Bereichernde Patenschaft

Das Angebot « mit mir » der Caritas ermöglicht Kindern aus benachteiligten Familien ein bis zwei Mal im Monat eine aktive oder kreative Freizeitgestaltung.

Mit Armen und Beinen Engel machen im Schnee, im Schwimmbad planschen, auf einer Lichtung im Wald über dem Feuer Cervelats braten : nicht alle Kinder in der Schweiz dürfen solche unbeschwerten Momente erleben. In benachteiligten, armutsbetroffenen Familien fehlt den Eltern oder dem Elternteil oft die Kraft, um den Kindern solche Momente zu ermöglichen und ihre Kreativität zu fördern. 
Da kommt das Angebot « mit mir » der Caritas ins Spiel. Es vermittelt einem Kind aus einer benachteiligten Familie eine Patin oder einen Paten, damit es die Möglichkeit erhält, sich in der Freizeit zu entfalten. Das ist auch für die Eltern entlastend. Caritas begleitet dabei die Patinnen und Paten, Kinder und Eltern. Eine Patenschaft ist auf mindestens drei Jahre ausgelegt, um dem Kind Stabilität und Sicherheit zu vermitteln. 

Herausforderung
Eine dieser Patinnen ist Johanna Angele. Seit gut zweieinhalb Jahren kümmert sie sich um einen heute zehn Jahre alten Buben. Sie erinnert sich sehr genau an das erste Treffen. « Es war eine Heraus­forderung. Er hatte sich gewünscht, ins Dinosaurier-Museum Aathal zu gehen. Kaum waren wir im Museum und hatten die Eintritte gelöst, rannte er los und stand gefühlt nach zweieinhalb Sekunden wieder vor mir. Er zerrte mich in den Museumsshop und streckte mir ein Riesenei entgegen, das er unbedingt haben wollte. Ich machte mit ihm einen Deal : ‹Wir schauen uns im Museum alles an, danach suchst du dir etwas aus, das dich an den Besuch hier erinnert.› » Der Junge fand für den halben Ladeninhalt abenteuerliche Erinnerungsgeschichten, Am Ende entschied er sich für eine Kette mit einem Saurierzahn, von dem er schon auf der Fahrt nach Aathal begeistert erzählt hatte. « Noch immer ist er fasziniert von den bunten Auslagen, die man überall findet, wo Kinder gerne hingehen und auch wir oft unterwegs sind. Mittlerweile hat sich bei uns daraus ein Ritual entwickelt : Er darf sich hie und da etwas aussuchen und wir kaufen es. Aber nur, wenn er überzeugend erklärt, warum er genau das möchte und was er damit machen will. » Johanna Angele will nicht, dass er nur den materiellen Ausgleich zu anderen sucht, sondern sich wirklich seine eigenen Wünsche erfüllt.

Idee, sich um ein Kind zu kümmern
Da Johanna Angele selbst keine Kinder hat und auch nicht Gotte geworden ist, hatte sie sich länger überlegt, etwas mit Kindern zu machen. Sie war früher in der Pfadi und hatte die Idee, sich um ein Kind mit Migrationshintergrund zu kümmern. Sie stiess auf eine Institution, die Kinder für Ferien oder Wochenenden vermittelt. Als sie sich dort meldete, hörte sie ein entsetztes Nein. Gefragt waren Familien, also Eltern mit Kindern, die ein weiteres Kind aufnehmen würden. Johanna Angele findet das noch heute merkwürdig : « Ich habe Zeit. Eltern mit Kindern haben die doch viel weniger. » Ihre Mutter sah dann das Angebot « mit mir » und machte sie darauf aufmerksam. Johanna Angele fand es einen guten Ansatz, dass sich Eltern melden konnten, die wollten, dass ihre Kinder eine Patin oder einen Paten erhalten. So meldete sie sich bei Caritas. 

Kontaktaufnahme
Nach der Coronapandemie kam Caritas auf sie zu mit einem offenbar schwierigen Fall. Ein Paar wollte die Patenschaft abgeben, weil der Bub angeblich schwierig sei. Johanna Angele fand, so schlimm könne das nicht sein, und wollte die Herausforderung gerne annehmen. So begann der übliche Prozess : Johanna Angele musste einen Steckbrief ausfüllen sowie einen Strafregister- und einen Sonderprivatauszug vorweisen. Sie hatte ein Gespräch mit Caritas, musste einen Fragebogen ausfüllen, und es gab ein langes Kennenlerngespräch mit der Familie des Buben und der Betreuerin von Caritas. Man musterte sich gegenseitig und sprach über Erwartungen und Wünsche. So kam es zum ersten Treffen zwischen Patenkind und Patin.

Unterhaltsam und herausfordernd
Johanna Angele holt ihr Patenkind in der Regel an einem Samstag zwischen 9 und 10 Uhr morgens ab und bringt es zwischen 17 und 18 Uhr wieder nach Hause. Meist zweimal im Monat. Sie findet, das Angebot werde gut betreut. Pro Jahr gebe es zwei Standortbestimmungen mit der Begleitperson, die auch zwei Mal mit der Familie rede. « Ich bin nie allein. Ich kann mich immer melden – auch wenn es in meinem Fall selten vorkommt », sagt sie. Caritas organisiert auch regelmässig Anlässe für Patinnen und Paten mit ihren Patenkindern. « Dieser Austausch ist sehr hilfreich. Für mich sind aber vor allem die Begegnungen mit dem Patenkind bereichernd. Wir lachen sehr viel zusammen. Es ist spannend, ich werde heraus­gefordert und kann die gemeinsame Zeit geniessen. Ich kann meine ganze Energie hineinstecken, das alles tut mir gut. » 

