Einschätzungen zur bevorstehenden Amazonas-Synode
Der Deutsche Pirmin Spiegel ist Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor und war früher als Priester in Brasilien tätig. Er hat an den Vorbereitungen zur Amazonas-Synode mitgewirkt. Im Interview äussert er sich zu den Schwerpunkten der Synode und zu seiner Sicht auf innerkirchliche Reformdebatten.
Was steht auf der Tagesordnung der Synode?Im Gebiet von Amazonien befindet sich der grösste Urwald mit den grössten Süsswasserreserven, dem grössten Artenvorkommen weltweit. Doch das Wirtschaftsmodell, das in Amazonien vorherrscht, bedeutet Zerstörung von Natur. Jedes Jahr werden Wälder von der dreifachen Grösse Luxemburgs abgeholzt. Wenn die «grüne Lunge der Erde» leidet, dann brauchen wir heilende Wege, um diese Lungenentzündung für die nachwachsenden Generationen und die bedrohten Völker heute anzugehen.
Papst Franziskus geht es aber sicher nicht nur um den Umweltschutz?Die Intention des Papstes ist, um der Menschen und der Natur willen neue Wege für die Kirche zu finden. Erstens gibt es die unvorstellbar grossen Entfernungen zwischen den Gemeinden. In einigen Gemeinden innerhalb des Amazonasbeckens wird nur selten Eucharistie gefeiert. Deshalb werden Zugänge zum Amt mit auf der Tagesordnung der Synode stehen. Zweitens geht es um die sogenannte Dekolonialisierung. Bisher wurden in der Regel europäische Ansätze auf die Gemeinden Lateinamerikas übertragen. Da fragt Papst Franziskus, wie eine Kirche mit einem «amazonischen Gesicht» aussehen kann.
Kardinal Gerhard Ludwig Müller, hält das Vorbereitungspapier für theologisch schwach. Kardinal Walter Brandmüller, sieht blinden Reformeifer am Werk. Was sagen Sie zu dieser Kritik?Es ist gut, dass die Kardinäle Brandmüller und Müller klar und deutlich zum Ausdruck bringen, was nicht wenige andere untereinander denken und sagen. Dies ermöglicht einen aufrichtigen Dialog und eine aufrichtige Debatte. Ja, die Synode über Amazonien, wie sie im Arbeitsdokument vorgestellt wird, stellt eine Veränderung gegenüber dem «Modell» einer Kirche dar, das den christlichen Glauben mit der westlichen Kultur identifiziert hat. Erstmals nach mehr als 50 Jahren ökumenischen Weges und interreligiösen Dialogs ist das Dokument, das die Synode vorbereitet, auf hohem Niveau im Dialog mit dem Wissen der ursprünglichen Völker Amazoniens erwachsen. Kirche also als Hörende, als Wertschätzende gegenüber Menschen anderer Kulturen.
Wann wäre aus Ihrer Sicht die Synode ein Erfolg?Sie wäre ein Erfolg für die Kirche, wenn neue Wege eingeschlagen werden, die den vielfältigen Herausforderungen sozialer und ökologischer Art, dem Glauben, dem Zusammenhalt der Völker, die heute am Amazonas leben, gerecht werden. Und wenn Christinnen und Christen ausserhalb von Lateinamerika von dem inspiriert werden, was «Kirche sein» am Amazonas bedeutet.
Sind auch Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft denkbar?Das jetzige Wirtschaftsmodell bräuchte mindestens zwei Erdplaneten. Auf der Amazonas-Synode wird es auch darum gehen, wie wir Modelle bestärken beziehungsweise anstossen können, die die planetarischen Grenzen respektieren, die die Lebensqualität respektieren und die Solidarität. Dazu liegt ja bereits einiges in Politik, in Wirtschaft und Landwirtschaft auf dem Tisch. Auf der Synode geht es darum, die Ämterfrage nicht abstrakt um irgendeiner Reform willen zu diskutieren, sondern um den heutigen Bedrohungen des Lebens von Menschen und Natur als Kirche besser begegnen zu können. Kirche ist in ihrer bisherigen Arbeitsweise weder organisatorisch noch theologisch ausreichend präsent.
Können Sie sich eine Wechselwirkung zwischen der Synode und dem, was in Europa diskutiert wird, vorstellen?Zunächst einmal ist wichtig, dass wir mit unseren Fragen in der europäischen Kirche nicht die Amazonas-Synode instrumentalisieren. Es wird in beiden Fällen auch um den Zugang zum Amt gehen – wobei die jeweilige Ausgangslage natürlich unterschiedlich ist. Im Konsultations- wie auch im Arbeitsdokument der Synode ist davon die Rede, kirchliche Ämter auch von den Erfordernissen der Situation Amazoniens her zu denken. Dabei wird übersetzt an Männer gedacht, die ein authentisches Glaubensleben führen und auf Vorschlag der Gemeinde für ihre Region geweiht werden. Und dann geht es um den Zugang von Frauen zu kirchlichen Ämtern. Wird es beispielsweise eine Weihe von Diakoninnen geben? Es ist an der Zeit, diese Herausforderungen ehrlich und transparent anzugehen.
Interview: Joachim Heinz, kna/Red. (20.8.19)
Pirmin Spiegel arbeitete von 1990 bis 2003 als Pfarrer und in der Ausbildung von Laienmissionaren im brasilianischen Bundesstaat Maranhão.
Bild: © KNA-Bild
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