Religionsunterricht als Projekt im Wald
Die Sechstklässler*innen der Pfarrei St. Anna in Frauenfeld verbrachten zum Abschluss ihrer Primarschulzeit einen Tag im Wald. Sie erarbeiteten sich dort eine wichtige Teilkompetenz des Lehrplans.
Am Samstag, 18. Mai, und am Samstag, 11. Juni, wurden je 50 Sechstklässler*innen im Rüegerholzwald zu Superheld*innen ausgebildet. Der Projekttag der Pfarrei St. Anna in Frauenfeld dauerte von 8 bis 17.30 Uhr und war als Abschluss der Primarschulzeit gedacht. «Um ein*e Superheld*in sein zu können, gilt es erst, Kräfte zu entwickeln und zu erkennen, was man selbst bewirken kann», erklärte Denise Möller, Bereichsleiterin Religionsunterricht. Deshalb erfolgte die Ausbildung an drei Stationen. An der ersten nahm sich der kantonale Revierförster Mathias Rickenbacher während zweier Stunden der Kinder an. Er lehrte sie, was Neophyten sind, wie man diese gebietsfremden Pflanzen entfernt und weshalb. Und so hackten die Kinder, mit gelben Westen und Handschuhen ausgerüstet und mit Zeckenspray eingesprüht, fleissig Neophyten aus. Und gaben den einheimischen Pflanzen und Bäumen wieder Raum.
Gemeinsam ans Ziel
Eine Station weiter stellte Erlebnispädagoge Immanuel Knaus den in Gruppen aufgeteilten Held*innen in Ausbildung knifflige Aufgaben. Diese dienten dazu, den Gemeinschaftssinn zu fördern, das eigene Rollenverständnis innerhalb des Teams zu reflektieren und die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen. Beispielsweise musste das ganze Team durch ein Spinnennetz hindurchklettern. Das Netz war aus Seilen gebildet und an zwei Baumstämmen aufgehängt. Die Kinder liessen sich einiges einfallen, um mit vereinten Kräften ein Gruppenmitglied nach dem anderen auf die andere Seite zu bringen. Über Mittag sorgte die Pfadi dafür, dass die Kinder ihren Hunger mit Verpflegung vom Grill stillen konnten.
Achtsamkeit
An der letzten Station leitete Denise Möller die Kinder an, den Wald mit unterschiedlichen Sinnen zu erfassen. So lauschten alle in den Wald hinein mit einer Augenbinde, um sich besser auf die Geräusche konzentrieren zu können. Zu Beginn hatten einige Mühe mit den Insekten, die um sie herum krabbelten, aber bald lagen viele gar auf dem Waldboden, um intensiver hören zu können. Sie staunten darüber, wie viele Geräusche sie wahrnehmen konnten. Mit der Zeit wurde ihnen bewusst, dass der Wald ein Ruhepol ist – das Gegenteil des hektischen Alltags. Denise Möller leitete die Sechstklässler*innen danach an, Beziehungen zu pflegen durch Fragen wie: Wo stehe ich? Was brauche ich im Leben? Kann ich mit jemandem reden, wenn ich mich überfordert fühle durch die immer grösseren Anforderungen, die an mich gestellt werden? Der erlebnisreiche Tag endete mit einem Geschenk: Jedes Kind erhielt eine kleine Tanne zum Setzen und Pflegen.
«Local Heroes» im Lehrplan
Die beiden Projekttage hätten im Katecht*innen-Team viel Energie freigesetzt, sagt Denise Möller noch immer begeistert. Das Thema «Local Heroes» entspricht der Teilkompetenz «aktuelle Local Heroes nennen, ihre Wirkungsgebiete darstellen und ihre Relevanz für das eigene Engagement beurteilen». Diese steht unter der Kompetenz A im
neuen ökumenischen Lehrplan der Landeskirchen Thurgau und der römisch-katholischen Landeskirche Schaffhausen. Die sieben Kompetenzen werden dem jeweiligen Alter angepasst und lauten: Identität entwickeln (A), Ausdrucksfähigkeit erwerben (B), Werte vertreten (C), Gemeinschaft aufbauen (D), Glauben feiern (E), Spiritualität leben (F) und Bibelverständnis erarbeiten (G). Kompetenz A für die 6. Klasse lautet entsprechend: «sich an Vorbildern des Lebens und des Glaubens orientieren und diese für sich förderlich wirken lassen». Das Team um Möller ist im Kanton Thurgau federführend im Umsetzen des neuen Lehrplans. Von Anfang an war klar, dass man für eine Teilkompetenz ein Projekt statt Unterricht machen möchte. Dieses soll am Ende des Schuljahres stattfinden, weil die Schüler*innen dann
oftmals schulmüde sind. Ein Hinweis führte zur Idee, in den Wald zu gehen. Hinzu komme, dass viele Respekt oder gar ein wenig Angst hätten vor dem Übertritt in die Sekundarstufe, so Möller. «Die Jugend kann und weiss aber sehr viel. Deshalb ging es auch darum, das Bewusstsein dafür zu stärken und die Sechstklässler*innen darin zu unterstützen, ihre eigene Haltung zu vertreten.» So entstand die Idee, sich nicht nur an Vorbildern zu orientieren, sondern selbst Held*innen für die Schöpfung zu werden. Das Tännchen hilft den Kindern, sich an ihre heldenhaften Fähigkeiten zu erinnern.
Béatrice Eigenmann, forumKirche, 06.07.2022
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