Vom Wüten der 3'000 Bäuerinnen und Bauern

Die Ausstellung «1524 Stürmische Zeiten – Der Ittinger Sturm im Fokus» im Ittinger Museum wirft einen Blick auf die Etappen und Ereignisse des Tumults vor 500 Jahren.

Der Weg hinab in den Gewölbekeller des Ittinger Museums ist ein Weg zurück in die Geschichte. Genauer gesagt werden die Besucher*innen 500 Jahre zurückgeführt in jene Zeit, als der Ittinger Sturm wütete und die Klosteranlage geplündert und komplett zerstört wurde. «Dies ist eine Ausstellung zu einem abstrakten Thema. Es gibt keine Objekte, die gezeigt werden können», sagt Museumskurator Felix Ackermann. Deshalb lässt ein fiktiver Reporter den Ittinger Sturm und sein zeitliches Umfeld in Bild und Ton in einer historischen Reportage aufleben. Als Grundlage dient einerseits die «Geschichte der Reformation» im Zeitraum von 1519–1532, die der einflussreiche Reformator Heinrich Bullinger verfasste. Bullinger, langjähriger Vorsteher der Zürcher Kirche und Nachfolger von Huldrych Zwingli, räumte in seinem Werk von 1564 dem Ittinger Sturm viel Platz ein. Andererseits wurden zehn Illustrationen ausgewählt aus einer Abschrift Bullingers von Heinrich Toman, Zürcher Ratsherr und Amtsträger. «Damit sind alle wesentlichen Informationen attraktiv verpackt», sagt Ackermann. 

Gewaltsame Verköstigung
Der restliche Gewölbekeller ist mit sieben Stationen versehen. Diese Inseln, wie der Kurator sie nennt, setzen jeweils den Fokus auf einzelne Geschehnisse während des Ittinger Sturms vom 18./19. Juli 1524. Die erste Insel mit dem Titel «Spiis und Trank» bezieht sich darauf, dass es unter den 3'000 wütenden Bäuerinnen und Bauern viele kriegserfahrene Söldner gab, die sich gewohnt waren, verköstigt zu werden. Nachdem die Befreiung des Pfarrers Hans Öchsli, der durch den Landvogt von Frauenfeld eingekerkert wurde, gescheitert war, zog die Meute zur Kartause, sozusagen als Ersatzziel, wo sie sich über alle Vorräte hermachte. «Der übermässige Alkoholkonsum hat die Plünderer derart übermütig gemacht, dass sie den Fischteich trockenlegten und die Fische über brennenden liturgischen Büchern brieten», erzählt Felix Ackermann.

Zürcher Herrschaft unzufrieden
Eine weitere Insel zeigt die Entwürdigung der Mönche, indem diese entkleidet wurden. Das Gewand und das Ankleiden war ein wesentlicher Teil des Rituals zur formellen Aufnahme in den Orden. Die Entkleidung der Mönche zeugte von einem Akt der reformatorischen Ablehnung gegen das Klosterleben. Der Zerstörung des Archivs ist eine weitere Insel gewidmet. Siegel von Dokumenten wurden abgetrennt, Urkunden vernichtet, um die Grundherrschaft des Klosters nichtig zu machen. Der Kurator sagt dazu: «Diese Befreiungsbewegung war jedoch nicht im Sinne der Zürcher Herrschaft. Diese wollte die herrschaftlichen Rechte und Einkünfte der Klöster nicht auslöschen, sondern verstaatlichen.» Der Konflikt mit den altgläubigen Innerschweizer Orten sollte nicht noch mehr angeheizt werden.

Zertrampelte Hostien
Während die Entfernung des kirchlichen Bildschmucks in Zürich mehrheitlich gesittet vonstattenging, kam es im Thurgauer Untertanengebiet zu einem wahren Bildersturm. Die Entfernung der Bilder in Stammheim trug zu den Spannungen des Ittinger Sturms bei. Die Ablehnung des Priors der Kartause gegen diesen gewaltsamen Akt befeuerte die Stürmenden in Ittingen, Bilder, Kruzifixe und Glasfenster zu zerstören. Es kam aber auch zur Zerstörung von Objekten zur Messfeier, insbesondere der konsekrierten Hostien im Altartabernakel. Die Reformatoren lehnten die Wandlung der Hostie zum Leib Christi und den Kult darum vehement ab. Deshalb war ein Ziel der Klosterstürmer, diese Hostien auf den Boden zu werfen und zu zertrampeln.

Wiederaufbau über Jahrzehnte
Liturgische Bücher wurden verbrannt, Messgewänder zerschnitten und für profane Kleidungsstücke zusammengenäht. An einer weiteren Ausstellungs-Insel wird die totale Plünderung aufgezeigt. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde abtransportiert. Es gab auch Gruppen von Frauen, die sich an der Plünderung beteiligten. Felix Ackermann sagt dazu: «Man darf nicht vergessen, dass die Landbevölkerung unter grosser Armut litt und das Kloster als Grundherrschaft das Schlaraffenland darstellte.» Am Schluss lag die Klosteranlage in Schutt und Asche. Die letzte grosse Bildtafel widmet sich dem Jahrzehnte dauernden Wiederaufbau des Klosters durch den Mönch Leonhard Janny, der den Überfall miterlebt hatte. Der geschickte Verwalter wurde 1549 zum Prior gewählt und wird in der klösterlichen Historiografie als Retter der Kartause Ittingen bezeichnet.

Claudia Koch, 29.5.24


Weitere Informationen

Illustration der Meute des Ittinger Sturms, die durch zwei Zürcher Ratsherren zum Abzug ermahnt wird.
Quelle: Claudia Koch
Illustration der Meute des Ittinger Sturms, die durch zwei Zürcher Ratsherren zum Abzug ermahnt wird

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