Grosse Auszeichnung für drei Theolog*innen
Freiheit in der Kirche fördern – das ist das Anliegen des Herbert-Haag-Preises, der jedes Frühjahr in Luzern vergeben wird. Heuer ging der Preis an den Kirchenrechtler Norbert Lüdecke sowie an die feministischen Theologinnen Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet.
Als Zeichen des Dankes für ein lebenslanges Engagement im Dienste an der Aufklärung über Macht und Herrschaft wertete Odilo Noti als Präsident des Stiftungsrates die Preisverleihung. Der emeritierte Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke hatte zuletzt mit seinem Buch «Die Täuschung» von sich reden gemacht und war prompt auf der Bestsellerliste des Magazins «Spiegel» gelandet. In seinem Buch stellte Lüdecke die kirchenamtlichen Gesprächsangebote wie den Synodalen Weg als Hinhaltetaktik und Ablenkungsmanöver dar. Das Kirchenrecht sei mit unserem demokratischen Rechtsverständnis nicht zu vereinbaren, als absolutistische Rechtsetzung kenne es keine individuellen Grundrechte und diene letztlich nur der kirchlichen Hierarchie, meint Norbert Lüdecke, der als Kirchenrechtler immer wieder bedrängten Theolog*innen mit seinem Fachwissen auch ganz praktisch mit Rat und Tat zur Seite gestanden ist.
Mit den Augen der anderen sehen
«Die beiden Schwestern Doris und Silvia Strahm haben die Schweiz zu einem Hotspot feministischer Theologie gemacht», meinte Ute Leimgruber in ihrer Laudatio auf das Lebenswerk der beiden Schweizer Theologinnen. Ausgehend von der Befreiungsbewegung der 1970er-Jahre habe die feministische Theologie nicht nur neue Blickweisen, sondern auch neue Ausdrucksformen im Gebet und eine neue, geschlechtergerechte Sprache entwickelt. Als programmatisch erwies sich im Nachhinein der Titel der Dissertation von Doris Strahm: «Vom Rand in die Mitte», in der die Autorin Frauen aus dem Süden und ihrer Sicht der Dinge eine Stimme lieh. «Was heisst es, mit den Augen der anderen sehen zu lernen, ohne diese zu vereinnahmen?», fragt sich die Preisträgerin. Ihre Schwester Silvia Strahm Bernet versteht feministische Theologie als eine kritische Wissenschaft, die die Verdrängung von Frauen in der Geschichte aufdeckt und die Mechanismen der Frauenfeindlichkeit benennt. Im Sinne des feministischen Slogans «Sisterhood is powerful» haben sich die Schwestern bei ihrer Suche nach einer lebensfreundlichen Theologie gegenseitig unterstützt und inspiriert. 2022 konnten die beiden Schweizer Theologinnen ein grosses Buchprojekt gemeinsam fertigstellen. In ihrem Sammelband «Mächtig stolz» geben sie einen Überblick über verschiedenste Projekte und Initiativen anlässlich des Jubliäums «40 Jahre feministische Theologie in der Schweiz».
Ein Sahnehäubchen
«Der Preis ist sozusagen das Sahnehäubchen auf einem an sich schon wunderbaren Buchprojekt», meint Silvia Strahm Bernet. «Das Buch hat die gemeinsamen Fäden der Anfänge wieder aufgenommen und rundet für mich unsere langen, unterschiedlich angegangenen Denk- und Umsetzungswege aufs Schönste ab. Dass wir nun auch diesen Preis gemeinsam erhalten, passt in diese spezielle feministisch-theologische Schwesterngeschichte.» Und mit Blick auf die Zukunft meint Silvia Strahm Bernet: «Ich hoffe, dass diese Welt, die sich vor unseren Augen so rasant verändert, die Menschen nicht so sehr verändert, dass sie sich aus den Augen verlieren und aufhören, Sorge dafür zu tragen, was sich in unserer Gesellschaft als Solidarität, Gemeinsinn, Menschenrechte, Gleichstellung einschrieb. Eine menschenfreundliche Kirche, feministische oder befreiungstheologische Blickwinkel können das Einstehen und Umsetzen dieser Werte motivieren und unterstützen. Wenn es grundlegende Fragen waren, mit denen wir uns beschäftigten, dann werden sie nicht einfach verschwinden, sondern sich immer wieder neu stellen.»
Eva Meienberg/Klaus Gasperi, 27.03.2024
Der vollständige Text als Interview findet sich in «Horizonte», dem Pfarrblatt des Kantons Aargau, Ausgabe 11/12
Ein Fenster geöffnet
An diesem Tag habe ich mein schönstes «Sunntigs-Gwand» angezogen, um meine Freude und Wertschätzung gegenüber den Preisträgerinnen Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet zum Ausdruck zu bringen. Sie und ihre Gefährtinnen haben mir mit ihrem Denken, Schreiben und Wirken vor rund dreissig Jahren das Fenster zur feministischen Theologie, zu neuen, erweiterten, geerdeten und befreienden Gottesbildern geöffnet. Bei Bildern und Sprache sind wir aber nach wie vor oft «mittelalterlich» unterwegs. Ich bin immer wieder irritiert und auch mal wütend, wie wenig die Erkenntnisse aus der Forschung und den Schriften der feministischen Theologinnen sich heute in der pastoralen und liturgischen Praxis zeigen.
Simone Curau-Aepli, Präsidentin des Katholischen Frauenbundes
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