Wie Menschen heute die Kirche wahrnehmen
Am 17. Oktober startete Papst Franziskus den Synodalen Prozess. Bis Ende November können sich auf der ganzen Welt Katholik*innen und Interessierte in kleinen Gruppen zu vorgegebenen Fragen austauschen und die Ergebnisse über die jeweiligen Bistümer in die 2023 stattfindende Bischofssynode einfliessen lassen (vgl. Kasten). forumKirche hörte in zwei ganz unterschiedliche Gesprächsgruppen hinein, um wahrzunehmen, welche Stimmung an der Basis herrscht und wo aus deren Sicht der Schuh drückt.
Während einzelne Gruppen der Pfarrei Arbon interne Gesprächskreise organisierten, lud der Pfarreirat ganz offen Interessierte zum abendlichen Austausch ein. Der Einladung folgen zehn Frauen und zwei Männer im Alter von etwa 40 bis 80 Jahren. Nach einer kurzen Einführung von Gemeindeleiterin Simone Zierof und einem gemeinsamen Gebet beginnen die Gespräche in zwei Gruppen.
In der einen Gruppe steigt man mit der Frage ein, wo man sich in der Kirche gehört fühlt. Man ist sich einig, dass Frauen mit ihren Anliegen beim Papst und den Kardinälen kaum Gehör fänden. Eine Frau, die mit 3'000 Mitstreiter*innen im Rahmen des Projekts «Für eine Kirche mit* den Frauen» nach Rom gepilgert war, bestätigt desillusioniert diesen Eindruck: «Der Papst hatte keine Zeit für uns.»
Anders verhält es sich im Blick auf die Schweizer Bischöfe. Diese werden von den Teilnehmenden mehrheitlich als «Team von jüngeren und älteren Priestern» wahrgenommen, «volksnah» und «progressiv» sowie «offen für Begegnungen». Auch beim Seelsorgeteam und den Gruppierungen der Pfarrei fühlen sich die Anwesenden gut aufgehoben.
Funkstille unter GläubigenUnd wie sieht es im Blick auf die Glaubensschwestern und –brüder aus? Wird man von ihnen gehört? Zu diesem Aspekt gibt es in der Runde ganz unterschiedliche Erfahrungen. Eine Frau beklagt die Starrheit mancher Gläubigen in Bezug auf neue Formen im Gottesdienst. Andere Teilnehmende halten dem entgegen, dass man ja aus einer Vielfalt von Gottesdiensten auswählen könne. Eine andere Frau erzählt, wie ihr der klare Ablauf von Gottesdiensten bei einem Auslandsaufenthalt Heimat vermittelt hätte. Eine weitere Teilnehmerin stellt bedauernd fest, dass es auch in ihrer Pfarrei Gruppen unterschiedlicher Ausrichtung gebe, die nicht miteinander reden würden.
Dass man sich gehört fühle, wenn Verantwortliche vor Ort Dinge grosszügiger handhaben, als es offizielle Regelungen vorsehen, kann die Runde zustimmen. Als Beispiel wird die Kommunionspende an wiederverheiratete Geschiedene oder reformierte Christen angeführt.
Offen für MinderheitenDie Frage, ob wir als Kirche die Stimme von Minderheiten bzw. Randgruppen hören, verlangt im Gesprächskreis zunächst nach Klärung: Wer ist damit gemeint? Und was bedeutet je nachdem «hören»? Die Gruppe ist sich mehrheitlich einig, dass Gottesdienste, Wallfahrten und Feste grundsätzlich offen seien für alle Menschen und dass es in der Pfarrei genügend Angebote zur seelsorgerlichen und sozialen Unterstützung gebe. Die Seelsorgerin schildert hingegen andere Erfahrungen und gibt zu bedenken, dass die Pfarrgemeinden weit weg von den Randgruppen seien: «Wir hören sie nicht.»
Und was behindert das Zuhören in der Kirche? Die Anwesenden machen unter anderem enttäuschende Erfahrungen, unumstössliche Wahrheiten und fehlende Kompromissbereitschaft als Gründe aus. Auch die einheitliche Organisation als Weltkirche mache es schwer, einander zu verstehen. Die kirchliche Hierarchie wird hingegen nicht als grosses Hindernis angesehen. «Sie ist nötig, es sollten nur auch Frauen Zugang dazu finden», so ein Teilnehmer.
