Der abgewählte Pfarrer stellte sich der Kirchgemeindeversammlung

Donnerstagabend in Tobel TG: 66 Menschen kommen zur Kirchgemeindeversammlung. Die Sitzung beginnt um 20 Uhr pünktlich mit dem Glockenschlag. Das spannendste Traktandum kommt um 20.39 Uhr: «Information zur Pfarrei Tobel nach der Abwahl von Pfarrer Leo Schenker.» Kirchgemeindepräsident Norbert Weber steht links im Raum, Pfarrer Leo Schenker sitzt rechts an einem Tisch.

Der Präsident ruft zu Sachlichkeit auf. Er informiert über das, was seit Wochen Gesprächsstoff in Tobel ist: die Abwahl des Pfarrers Leo Schenker. Laut der neuen Verfassung der Landeskirche Thurgau können Pfarrer oder Gemeindeleiterinnen und Gemeindeleiter auch abgewählt werden. Im Februar schrieben 76 Stimmberechtigte Leo Schenkers Namen auf den Wahlzettel, 108 legten einen leeren Zettel in die Urne. Weil leere Stimmen ebenfalls gezählt werden, hat Leo Schenker keine Mehrheit erhalten – und wurde somit abgewählt.

«Bitte bleiben Sie sachlich»
Kirchgemeindepräsident Norbert Weber sagt: «Es geht darum, einen demokratisch gefällten Entscheid der Stimmbürger umzusetzen.» Die Kirchgemeinde habe Leo Schenker den Arbeitsvertrag und den Mietvertrag inzwischen gekündigt. Mehrmals betont Norbert Weber: «Nicht wir haben den Pfarrer abgewählt, sondern die Stimmbürger.» Und: «Es ist klar, dass man es nicht allen Stimmbürgern recht machen kann.» Norbert Weber rechnet nicht damit, dass Tobel einen neuen Pfarrer bekommt. «Es wird Aushilfen geben. Das bedeutet Koordinationsaufwand. Darum planen wir, unser Sekretariat aufzustocken und eine zusätzliche Person anzustellen.»
Bevor es zur Diskussion kommt, sagt Norbert Weber: «An der Vergangenheit können wir nichts mehr ändern. Schauen wir nach vorne. Bitte bleiben Sie sachlich.» Es folgen wenige, dafür aber emotionale Wortmeldungen. Ein Stimmbürger möchte wissen, warum so viele leere Stimmzettel abgegeben wurden: «Da ist irgendetwas hinten rum gelaufen, dass man so abstimmt.» Ein anderer sagt: «Ich finde es nicht christlich, wenn jemandem mit 58 Jahren gekündigt wird.»
Ein älterer Herr kritisiert, eine Gruppe von Frauen hätte Stimmung gegen Pfarrer Leo Schenker gemacht. Dieser greift mehrmals in die Diskussion ein. Er beklagt, Kritik sei erst nach der Wahl geäussert worden. Der Kirchgemeindepräsident widerspricht und sagt, er und seine Vorgänger hätten sich «hundertfach» um Leo Schenker bemüht und Gespräche geführt – ohne Erfolg.

«Wir dürfen nicht alles öffentlich machen»
Leo Schenker findet die Abwahl «demokratisch, aber nicht christlich». Der Präsident kontert: «Es ist auch nicht christlich, dem Bischof nicht zu folgen.» Der Bischof von Basel, Felix Gmür, hat Leo Schenker zum Rücktritt aufgefordert – dem ist Leo Schenker bislang nicht nachgekommen. Leo Schenker beklagt, es werde nun «viel Schrott erzählt». Ein Stimmbürger beschimpft die Medien, diese wollten den Katholiken «eins reinwürgen».
Der Präsident sagt: «Wir dürfen nicht alles öffentlich machen, was in unserer Kommission abgegangen ist. Wir müssen ruhig sein, dürfen nichts sagen wegen des Persönlichkeitsschutzes.» Der Schlagabtausch wird hitzig. Nach gut zehn Minuten stellt ein Stimmbürger den Ordnungsantrag, die Diskussion zu beenden: «Sonst artet das weiter aus.» Um 20.54 Uhr steht fest: 37 der 66 Anwesenden wollen nicht weiter diskutieren, die Debatte ist beendet.
Pfarrer Leo Schenker findet das problematisch: «Wir sind hier nicht in Russland, wir sind nicht bei Putin, sondern in der Schweiz.» Er wolle konkrete Kritikpunkte hören. Später sagt der Kirchgemeindepräsident zu kath.ch, ihm wäre es lieber gewesen, die Diskussion wäre länger gegangen, um sich gut auszusprechen – aber die Anwesenden hätten sich für eine kürzere Diskussion entschieden.
Coronabedingt fällt der Apéro aus – doch die Diskussionen gehen vor der Tür weiter. Die Menschen stecken die Köpfe zusammen. Namentlich zitiert werden will niemand. Manche sind froh, dass es nun «ein Ende mit Schrecken» gibt. Andere kritisieren: «Jetzt haben wir keinen Pfarrer mehr.» Und: «In letzter Zeit ist es mit Leo Schenker doch besser geworden.»

Schenker akzeptiert Abwahl
Pfarrer Leo Schenker sagt zu kath.ch, er akzeptiere die Abwahl und führe nun Gespräche mit dem bischöflichen Ordinariat in Solothurn. Allerdings findet er es «bezeichnend, dass sich während der Versammlung niemand getraut hat, hinzustehen, Farbe zu bekennen und Kritik zu äussern». Fakt ist, dass die Tage des Pfarrers in Tobel gezählt sind. Wo er künftig tätig sein wird, stehe noch nicht fest, sagt Leo Schenker: «Diese Entscheidung muss man ja nicht überstürzen.»

Raphael Rauch, kath.ch/Red., 01.04.2022

 

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Quelle: zVg
Pfarrer Leo Schenker kam an die Kirchgemeindeversammlung in Tobel, um sich der Kritik an ihm zu stellen.

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