Welche Bedeutung die Bibel den Nieren zuschreibt
In der Hebräischen Bibel, dem Alten Testament, gibt es kein Wort für das, was wir Gewissen nennen und was im Christentum eine wichtige Rolle spielt. Die Nieren stehen aber für etwas Ähnliches.
Bei dem, was wir mit «Gewissen» bezeichnen, spielen Emotionen, aber auch das Nachdenken, das sich «auf ein Wertesystem bezieht», eine wichtige Rolle. Das Gewissen wird «geschult», es gibt «Gewissensbildung». Das Gehirn spielt also dabei eine wichtige Rolle. Doch im Hebräischen gibt es kein Wort für «Gewissen». Es spielte offensichtlich damals keine bedeutende Rolle - ganz im Gegensatz zu heute!
In der Hebräischen Bibel ist das Herz das wichtigste Organ im Oberbauch. Es steht für Planen, Vernunft und Intellekt - alles, was wir dem Gehirn zuschreiben. In der Tora wird also mit dem Herzen gedacht. Die Nieren (kiljāh) kommen 31-mal und nur im Plural vor. Sie stehen für den unteren Bauchraum und damit auch für die Zeugungskraft. Der hebräische Begriff «Herz» kann zudem synonym zu «Nieren» verwendet werden.
Die ganze Person ist gemeint
Nieren stehen für die innersten Emotionen. Diese bestimmen unser Leben stärker als die Vernunft. «Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt», schrieb bereits der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal (1623−1662). Die Forschung weiss heute, dass kein Mensch rein rational handelt. Der Psychologe Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin sagt, dass Menschen meistens Entscheidungen treffen, «ohne Nutzen und Wahrscheinlichkeiten zu berechnen».
«Herz und Nieren» meint in der Tora darum den ganzen Menschen mit Verstand und Gefühl, seinen tiefsten Impulsen. Dieser Ausdruck hat es dank Martin Luthers Bibelübersetzung auch in die deutsche Alltagssprache geschafft. Heute «reagieren wir aus dem Bauch heraus» oder etwas «geht uns an die Nieren». Auch in der Hebräischen Bibel ist der Bauch ein Hinweis auf tiefe Gefühle und Emotionen. Einzelne Organe werden dabei in der Tora mit konkreten Gefühlen verbunden. Die Nieren werden etwa dreimal als Ort von Enttäuschungen und dem, was bitter macht, beschrieben. Die Nieren sind ja wichtig für die Entgiftung des Körpers, wie wir heute wissen. In Psalm 73,21 drückt der*die Betende die Suche nach Gott so aus: «Da es mir wehe tat im Herzen und mich stach in meine Nieren» (Lutherbibel). Nieren können aber auch der Ort der Freude oder des Zorns sein. Dann «beben» sie.
Der geprüfte Mensch
Darum werden die Nieren auch mit dem in Verbindung gesetzt, was wir Gewissen nennen und wofür es im biblischen Hebräisch kein eigenes Wort gibt. In Psalm 139,13 stehen die Nieren für den ganzen inneren Menschen. Sie sind gemeinsam mit dem Herzen prägend für die Persönlichkeit. Gott hat sie gebildet. Das «Gewissen» zeigt sich, wenn Gott den Menschen «auf Herz und Nieren» prüft. Dafür gibt es einige Stellen in den Psalmen: «Lass doch die Bosheit der Gottlosen ein Ende nehmen und stärke den Gerechten, denn du prüfst die Herzen und Nieren, du gerechter Gott!» (7,10). Hier ist die*der Betende vom eigenen guten Gewissen überzeugt. «Ich lobe den Herrn, der mir geraten hat; auch züchtigen mich meine Nieren des Nachts.» (16,6f). Hier würden wir sagen, der*die Betende habe ein schlechtes Gewissen. Oder Jeremia (20,12): «Und nun, Herr Zebaoth, der du die Gerechten prüfst, Nieren und Herz siehst». Diese göttliche Prüfung umfasst Taten, Motive, Gefühle. Sie wird auch einmal mit dem Läutern von Metall verglichen. Ziel ist es, näher zum Ewigen zu gelangen, zu Ihm/Ihr umzukehren. Gott kann zwar im Mund des Menschen sein, aber fern von seinen Nieren (Jer 12,2). Da stimmen dann die Worte und die innere Einstellung nicht überein. Fromme Reden reichen eben nicht.
Auf die Nieren achten
Menschen, die auf die Weisungen Gottes achten, achten auch auf die Signale der Nieren in der Nacht. Dies zeigt, dass das «Gewissen» nicht ein für alle Mal ausgebildet ist. Es ist ein lebenslanger Prozess des Lernens. Da tauchen immer wieder neue Themen auf: Eine Beziehung zerbricht, im Beruf geht es um ethische Fragen, die Kinder müssen gestärkt werden für eine Zukunft, die wir nicht ermessen können. Nachhaltigkeit stellt sich als neue Herausforderung im privaten wie öffentlichen Raum. Hier sind wir aufgefordert, auf die innere Stimme, die Nieren zu achten. Besonders in der Nacht, in der Stille.
Christiane Faschon, 02.03.2022
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