Vier Thesen für die Zukunft der Kirche
Die erste ökumenische Debatte im Rahmen von «1524 Stürmische Zeiten» stand am 27. Mai unter dem Motto: Aufbrechen statt abbrechen – auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Kirche.
«Ich sage nie das, was die Leute erwarten.» Mit diesem Einstieg hatte der frühere Abt von Einsiedeln und heutige Propst der Benediktinerpropstei St. Gerold in Vorarlberg (A), Martin Werlen, die Aufmerksamkeit der rund 50 Gäste auf seiner Seite. Für sein Referat hatte Werlen bewusst die Kartause Ittingen gewählt, jenen Schauplatz, wo vor 500 Jahren der Ittinger Sturm wütete. «Manchmal muss man etwas abbrechen, damit etwas aufbrechen kann», sagte Werlen und stellte zum Motto vier Thesen auf. «Abbrechen der Vorurteile, Aufbrechen, was verhärtet ist» lautete die erste. «Vorurteile engen den Horizont ein», erklärte Werlen und bezog dies auch auf die Jahrhunderte prägenden konfessionellen Vorurteile, die heute noch spürbar sind. Durch Austausch, Kennenlernen und gemeinsame Erfahrungen werden Vorurteile aufgebrochen. Als positives Beispiel nannte er die Kartause Ittingen, einen Ort der Begegnung, der lebenswichtig für die Kirche und die Gesellschaft sei.
Im Glauben sein
«Abbrechen der Gleichgültigkeit, Aufbrechen zum Abenteuer» führte er als nächste These aus. Die Gleichgültigkeit spiegelte sich an diesem Abend wider. Martin Werlen sagte: «Zwei Generationen fehlen an diesem Anlass: Jugendliche und junge Menschen.» Was ebenso fehlt, ist die Kreativität, die die Kirche auszeichnen sollte. Viele verlassen die Kirche, weil sie nicht lebt – nicht aus mangelndem Glauben. Denn der Glaube ist ein Abenteuer, das es immer wieder neu zu entdecken gilt. Zur dritten These «Abbrechen des Gewohnten, Aufbrechen zum Glauben» sagte Werlen, dass das Verständnis von Glauben ganz unterschiedlich sei. Glauben zu haben, sei nicht dasselbe, wie im Glauben zu sein. Die grösste Herausforderung sei es, sich nicht an den Glauben zu gewöhnen, sondern als Suchender im Glauben unterwegs zu sein. Als letzte These nannte er «Abbrechen des Gegeneinander und Nebeneinander, Aufbrechen des Miteinander». Ihn stören die abgrenzenden Begriffe wie katholisch oder evangelisch. «Wir gehören zu der einen Kirche», lautet seine Devise. Sein Schlussbild war jenes der Kirche als Baustelle, an der alle synodal mitarbeiten können.
Kirchenräume kreativ nutzen
Baustelle war auch das Stichwort für Cyrill Bischof, Präsident des Kirchenrats der katholischen Landeskirche im Thurgau. Als Architekt liebe er Baustellen, solche gebe es aber auch in der Kirche. In Martin Werlens neuem Buch «Baustellen der Hoffnung» seien diese positiv besetzt, sagte Bischof. Was aber, wenn die Baustelle niemanden mehr interessiere? Flavia Hüberli, Sozialdiakonin und Leiterin der Fachstelle Start-up Kirche der evangelischen Landeskirche Thurgau, berichtete unter anderem über neue Nutzungsmöglichkeiten der Kirche Kurzrickenbach in Kreuzlingen mit dem Begegnungsprojekt «Open Place». Eine multifunktionale Kirche ist ganz im Sinn von Martin Werlen, der provokativ sagte: «Weg mit den Kirchengebäuden. Wir gehen nicht in die Kirche, wir sind Kirche!»
Claudia Koch, 11.6.24
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