Seine Show
Es gibt Tage, da bleiben sie in Johanna Angeles Zuhause und sie unterstützt ihr Patenkind bei allerlei Herausforderungen des kindlichen Alltags. Es ist ihr Ansporn, Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Sie hakt nach und übt auch manches auf eine witzige Art mit dem Jungen. Zum Beispiel, als er im Sommer unbedingt einen riesigen Schleckstängel in der Badi wollte, der « Jaw Breaker » hiess, also Kieferbrecher. Der Deal war : Er kriegt den Schleckstängel, wenn er sagen kann, was der englische Begriff auf Deutsch bedeutet. « Ich bleibe dann dran und kann sehr ausdauernd sein », erklärt Johanna Angele lachend. Am Ende gab es dann diesen Kieferbrecher. Kürzlich hat sie Defizite im Einmaleins ausgemacht. Also hat sie angefangen, Rummikub mit ihrem Patenkind zu spielen. Da der Junge gerne spielt, übt er nun spielerisch, Zahlen zusammen­zuzählen. « Ich schenke ihm gleichzeitig auch Freiräume. Es ist seine Show, bei mir steht er voll im Mittelpunkt. Zu Hause ist das für ihn selten möglich », fasst Johanna Angele zusammen.

Gemeinsame Erfahrungen wichtig
Johanna Angele findet es wichtig, dass sie zusammen Erfahrungen machen, auf die sie zurückgreifen können. So habe ihr Patenkind einmal beim Einkaufen unbedingt zwei Bratwürste haben wollen. « Er war sicher, dass er nach einer noch Hunger haben würde. Natürlich war er dann nach der ersten mehr als satt. Ich hatte sie schon für mein Abendessen eingeplant », erzählt sie. « Nun aber kann ich ihn ein nächstes Mal daran erinnern, dass er doch gar nicht so viel mag. » Natürlich sei es teilweise herausfordernd, aber mittlerweile hätten sie sich gut aneinander gewöhnt. Als einziger Bub mit drei Schwestern käme er mit seinen Bedürfnissen oft zu kurz. Deshalb sähe sie ihre Rolle darin, ihm Zeit zu schenken und ihn dort zu fördern, wo sie seine Bedürfnisse sähe. So hat sie ihm das Velofahren, das Pingpong-Spiel und Schwimmen beigebracht und das Wandern vermittelt. Ebenso hat sie den Jungen ans Musizieren herangeführt. Nicht nur, weil für sie Musik wichtig ist, sondern auch, weil Musik kulturübergreifend ist und keine Grenzen kennt. Ihr Patenkind konnte bei ihr zu Hause das Klavier ausprobieren und die Gitarre. An einem Tag der offenen Tür in der Musikschule konnte er ganz verschiedene Instrumente ausprobieren – und blieb schliesslich an der Posaune hängen. « Ausgerechnet Posaune », sagt Johanna Angele lachend. « Da kann ich ihm überhaupt nicht helfen. Aber wir haben einen tollen Posaunenlehrer gefunden. Er hat wirklich Freude daran, und manchmal musizieren wir jetzt zusammen. » Johanna Angele sieht sich nicht als Unterhaltungsclown. Sie offeriert ihrem Patenkind nicht immer das, was es sofort will, sondern was es braucht. Das bedeutet manchmal auch, Kompromisse zu finden. « Ich stehe an seiner Seite, stehe für ihn und seine Wünsche ein, wo das nötig ist. Es ist schön zu sehen, wie er sich in gewissen Bereichen entwickelt hat. Wir haben es richtig gut zusammen », sagt sie und gerät fast ein wenig ins Schwärmen. Für sie sei er das ideale Patenkind. « Es ist lustig mit ihm und er ist dankbar dafür, dass ich Zeit mit ihm verbringe. Ich sehe es ihm an, wenn ich ihn abhole. Dann strahlt er richtig. »

Analyse zeigt grosse Zufriedenheit
Johanna Angeles Aussagen decken sich mit der Wirkungsanalyse von 2023, die Caritas durchgeführt hat. Die Analyse zeigt, dass sich 80 % der Eltern durch die Patenschaft entlastet fühlen, 92 % aller Beteiligten zufrieden sind mit den Patenschaften, 93 % der Kinder sich in ihrem Selbstvertrauen gestärkt fühlen und 97 % der Patinnen und Paten das Angebot « mit mir » als sinnvoll empfinden. Susanne Flury, die bei Caritas Thurgau für « mit mir » zuständig ist, erzählt, dass es dieses Angebot seit 20 Jahren gibt. Im Kanton gebe es zurzeit 17 Patenschaften. Im Moment würden Paten gesucht wie auch regionale Vermittlungspersonen, die Patenschaften betreuen. Zu Johanna Angele sagt sie : « Diese Paten­schaft ist für mich eine sehr gefreute Sache, weil ich den Eindruck habe, dass sich da zwei Menschen wirklich gut gefunden haben. »

Béatrice Eigenmann, forumKirche, 27.12.24

Johanna Angele
Quelle: Béatrice Eigenmann
Wird durch die Patenschaft gefordert, geniesst sie aber sehr : Johanna Angele.

 

 

Johanna Angeles Patenkind
Quelle: Johanna Angele
Dankbar für die Zeit mit seiner Patin : Johanna Angeles Patenkind

 

 

Johanna Angeles Patenkind
Quelle: Johanna Angele
Johanna Angeles Patenkind ist immer für einen Spass zu haben.

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