Hintergründe zur wachsenden Not in der Corona-Krise

In welchem Zusammenhang steht die steigende Zahl von Hilfsbedürftigen zu den Massnahmen in der Corona-Krise? Was bedeutet dies für das Schweizer Sozialsystem? Benjamin Diggelmann, Mitarbeiter von Caritas Schweiz, versucht die Entwicklungen der letzten Wochen in sozialpolitischer Hinsicht einzuordnen. 

Der Bund hat versucht, die Folgen der Corona-Krise durch finanzielle Hilfen abzumildern. Doch diese Hilfen haben nicht alle erreicht… 

Es stimmt, dass die Hilfen, die der Bundesrat, die Kantone und Gemeinden bereitgestellt haben, nicht alle erreicht haben. Der Bundesrat hat in mehreren Schritten immer wieder nachgebessert, für immer andere Gruppen Hilfen neu eingeführt bzw. aufgestockt. Die Caritas begrüsst dies. Doch die Armutsbetroffenen wurden vom Bundesrat bis heute zu wenig bedacht. Es zeigen sich Lücken im Sozialstaat, die es vorher schon gegeben hat und die es weiterhin geben wird. Die Corona-Krise hat diese Schwachstellen nur noch deutlicher gemacht. Es geht um Menschen, die auch vor der Krise nur knapp über dem Existenzminimum gelebt haben. Durch Kurzarbeit oder Wegfall eines von mehreren Jobs reicht ihnen das Geld nicht mehr für ihren Lebensunterhalt. Sans-Papiers, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, kommen jetzt durch das Wegfallen ihrer Jobs in eine extrem prekäre Situation. 

Was macht es so schwer, Reserven auf - zubauen und damit einer solchen Krise vorzubeugen? 

Auf der Ausgabenseite sind es beispielsweise die hohen Krankenkassenprämien. Sie sind ein Grund dafür, dass das Einkommen in manchen Haushalten nur knapp oder gar nicht mehr reicht. Ein weiterer Faktor sind niedrige Löhne. Fast die Hälfte der Menschen, die zurzeit in Kurzarbeit sind, arbeiten in Branchen mit den tiefsten Löhnen. Genau in diesen Branchen führt Kurzarbeit zu grossen Problemen. 

Wie kann man dieser sozialen Schieflage entgegenwirken? 

Man muss die strukturellen Ursachen von Armut angehen. Ziel muss sein, dass die Existenz aller gesichert ist. Dabei sind verschiedene Aspekte zu beachten. Ein wichtiger Schritt ist, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessert wird, vor allem für Familien mit kleinem Einkommen. Krippenplätze sollten für diese gratis zur Verfügung stehen. Dies würde diesen Familien ermöglichen, ein höheres Einkommen zu erwirtschaften. Gleichzeitig müssten die Krankenkassenprämien vor allem für niedrige Einkommen gesenkt werden, was den finanziellen Spielraum erweitern würde. Schliesslich sollten alle die gleichen Bildungschancen haben. Auch Menschen ohne eine gute Grundbildung müssen kontinuierlich Weiterbildung in Anspruch nehmen können. Die Arbeitgeber stehen in der Pflicht, dies ihren Mitarbeitenden zu ermöglichen. 

Was kann die Politik dazu beitragen? 

Bund und Kantone müssten diese Massnahmen umsetzen, sie sind zu einem grossen Teil dafür verantwortlich. Caritas fordert deshalb eine verbindliche gesamtschweizerische Strategie zur Armutsbekämpfung, die von Bund, Kantonen, Gemeinden, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam getragen wird, so dass finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um diese Massnahmen finanzieren zu können. 

Welchen Part kann die Wirtschaft übernehmen? 

Sie kann vor allem die Weiterbildung der Beschäftigten ermöglichen. Sie könnte sich auch an der Finanzierung für ausreichend Krippenplätze beteiligen. Die Romandie ist da ein Vorbild. Dort werden in verschiedenen Kantonen Krippenplätze von Unternehmen mitfinanziert. 

Interview: Detlef Kissner (26.05.20)
 

Benjamin Diggelmann
Benjamin Diggelmann, Caritas Schweiz

Bild: zVg

 

Kommentare

+

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.