Die Corona-Pandemie und die einschneidenden Massnahmen, die sie erfordert, sind ungewohnt und verunsichern derzeit viele. Das bevorstehende Osterfest mit seiner Botschaft hat über viele Jahrhunderte hinweg Menschen aufgerichtet, ihren Ängsten entgegengewirkt und neue Zuversicht wachsen lassen. Diese Botschaft der Befreiung kann gerade in dieser ungewissen Zeit Halt und Orientierung bieten. 

Corona wandelte sich von einer fernen Nachricht zu einer unmittelbaren Wirklichkeit: erst China, dann Einzelfälle in Europa, Italien und schliesslich mitten unter uns. Vielen kam diese Entwicklung mit ihren Begleiterscheinungen zunächst unwirklich vor – wie ein schlechter Traum. Inzwischen ist das Virus in unserem Leben angekommen. Es bestimmt unseren Alltag und schränkt uns in unseren Kontakten ein. Verunsicherung macht sich breit. Manch einer sorgt sich um seine Gesundheit oder die seiner Nächsten, andere fürchten um ihren Arbeitsplatz oder kämpfen um ihre Existenz. Elementare Einschnitte ins Leben, ja extreme Bedrohungen sind der Bibel nicht unbekannt. In ihr sind wichtige Erfahrungen von Menschen in Krisensituationen gesammelt. Zwei ihrer «grossen» Erzählstränge, die eng miteinander verwoben sind, stehen im Zentrum der Osternacht: Der Auszug aus Ägypten und die Auferstehung Jesu. 

Die Ur-Erfahrung 
Das Buch Exodus berichtet davon, dass die Israeliten in Ägypten als Sklaven missbraucht werden und wie sehr sie darunter leiden. Als Gott das Elend «seines» Volkes nicht mehr länger mitansehen kann, beauftragt er Mose, es aus Ägypten wegzuführen. Der Pharao, der die Israeliten unter dem Eindruck von zehn Plagen zunächst ziehen lässt, schickt ihnen seine Streitmacht hinterher, um sie zu vernichten. Ihr Mut zur Freiheit scheint mit dem Tod bestraft zu werden. Doch Gott verhindert auf wunderbare Weise, dass die Ägypter die Israeliten einholen. Den Verfolgten gelingt die Flucht durch das Meer, während die Verfolger in den Fluten ertrinken. Die Israeliten erleben in elementarer Weise: Gott ist da, er steht uns bei, wenn unser Leben bedroht ist. Diese Erfahrung ist Ursprung und Wurzel des jüdischen Glaubens und hat Juden und Christen immer wieder durch existentielle Gefahren getragen. Bis heute ist die Erzählung vom Auszug für sie Beweis und Garantie: Gott lässt Dich nicht im Stich, er rettet Dein Leben, auch wenn Dir das Wasser bis zum Hals steht.

Befreiung wird vollendet 
Die vier Evangelien, die je auf ihre eigene Weise vom Wirken Jesu berichten, deuten dessen Leben auf dem Hintergrund dieser Ur-Erfahrung der Befreiung (vgl. auch Bibel heute 1/2020, S. 24). Der Kindermord und die Rückkehr der heiligen Familie aus Ägypten (Mt 2, 16ff) verweisen auf den Exodus. Maria wird als wahre Nachfolgerin der Prophetin Mirjam dargestellt (vgl. Lk 1). Das Motiv der Wüste (Mk 1,1-12) und vor allem das letzte Mahl Jesu mit seinen Vertrauten, das als Pessachmahl inszeniert wird, – erinnern an Israels Auszug. Die Evangelien heben also hervor: Was damals in Ägypten begann, wird durch Jesus weitergeführt, ja vollendet. Für den Juden Jesus war Gott nicht nur einer, der von sich sagt: «Ich bin der Ich-bin-da» (Ex 3,14) und dies eindrücklich unter Beweis stellt, sondern ein den Menschen zugewandter Gott, ein Gott der Liebe, den man mit «Abba» (Vater) ansprechen kann. In diesem Vertrauen auf seinen Vater kann er zu Feindesliebe und Gewaltverzicht aufrufen und schliesslich auch seine eigene Gefangennahme geschehen lassen, die ihn in Todesgefahr bringt. 

Rettung durch den Tod 
Von aussen betrachtet ist Jesus gescheitert, hat er zu Unrecht vertraut. Sein Tod wird von Juden und Römern als Abkehr Gottes gedeutet. Seine Jüngerinnen und Jünger machen jedoch eine andere Erfahrung. In ihnen wächst die Gewissheit, dass Jesus auferstanden ist, dass er lebt. Er «begegnet» ihnen und «spricht» mit ihnen. Ihnen wird klar, dass Jesu Weg der Gewaltlosigkeit und der Liebe nicht gescheitert ist. Der Gott, der Israel vor den Ägyptern rettete, rettet auch Jesus, ermöglicht ihm neues Leben durch den Tod hindurch, führt ihn und die ganze Menschheit aus der Knechtschaft des Bösen in die Freiheit der bedingungslosen Liebe. Dies ist die grosse Botschaft von Ostern. Sie hat vielen Menschen in ausweglosen Situationen Hoffnung und neue Kraft geschenkt. Dietrich Bonhoeffer, dessen Ermordung sich am 9. April zum 75. Mal jährt, ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Auch in dieser krisenhaften Zeit dürfen wir auf die Erfahrung vertrauen, von der Menschen über Jahrtausende hinweg immer wieder erzählen: Gott sorgt sich um uns und rettet uns aus Not. 

Detlef Kissner
 

Kreuzesdarstellung
Die Kreuzesdarstellung von Hilde Reiser erinnert an die Rettung am Schilfmeer (Der Tod hat keine Macht mehr, 2008).

Bild: zVg

 

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