Eine Lesung über franziskanische Spiritualität

Der Kapuziner Niklaus Kuster wird am 10. Mai in einer Lesung zu seinem Buch «Innere Tiefe - grenzenlose Weite» Einblicke in die franziskanische Spiritualität gewähren. In einem Interview beschreibt er, was ihn in jungen Jahren an Franziskus begeisterte und wie das offene Haus der Klara von Assisi das Kloster zum Mitleben in Rapperswil inspiriert. 

Was hat Sie an Franziskus am meisten fasziniert, als Sie als junger Mensch dem Kapuzinerorden beigetreten sind?
Franz von Assisi beeindruckte mich schon als Gymnasiast. In Zeffirellis Film «Bruder Sonne, Schwester Mond» berührten mich seine Liebe zur Natur, sein wacher Blick für Randständige, sein geschwisterlicher Umgang mit jedem Menschen - inklusive Papst – und sein Mut, eine erstarrte Kirche an die Freiheit des Evangeliums zu erinnern. Im Roman «Bruder Feuer» von Luise Rinser faszinierte mich der Aussteiger. Als Geschichtsstudent an der Universität lernte ich Franz dann vertiefter kennen. Ich kam aus einem Bauerndorf und traf erstmals auf soziale Probleme einer Stadt: Obdachlose, die sich an Wintermorgen steif aus ihren Kartons schälten, drogenabhängige Teenager, ausgenutzte Sexworkerinnen, Vereinsamte mitten in Fribourgs belebter Altstadt. Ich hatte mehr und mehr das Gefühl, auf dem Weg in die Bibliotheken an den Nöten der Gegenwart vorbeizugehen. Franz stieg im mittelalterlichen Assisi aus, um Nöte zu überwinden. Ich erkannte: Das braucht es auch heute!

Was kennzeichnet eine franziskanische Spiritualität?
Es sind drei Kernanliegen: Freiheit, Geschwisterlichkeit und die «Fussspuren Jesu». Bruder Franz, Schwester Klara und Elisabeth von Thüringen als Familienfrau befreien sich alle aus vorgegebenen sozialen, politischen und kirchlichen Strukturen. Wenn Gott der Vater aller Menschen ist, werden alle Geschwister - über die Grenzen von Sprachen, Nationen und Religionen hinaus. Die franziskanische Spiritualität verbindet grenzenlos, und sie tut es mit Berufung auf Jesus Christus und das Evangelium: «Nennt niemanden auf Erden Vater, denn ihr alle seid Geschwister», und «Viele kommen aus Ost, West, Nord und Süd, um in Gottes neuer Welt gemeinsam zu Tisch zu sitzen».

Was unterscheidet die franziskanische Spiritualität von jener der Benediktiner?
Benedikt von Nursia sah sich als ein spiritueller Meister und als väterliche Gestalt. Für Franz von Assisi ist allein Christus der Meister, das Evangelium die wahre Richtschnur und alle Menschen Geschwister. Die monastische Spiritualität der Mönche und Nonnen setzt auf viel Stille, ortsgebundenes Dasein (stabilitas loci) und das «Leben unter Abt und Regel». Franziskus kannte keine Klöster in seinem Orden und lässt seine Brüder mit einer Friedensmission durch die Welt ziehen. Sie finden Stille temporär auf Bergen und Inseln, und sie erfahren Gottes Zuwendung auch mitten unter Menschen.

Welcher Mensch, der sich von Franziskus begeistern liess, hat Sie am meisten beeindruckt?
Es sind viele! Zwanzig habe ich zusammen mit einer Freundin im Buch «Innere Tiefe - grenzenlose Weite» vorgestellt und ins Gespräch mit der Gegenwart treten lassen. Wenn ich eine Person herausgreifen soll, dann Klara von Assisi! Sie zeigt, dass sich franziskanische Gottesfreundschaft und Menschenliebe auch sesshaft leben lässt: mit einem offenen Haus, gastfreundlich, geschwisterlich. Ihr Vorbild ermutigt meine aktuelle Lebensgemeinschaft - das Kloster zum Mitleben in Rapperswil. Wir sind seit zwei Jahren ökumenisch zusammengesetzt, sechs Brüder und eine junge Pfarrerin, und wir begleiten je nach Woche zwischen fünf und zwölf Gästen, die unser Kloster als Oase mit guten Quellen schätzen.

Was könnte man an der Amtsführung von Papst Franziskus als «franziskanisch» ansehen?
Seine Lebensfreude, der beherzt geschwisterliche Umgang mit Menschen aus jeder Kirche und Religion, die entschiedene Orientierung am Evangelium, sein Vertrauen in synodale Basisprozesse, seine Absage an hierarchische Macht – und seine franziskanischen Enzykliken: Laudato si’ als handfester ökologisch-sozialer Weckruf und Fratelli tutti über weltweite Geschwisterlichkeit, was die UNO inzwischen zum Programm für alle Nationen gemacht hat.

Die Kirche zur Zeit von Franziskus war auch am Wanken. Was würde er uns und den Kirchenführern heute ans Herz legen?
Habt Mut, euch aus Vertrautem und Erstarrtem zu lösen, und Mut zu Experimenten, neuen Formen des Feierns und Handelns und Vertrauen in die Kreativität der Geistkraft, die in jedem Menschen wirkt.

Interview: Detlef Kissner, forumKirche, 26.04.2023


■ Der Vortrag findet am 10. Mai um 19.15 Uhr im Zentrum Franziskus statt (Franziskus-Weg 3, Weinfelden). Infos: www.rep.kath-tg.ch  

Niklaus Kuster
Quelle: G. F. Xavier
Niklaus Kuster lehrt Spiritualitäts- und Kirchengeschichte an der Universität Luzern sowie an den Ordenshochschulen in Münster und Madrid.

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