Die Bedeutung von GottesdienstenAls Letztes wendet sich die Gruppe dem Themenfeld «Feiern» zu. Die meisten finden, dass Gebet und Gottesdienst Lebensfreude wecke, verschiedene Menschen zusammenbringe und verbinde, dass dies aber kein Automatismus sei. An dieser Stelle entwickelt sich eine lebendige Diskussion über die Lieder im Gottesdienst. Man solle mehr moderne Lieder singen, die auch Jüngere ansprechen, finden viele. «Die Lieder aus dem Rise up sind auch nicht mehr modern», gibt die Seelsorgerin zu bedenken. In den Weggottesdiensten würde man hingegen neue Lieder singen. Die Frage, ob man in der Pfarrei nach dem Gottesdienst noch zusammenstehe oder nicht, wird unterschiedlich beantwortet. Manche deuten das geringe Interesse an einem Austausch als kulturelle Eigenart.
Einstieg mit Spaghetti-PlauschSzenenwechsel. Es ist Montagabend, Mädchen und Jungen im Alter von 16 bis 17 Jahren betreten das Pfarreizentrum der katholischen Gemeinde von Aadorf. Es sind Jugendliche, die sich firmen lassen möchten. Der Gesprächsabend zum Synodalen Prozess ist für sie ein Baustein in der Vorbereitung, für die Cornel Stadler, Katechet in den Pfarreien Aadorf und Tänikon, und Pfarrer Daniel Bachmann verantwortlich sind. Teller, Besteck und dampfende Töpfe laden zu einem Spaghetti-Plausch ein, den der Pfarrer zubereitet hat. Auf den Tischen liegen Tischsets, bedruckt mit verschiedenen Fragen zum Synodalen Prozess, die zu einem ersten Austausch anregen. Nach dem Essen machen sich die Jugendlichen in drei Sechsergruppen bereitwillig ans Werk. Es wird lebhaft diskutiert, die Ergebnisse gibt jeweils ein Mitglied der Gruppe gleich auf der dafür vorgesehenen Webseite ein.
Homosexuelle werden ausgeschlossenIn Gruppe 3 wendet man sich gleich dem ersten Themenfeld zu: Wer gehört zu «unserer Kirche»? «Getaufte - das hört sich gut an», sagt einer. Nur an Gott glauben, ist den meisten zu wenig. «Sind Reformierte eigentlich auch getauft?», fragt ein Mädchen. Schliesslich einigt man sich auf die beiden Antworten «jeder getaufte Mensch» und «jeder, der an Jesus Christus glaubt». Und wer findet schwer Zugang zur kirchlichen Gemeinschaft? Jugendliche, Geschiedene, Frauen, Ausländer*innen? Eigentlich wird in der Kirche niemand ausgeschlossen, ist der Tenor in der Gruppe. Nur bei der Gruppe der Homosexuellen ist man sich unsicher: Dürfen diese in der katholischen Kirche heiraten? Nachdem geklärt ist, dass dies nicht der Fall ist, finden die Jugendlichen, dass man Homosexuelle damit ausschliesst.
Bei der Frage nach den religiösen Gruppen, die das Gemeindeleben prägen, gerät die Runde ins Straucheln: Was ist ein Pastoralraum, ein Bistum, eine Frauengemeinschaft, eine Migrationsgemeinde? Das sind zu viele unbekannte Begriffe. Als das Beispiel der albanischen Mission in Sirnach genannt wird, taut einer, der sich bisher zurückgehalten hat, auf: «Da geht meine Familie immer hin.» Die Gruppe ist sich einig, dass auf jeden Fall Kinder und Jugendliche ein wichtiger Faktor in der Pfarrei sind. Schliesslich gibt es ja ein Pfarreilager oder die Firmvorbereitung.
