Zur Reaktion der katholischen Kirche auf die Abstimmung
Das Schweizer Stimmvolk hat sich Ende September grossmehrheitlich für die «Ehe für alle» ausgesprochen. Die Vorlage wurde in allen katholisch geprägten Kantonen angenommen. Die Frage bleibt, wie sich die katholische Kirche künftig zu Segnungen oder gar kirchlichen Trauungen für homosexuelle Paare stellt. Der Theologe Bruno Fluder, Mediensprecher von Adamim (Verein Schwule Seelsorger Schweiz), nimmt dazu Stellung.
Welche Konsequenzen hat die Annahme der Vorlage für die katholische Kirche?Rechtlich gesehen keine, denn es wurde über ein staatliches Gesetz und kein kirchliches abgestimmt. Doch gegenüber einer Gesellschaft, die sich so deutlich für eine Gleichbehandlung ausgesprochen hat, wird sich eine Verweigerungshaltung nicht mehr länger verteidigen lassen. Deshalb muss sich die katholische Kirche überlegen, ob sie Segensfeiern in Zukunft systematisch ermöglichen oder sogar die kirchliche Trauung für gleichgeschlechtliche Paare öffnen will.
Inwiefern ist das Ehesakrament wirklich gefährdet?Für mich ist nicht nachvollziehbar, was am Ehesakrament gefährdet sein soll, wenn gleichgeschlechtliche Paare daran teilhaben könnten. Ich weiss nicht, was heterosexuellen Paaren dadurch gestohlen wird. Die theologische Grundfrage dahinter ist, was für eine Sexuallehre die katholische Kirche weiter vertreten will.
Wie ist die Forderung liberaler Katholik*innen nach einem kirchlichen Segen für alle oder gar einer sakramentalen Ehe für alle einzuschätzen?Das sollte mittelfristig ganz klar das Ziel sein. Ansonsten setzt sich die katholische Kirche nur noch mehr von der Gesellschaft ab. Vielfach wird die Angst bekundet, dass dies zu einer Kirchenspaltung führen kann. Doch eine radikal sichtbare Spaltung zwischen Obrigkeit und Basis gibt es schon lange. Ein «Ehe für alle»-Keil zwischen konservativen und progressiven Katholik*innen würde da auch nicht mehr Schaden anrichten.
Warum hält die katholische Kirche denn so stark an ihrem Ehesakrament fest? Wovor hat sie am meisten Angst?Dahinter stecken viele Thesen. Eine davon ist sicher der starke Zusammenhang mit der Zölibatsideologie. Die wichtigsten Funktionsträger in der katholischen Kirche sind Männer und zwar zölibatäre Männer, die nicht wollen, dass eine Sexualität oder auch Ehe in einer liberaleren Form gelebt werden könnte. Das würde ihre Sexualmoral infrage stellen.
Inwieweit wird die Debatte in den laufenden synodalen Prozess miteinfliessen?Im synodalen Prozess kann dieses Thema nicht ausgeklammert werden. Seit den 60er- und 70er-Jahren sind es immer dieselben fünf alten Themen, die in der katholischen Kirche zu Streitigkeiten und ideologischen Auseinandersetzungen führen. Darunter der Pflichtzölibat, das Priesteramt für Frauen ober eben der Umgang mit Homosexualität. Zwar scheint der synodale Prozess sehr stark auch hierarchisch gestaltet zu werden, denn die Obrigkeiten geben vor, was das Volk diskutieren darf und was nicht. Aber wenn diese zentralen Streitthemen ganz ausgeschlossen werden, ist der Prozess als solcher nicht ernst zu nehmen.
Es könnte auch sein, dass wieder nur viel geredet, doch nur wenig wirklich auf den Weg gebracht wird. Ist der synodale Weg am Ende nur eine Hinhaltetaktik?Das wird sich zeigen. Ich glaube nicht mehr, dass die katholische Kirche sich auf einen grossen Reformprozess einlassen wird, sondern das alles nur noch ein letztes Aufbäumen vor dem grossen Untergang ist. Für mich ist offensichtlich, dass sich seit Beginn der ganzen Pädophilie-Skandale vor ungefähr zehn Jahren das Image der katholischen Kirche in Mitteleuropa im senkrechten Fall befindet. Es steht der Kirche frei, diesen Weg so weiterzugehen oder aber eine 180 Grad-Drehung zu machen.
Wie lange kann es sich die Kirche überhaupt noch erlauben, sich gegen eine Veränderung zu sträuben? Die neuesten Meldungen aus Frankreich zeigen: Das Eis wird immer dünner…Nicht mehr lange. Ich zitiere gerne Hans Küng, der 2009 in einem Interview mit Le Monde gesagt hat, die Kirche drohe zu einer Sekte zu werden. Im 21. Jahrhundert scheint die katholische Kirche, zumindest in Mitteleuropa, zu einer kleinen, randständigen, gesellschaftlich unbedeutenden, christlichen Sekte zu verkommen. So wie sie sich momentan präsentiert, ist der Wille sich fundamental zu ändern, gar nicht da. Es gibt keine Anzeichen für einen ernsthaften Versuch. Auf der anderen Seite schwinden die Möglichkeiten, die gesellschaftliche Relevanz der Kirche wieder aufzubauen.
Was wünschen Sie sich von den Bischöfen?Ich wünsche mir, dass die Botschaft «Wir sind ganz Ohr», die nun als Plakat überall hängt, ernst gemeint ist. Dass die Bischöfe wirklich hören wollen, was die Gesellschaft heute benötigt, nämlich Unterstützung in der Sinnfindung, in den ganz grossen ökologischen und gesundheitlichen Krisen. Wenn die Bischöfe bereit sind, sich wirklich darauf einzulassen, könnte es der Kirche vielleicht doch noch ein bisschen besser ergehen.
