Theologe plädiert für eine bewegliche Kirche

«Dieselbe Kirche anders denken»: Unter diesem Titel referierte am 8. November Michael Seewald in der Zürcher Pfarrei Bruder Klaus. Der an der Universität Münster dozierende Dogmatiker und jüngste Professor im deutschen Sprachraum wurde vom Verein tagsatzung.ch eingeladen.

Auch wenn die (katholische) Kirche endlich reformiert wird, bleibt sie die gleiche. Und selbst Dogmen darf man verändern. Dies waren die Grundthesen des Referenten. Bei der Überlegung zur Veränderbarkeit dogmatischer Aussagen stützte der Referent sich auf Walter Kasper, der als Vorgänger von Kurt Koch Ökumene-«Minister» des Vatikans war.

«Verwesentlichung» statt Verlust

Kasper hält eine «Reduktion des Dogmatischen für möglich und notwendig. Sie führe zum Zentrum des christlichen Glaubens. Ein solcher Prozess sei kein Verlust und keine Verarmung, sondern eine «Verwesentlichung ». Wenn ein Dogma «hart, frostig, abstossend und rechthaberisch wirke», müsse es neu formuliert werden, damit die Kirche nicht Schaden leide. Die Folgerung: «Wo die Kirche sich ändern kann, wird sie stark.»

Michael Seewald konnte auch Benedikt XVI. anfügen mit seiner Formulierung vom «Bruch oder der Kontinuität» zwischen den früheren Aussagen des Lehramtes und dem Zweiten Vaticanum: «Die Kirche ist ein Subjekt, das mit der Zeit wächst und sich entwickelt, dabei aber immer sich selbst bleibt: das Volk Gottes auf dem Weg.»

«Dogmatisches Upgrade»

Zu Beginn seines brillanten Referates erinnerte Seewald daran, dass 1992 Papst Johannes Paul II. den Begriff «Dogma» neu definiert und seine möglichen Inhalte ausgeweitet hat. Seither können nicht nur «von Gott geoffenbarte Wahrheiten» dogmatisiert werden, sondern auch «Inhalte, die mit ihren Wahrheiten in einem notwendigen Zusammenhang stehen».

Dies ist keine abstrakte Spitzfindigkeit, sondern hat konkrete Konsequenzen. Seewald: «Das Lehramt kann plötzlich behaupten, dass etwas geoffenbart ist, von dem man gestern gesagt hat, es sei es nicht …» Der Referent nannte dies ein «dogmatisches Upgrade». Mit einer solchen Möglichkeit habe der konservative Papst aber ein Eigengoal geschossen. Denn wenn ein «Upgrade» denkbar sei, könne es auch ein «Downgrade» geben: die Erklärung, dass etwas, das als Dogma – als von Gott geoffenbart – angesehen wurde, es nun nicht mehr ist.

Die Kirchenleitung weigert sich

Auch in diesem Zusammenhang zitierte Michael Seewald Kardinal Walter Kasper: «Das Evangelium ist keine historische Grösse, sondern eine gegenwärtige Macht, die sich im Zeugnis der Kirche immer neu entfaltet.» Vor allem: Das Evangelium ist immer mehr als das Dogma – ein «Selbstüberschuss». Aus der Einsicht eines dynamischen Evangeliums leitete Kasper die vorhin erwähnte Möglichkeit zur dogmatischen «Reduktion» ab.

In der Diskussion mit den rund 50 Teilnehmenden der Veranstaltung betonte der Referent aufgrund des Gesagten, es sei «theologisch unglaublich mehr möglich als bereits gemacht wird». Doch die Kirchenleitung weigere sich, es zu tun.

Walter Ludin/Red. (19.11.19) 

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Prof. Michael Seewald wirbt dafür, dass die Kirche sich den
heutigen Herausforderungen stellt.

Bild: Walter Ludin

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