Randgruppen werden gehörtMit dem Themenfeld «Zuhören» tun sich die Jugendlichen schwer, weil sie nach eigener Einschätzung in viele Bereiche keinen Einblick haben. Ihnen ist klar, dass man zum Papst oder Bistum kaum Kontakt haben kann. «Du gehst ja auch nicht zum Bundesrat wegen deines Gärtchens», so ein Teilnehmer. In der Pfarrei fühlen sie sich auf jeden Fall gehört. Manche sind zuversichtlich, dass ihre Anliegen auch «nach oben» weitergegeben werden. Andere äussern sich da eher skeptisch.
Und finden Minderheiten in der Kirche Gehör? Nach einer kontroversen Diskussion und als geklärt ist, dass jede*r «einfach zum Pfarrer gehen kann», verständigt sich die Runde darauf, dass auch gesellschaftliche Aussenseiter in der Kirche gehört werden, wenn diese es wollen, und dass sie von der Mehrheit der Gläubigen auch akzeptiert werden.
Die kirchliche Hierarchie und Strukturen stellen nach Ansicht der Jugendlichen kaum ein Hindernis für das Aufeinanderhören dar. Persönliche Verletzungen, unterschiedliche Wertvorstellungen und unumstössliche Wahrheiten – hier wird an den Fall Galileo Galilei gedacht! - würden den Dialog unter Gläubigen hingegen eher einschränken. In der kirchlichen Sondersprache erkennen sie kein grundlegendes Problem, denn «mit uns redet der Pfarrer ja anders».
Musik muss mitreissenOhne Ermüdungserscheinungen wendet sich die Gruppe danach dem Themenfeld «Feiern» zu. Die Aussage, dass Gottesdienste bei den Mitfeiernden Lebensfreude weckt und deren Gemeinschaftsgefühl stärkt, können alle bejahen. Ebenso können sich einige vorstellen, dass die gemeinsame Vorbereitung eines Gottesdienstes – z. B. für die Firmung – Kreativität weckt. Die Frage, ob das Hören auf das Wort Gottes eigene Entscheidungen prägt, ruft bei den Teilnehmenden eher Stirnrunzeln hervor. Bei Entscheidungen spielt für die meisten die Familie eine tragende Rolle.
Lebendig wird es schliesslich bei der Überlegung, was getan werden müsste um Gottesdienste attraktiver zu gestalten. Gebete wie das Vaterunser liessen sich kaum verändern, sie gehörten zur Tradition der Kirche, ist sich die Gruppe einig. Die Musik ist für die Jugendliche hingegen das Entscheidende. Sie muss mitreissen, wenn ein Gottesdienst gelingen soll.
Auch beim Thema Soziale Medien wird es laut. «Es wäre cool, wenn alle, die dazu gehören, auf Snapchat wären», so ein Teilnehmer. «Super wäre auch, einmal pro Woche einen Gottesdienst mit Jugendlichen zu gestalten, in den Stories aus den Sozialen Medien einfliessen», lautet ein weiterer Vorschlag. Inzwischen wollen einige mit ihren Handys herausbekommen, ob es wirklich stimmt, dass ihre Pfarrei in den Social Media nicht präsent ist. Erstaunt stellen sie fest, dass St. Alexander auf Facebook zu finden ist und der Pfarrer einen Instagram-Account hat. Und das ist nicht die letzte Überraschung an diesem Abend.
Detlef Kissner, forumKirche, 20.11.21
Fragen und Rückmeldung
Auf der Grundlage einer Vorlage des Vatikans haben die Bistümer Basel, Chur und St. Gallen einen Fragenkatalog mit zehn Themenfeldern entworfen. Dazu zählen unter anderem die Themen Zuhören, Feiern, Mitverantwortung an der Sendung bzw. Unterscheiden und Entscheiden. Zu jedem dieser Themen werden zwei bis vier Fragen gestellt, was insgesamt 27 Fragen ergibt. Die gfs.bern nimmt im Auftrag der drei Bistümer die Rückmeldungen der verschiedenen Gesprächsgruppen entgegen und wertet sie aus. Auf der Webseite des Instituts werden den Teilnehmenden etwa sechs bis zehn standardisierte Antwortmöglichkeiten pro Frage angeboten.
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