Gedanken über die Geburt Jesu

Warum wurde Gott Mensch ? Und warum kam er so arm und verletzbar in einem unbedeutenden Stall zur Welt ? Oft wurde gesagt : um die Schuld der Menschen zu sühnen. Br. Niklaus Kuster vom Kloster Rapperswil hingegen verweist auf Hildegard von Bingen : weil es Gottes Sehnsucht ist, selbst Teil seiner Schöpfung zu werden.

Sind Sie bereit, Risiken einzugehen ? Gott ist es ! Kein Fest macht dies so deutlich wie Weihnachten ! Sein Sohn kommt als Kind eines Paares zur Welt, das in einem besetzten Land lebt. Jesus wird unter einem Herrscher geboren, der in seinem Machtwahn auch Kinder umbringen lässt. Die junge Familie ist zur Flucht gezwungen, sodass schon das Baby Migrations­hintergrund bekommt. Warum tat Gott sich das an ? Hätte sein Sohn nicht machtvoller auftreten können ? Warum so bescheiden, so unscheinbar, so verletzlich ? Warum kam Jesus nicht im Machtzentrum zur Welt, sondern in einem Krähenwinkel des römischen Weltreiches ? Warum ist Gott überhaupt Mensch geworden ?

Gott geht dem Menschen nach
Die jüdische Bibel spricht von der ursprüng­lichen Vertrautheit zwischen Schöpfer und Geschöpf. Der Schöpfer geht durch den Garten der Welt und spricht mit dem Menschen. Am Anfang sind Gott und Mensch auf Du und Du. Doch durch menschliche Egozentrik geht diese Nähe verloren, so erzählt die Geschichte vom Sünden­fall im Buche Genesis am Anfang der Bibel. Die Geschichte Israels steht danach im Zeichen von Gottes befreiendem Wirken und Werben. Drei Bundesschlüsse zeugen davon : Im Noahbund vertraut Gott den Menschen eine gefährdete Welt an. Im Abrahambund zeigt Gott sich als Lebensspender vieler Völker. Am Sinai wird Israel zum Bundesvolk, in dem eine Lebensfülle und ein Miteinander aufleuchten soll, die Gott « am Ende der Zeit » in einem Fest der ganzen Menschheit vollenden wird.

Sühne – Gott opfert seinen Sohn ?
Warum aber wird Gott in einem vierten Bund selbst Mensch ? Die christliche Theologie hat diese alte Frage oft eng beantwortet. Weil Israel nicht auf seine Propheten gehört hat, sendet Gott nun seinen Sohn, lautet eine Antwort in den Evangelien. Denn die Liebe Gottes unternimmt alles, wirklich alles, damit seine Zuwendung zu Israel eine liebende Antwort findet, so hatte es schon der Prophet Hosea gesagt.

Paulus hingegen entfaltet die Idee der Sühne : Jesus opfert sich, um Israels Schuld auszulöschen. Die lateinische und die germanische Theologie der ersten Jahrhunderte wird dieser Spur folgen und wendet das alte Motiv der zürnenden Götter, die mit Opfern zu besänftigen sind, auch auf den himmlischen Vater des Christentums an.

Warum Gott in der Welt wohnen will
Die Mystikerin Hildegard von Bingen stellt Gottes Handeln wiederum in ein ganz anderes Licht : Die « Prophetin vom Rhein » sieht den Schöpfer so fasziniert von seiner Schöpfung, dass er seit Anbeginn entschlossen ist, einmal selbst in sie einzutreten. Gott lässt sich mit einem Architekten vergleichen, der so glücklich auf ein von ihm gebautes Haus schaut, dass er selbst eine Zeit lang in ihm wohnen will. Gottes Menschwerdung wäre demnach auch ohne Verloren­heit der Menschen erfolgt « in der Fülle der Zeit ». Wie grossartig doch die Mystikerin von Gott denkt – und wie eng die dominante Theologie des Mittelalters dagegen erscheint !

Denn nach dieser trat Gottes Sohn in die Welt ein, weil die Menschen in ihrer Verirrung einen Pannenhelfer und Troubleshooter brauchten. Eine Rettungs­aktion geschieht jedoch zwangsläufig aus Not und folgt weder einer Sehn­sucht noch einem tiefen Herzenswunsch.

Liebe sucht Nähe
Die franziskanische Theologie gibt der Inspiration Hildegard von Bingens eine noch intimere Qualität. Der schottische Franziskaner Johannes Duns Scotus sah Gott aus reiner Liebe in die Schöpfung kommen. Denn Liebe kann nicht auf Distanz bleiben. Sie will auf Augenhöhe begegnen und sucht die Nähe vom Du zum Du. Gott will mit seinem Sohn den Geschöpfen in die Augen schauen und das Brot mit uns Menschen teilen. Liebe will gemeinsame Wege gehen. Der Sohn Gottes kommt nicht in die Welt wie ein Nothelfer oder Rettungsarzt in einer Katastrophe, sondern als Bruder, der mit uns leben will und der sich mit Leib und Seele auf Erden engagiert. Der Gottes­sohn und wir Menschen sind seither auf geschwisterliche Art verbunden, um unsere Welt friedlicher, gerechter und menschlicher zu gestalten. Dafür riskiert sich Gott in Betlehem – derart, dass er sich Menschen als schutzloses Kind in die Arme legt !

Br. Niklaus Kuster, 4.12.24

Illustration
Quelle: Image 27 of The Book of Divine Works. / Library of Congress
Illustration zu Hildegard von Bingens «Liber divinorum operum», dem «Buch vom Wirken Gottes»: Vision von der Natur des Menschen (Handschrift, 13. Jhd., Staatsbibliothek Lucca, Italien)

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