Es gibt jetzt schon vereinzelt katholische Gemeinden, die schwule und lesbische Paare segnen und sich damit auch der Weisung aus Rom widersetzen. Wie wird sich das entwickeln?Ich glaube nicht, dass es hier eine grosse Bewegung gibt, solange die Bischöfe in der Schweiz nicht offiziell dazu stehen. Ich war anfänglich selbst Mitglied des Arbeitskreises Regenbogenpastoral des Bistums Basel. Wir haben versucht, kleine Schritte in Richtung Standardisierung von Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare zu unternehmen. Ein Entgegenkommen wurde aber von bischöflicher Seite völlig verweigert. Deshalb denke ich nicht, dass viele Pfarreien Widerstand leisten, sondern eher, dass mehr Pfarreimitarbeiter*innen der Kirche den Rücken kehren werden und sich das Personalproblem dadurch nur noch vergrössert. Von meinen früheren Berufskolleg*innen bekunden ganz wenige öffentlich, dass sie einen anderen Weg wählen wollen als es die Bistumsleitung von ihnen verlangt. Stattdessen werden viele auf eine sehr unterschwellige, aber effektive Weise vergrault.
Sind also solche internen Arbeitsgruppen letztendlich nur Schein nach aussen, aber ohne Wirkungsfunktion, da sie früher oder später an ihre eigenen Grenzen stossen?Ja. Ich bin seit zwei Jahren nicht mehr im AK Regenbogenpastoral tätig und komme aus der Distanz heraus zu keinem anderen Schluss. Die Gruppe selber schätze ich sehr. Die Menschen, die in der Regenbogenpastoral des Bistum Basels tätig sind, setzen sich sehr redlich für ihre Anliegen ein. Doch im Grunde ist das Ganze eine Alibiübung der Bistumsleitung.
Wird das Thema innerkirchlich vermehrt zu Spannungen führen, gar mehr Kirchenaustritte generieren?Es werden sich noch weniger Menschen für das interessieren, was die Kirche tut und macht. Der Prozess der Kirchenaustritte wird somit weitergehen, weil es die Kirche definitiv nicht schafft, sich glaubwürdiger zu präsentieren.
Was empfinden Sie aus Ihrer persönlichen Erfahrung jetzt für zwingend notwendig?Dass die katholische Kirche ihre Not wendet und nicht an einer althergebrachten Dogmatik festhält. Die zweite Wende, die ich als sehr hilfreich erachte, ist, die Evangelien wieder aus der jesuanischen Perspektive zu sehen. Und die Erkenntnisse dann für die heutige Zeit zu übersetzen. In den alten Evangeliums-Erzählungen ist nach wie vor noch sehr viel Lebensnahes, Sinnstiftendes und Hoffnungsspendendes enthalten. Davon sollte man sich nicht abwenden – doch die katholische Kirche müsste sich diesen wieder neu zuwenden.
Interview: Sarah Stutte, forumKirche, 23.10.21
Überlegungen zur Regenbogenpastoral im Bistum Basel
Im Bistum Basel begrüssen wir es, dass der Staat die Verbindlichkeit von Beziehungen fördert und deren rechtliche Absicherung stärkt. Eine staatliche Abstimmung hat jedoch nicht unmittelbar Auswirkungen auf das Sakramentenverständnis, auch nicht auf die konkrete Praxis. Allerdings stärkt die Annahme der Vorlage die Regenbogenpastoral in unserem Bistum. Seit der Arbeitskreis Regenbogenpastoral vor einigen Jahren gegründet wurde, sind die Anliegen homosexueller und queerer Menschen stärker in das Blickfeld der Pastoral gerückt. Ein Hauptanliegen ist die Sensibilisierung innerhalb der Kirche. Dass alle dazugehören, die zur Kirche gehören wollen und die getauft sind, ist ja meist schnell gesagt und wird gern beteuert. Menschen fühlen sich aber erst dann wirklich dazugehörend, wenn sie sich in ihrem Menschsein, in all ihren Lebensäusserungen respektiert wissen.
Eine Frage, die uns im Zusammenhang mit der Abstimmung vermehrt gestellt wurde, ist jene nach der Segnung homosexueller Paare. In den letzten Jahren ist in das theologische und pastorale Nachdenken darüber sehr viel Bewegung geraten. Entwicklungsmöglichkeiten zeichnen sich ab, die mich hoffnungsvoll stimmen. Noch sind wir innerkirchlich auf dem Weg zu einer offiziellen Anerkennung spezifischer Segensformen für homosexuelle Paare. Mir ist dabei sehr bewusst, dass dieser Weg nicht zu lange oder zu langsam verlaufen darf. Denn schon jetzt verlieren wir Menschen auf diesem Weg, die schon zu lange darauf warten, dass sich etwas verändert.
Die Vorlage unter dem Titel «Ehe für alle» hat eine klare und deutliche Zustimmung von 64,1Prozent erhalten. Das heisst aber auch, dass nicht einfach alle Stimmenden zugestimmt haben. Genauso sind auch die Kirchenmitglieder, die Getauften nicht einfach alle einer Meinung. Anders als bei staatlichen Abstimmungen entscheidet in der Kirche nicht eine Mehrheit. Deshalb ist es für kirchliches Leben zentral, dass sich möglichst alle in das Gespräch über wichtige Lebens- und Glaubensfragen einbringen.
Barbara Kückelmann, Pastoralverantwortliche Bistum Basel
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