Tagung zu 50 Jahre ökumenisches Engagement für eine gerechte Welt ein Impulsreferat halten. Was verbinden Sie mit der Ökumenischen Kampagne?

Die Ökumenische Kampagne bedeutet für mich tatkräftiges Engagement und überzeugende Sensibilisierung für die globale Solidarität mit allen Menschen und für die Achtung unserer Erde.

Weshalb braucht es sie?

Die Welt, in der wir leben, sieht noch nicht so aus wie die Welt, in der ich leben will. Ich träume von einer Welt, in der die Menschenrechte aller Menschen realisiert werden und in der wir Sorge zur Schöpfung tragen.

Lebensbedingungen nachhaltig verbessern und Ungleichheit dauerhaft abbauen – Befragungen zeigen, dass die Öffentlichkeit zu wenig zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungshilfe zu unterscheiden weiss. Wie lässt sich das verbessern?

Indem wir immer und immer wieder anhand konkreter Lebensgeschichten von Menschen erzählen, deren Leben sich nachhaltig positiv verändert haben und die sich von Ungerechtigkeit befreien konnten. So wird die nachhaltige Wirkung der Arbeit von Fastenopfer und Brot für alle deutlich.

Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft, schreibt in einem Gastkommentar der NZZ: «In der Entwicklungszusammenarbeit braucht es auch Partnerschaften mit dem Privatsektor, um Märkte zu entwickeln und produktive Unternehmen und Jobs zu schaffen.» Ist das eine logische Konsequenz und «nicht mehr als richtig» oder ethisch bedenklich?

Ein unternehmerischer Ansatz kann aus ethischer Sicht eine Chance darstellen – unter der notwendigen Bedingung, dass er die Menschenrechte achtet, dass er ein menschenwürdiges Leben ermöglicht und nicht als Instrument der Ausbeutung missbraucht wird. Konkret bedeutet dies, dass z. B. die bezahlten Löhne für ein menschenwürdiges Leben ausreichen müssen, dass menschenwürdige Arbeitsbedingungen garantiert sind, … Gleichzeitig muss man sich auch bewusst sein, dass ein unternehmerischer Ansatz nicht für alles die Lösung ist, denken wir z. B. an Bildung, Infrastruktur, … Beispielsweise ist ja das Bildungssystem in der Schweiz ganz bewusst auch nicht unternehmerisch organisiert.

Kann das Wirtschaftsmodell von Wachstum und Konsum, in dem Menschen ausgebeutet werden, durchbrochen werden?

Wir sollten die Wirtschaft wieder so verstehen und praktizieren, wie sie – was gerne verdrängt wird – u. a. auch von Adam Smith (schottischer Moralphilosoph, † 17. Juli 1790, Anm. d. Red.) gedacht worden ist: im Zusammenspiel mit Ethik, Politik und Recht. Es braucht eine globale Rahmenordnung für die freie Marktwirtschaft, welche die Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz, soziale Sicherheit und Nachhaltigkeit umfasst. Franziskus hat dies in «Evangelii Gaudium» auf den Punkt gebracht: «Diese Wirtschaft tötet», d. h. diese neoliberal entgleiste Laissez-faire-Marktwirtschaft. Eine freie Marktwirtschaft mit einer globalen Rahmenordnung sollte eine Wirtschaft sein, die Leben fördert.

Wie soll Entwicklungszusammenarbeit aus sozialethischer Sicht sein?

Angesichts globaler Armut und des Klimawandels braucht es mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Sie soll dabei einen menschenrechtsbasierten Ansatz verfolgen, der dem «Empowerment» aller Menschen dient. Dabei sollte die Entwicklungszusammenarbeit vor Augen haben, dass Entwicklung nicht allein wirtschaftliches Wachstum bedeutet, wie dies der Nobelpreisträger Amartya Sen hervorgehoben hat. Entwicklung ist ganzheitlicher zu denken. Es geht um den Abbau von Unfreiheiten. Es geht beispielsweise um den Zugang zu Schulen und Gesundheitsversorgung, es geht um bürgerliche und politische Rechte. Ziel der Entwicklungszusammenarbeit sollte in letzter Konsequenz sein, selbst überflüssig zu werden. Und in der gegenwärtigen Diskussion in der Schweiz scheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht für die wirtschaftlichen Partikularinteressen der Schweiz, sondern im Sinne globaler Solidarität für die Welt durchgeführt wird.

Wirtschaftsvertreter/innen beschweren sich über die Konzernverantwortungsinitiative, es werde eine Prozesswelle losgetreten, die Schweiz werde nicht mehr konkurrenzfähig sein? Warum ist gerade aus ethischer Sicht die Initiative ein richtiger Schritt?

Zu Ihrer ersten Frage: Es wird keine Prozesswelle geben, weil nur Opfer von Menschenrechtsverletzungen Klagen einreichen können und Einiges beweisen müssen. Zudem kennt die Schweiz keine Sammelklagen.

Zu Ihrer zweiten Frage: Pragmatisch betrachtet ist mehr Selbstbewusstsein der Schweiz angebracht: Multinationale Konzerne haben ihre Hauptsitze in der Schweiz vor allem aufgrund von politischer Stabilität, Bildungsqualität, Innovation, Lebensstandard, attraktiven Zeitzonen für internationalen Handel. Darüber hinaus schaden Menschenrechtsverletzungen durch multinationale Konzerne dem Ruf der Schweiz. Schliesslich haben Menschen hierzulande gemäss Art. 35 der Schweizerischen Bundesverfassung das Recht, dass der Staat multinationale Konzerne mit Sitz in der Schweiz zur Achtung der Menschenrechte bringt und so Arbeitnehmende bei menschenrechtskonformen Arbeitgebenden tätig sein können. Letzteres können ja die Arbeitnehmenden nicht selbst überprüfen. Aus ethischer Sicht ist die Konzernverantwortungsinitiative ein richtiger Schritt, da alle Menschen Träger/innen von Menschenrechten sind. Menschen verlieren ihre Menschenrechte auch nicht einfach, wenn sie es mit multinationalen Konzernen zu tun haben. Da leider multinationale Konzerne mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte verletzen (u. a. vergiftet Glencore Flüsse im Kongo und die Luft in Sambia, der Basler Konzern Syngenta verkauft tödliche, bei uns schon lange verbotene Pestizide, Schweizer Goldraffinerien greifen auf Kinderarbeit zurück), muss dringend etwas dagegen unternommen werden.

Colette Kalt, Fastenopfer/Red. (5.9.2019)


Nähere Infos zur Veranstaltung:
https://www.unilu.ch/agenda/globale-solidaritaet-50-jahre-oekumenisches-engagement-fuer-eine-gerechte-welt-4283/


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Fastenopfer versucht – wie mit dem Bau eines Brunnens in Madagaskar –, die Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern.

Bild: Fenitra Rabefaritra/Fastenopfer

 
 
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Prof. Dr. Peter Kirchschläger plädiert für selbstbewusstes Auftreten der Schweiz gegenüber multinationalen Konzernen.

Bild: zVg

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