Zum Abschied des Gefängnisseelsorgers in Frauenfeld
Zwölf Jahre lang bis Ende Juli war Gerd Zimmermann Seelsorger im Kantonalgefängnis in Frauenfeld. Obwohl diese Aufgabe eine Herausforderung war, schaut er mit Dankbarkeit auf diese Zeit zurück.
Gerd Zimmermann kann sich noch gut an seinen ersten Einsatztag im Frauenfelder Gefängnis erinnern. «Ich hatte ein mulmiges Gefühl, besonders als die vier Panzertüren hinter mir zufielen», sagt er. Er habe damals jedoch bewusst eine Herausforderung gesucht. Zimmermann war Gemeindeleiter in Rickenbach bei Wil, die Kinder in Ausbildung und seine Frau beruflich ebenfalls aktiv. Als er erfuhr, dass es im Gefängnis bei der katholischen Seelsorge eine Veränderung gab, kontaktierte er das Personalamt. Er absolvierte ein Nachdiplomstudium für Gefängnisseelsorge und besuchte einige Module dafür in Bern. So trat er vor zwölf Jahren seine 10-Prozent-Stelle als Gefängnisseelsorger an, jeweils am Montagnachmittag. Ein reformierter Kollege ist zu demselben Pensum am Freitagnachmittag dort.
Emotionale Zuwendung10 Prozent scheint für die 60 Plätze, die das Gefängnis für Frauen und Männer bietet, eine knappe Betreuungszeit zu sein. Zimmermann bestätigt: «Ich hatte pro Person jeweils eine halbe Stunde Zeit, so konnte ich mit fünf bis sechs Personen reden.» Damit keine wertvolle Zeit verloren ging, erhielt er vom Gefängnispersonal eine Liste mit jenen Personen, bei denen ihrer Meinung nach ein Gespräch nötig war. Es sei zwar hart und schwierig, den richtigen Zeitpunkt für die Beendigung eines Gesprächs zu erwischen, aber dies gehöre dazu. Da viele Insassen einen Migrationshintergrund haben, gestaltete sich die Verständigung oft schwierig. «Manchmal ging es mit Englisch oder Französisch», so Zimmermann. Doch weniger die Worte, sondern die emotionale Zuwendung sei am wichtigsten. Denn die Seelsorger sind die einzigen Personen, mit denen die Insassen während der Untersuchungshaft Kontakt haben dürfen. Entsprechend steht Zimmermann unter Schweigepflicht. Drei Monate dauert im Normalfall eine Untersuchungshaft, ohne Kontakt zu anderen, 23 von 24 Stunden isoliert. Mit Abstand die schwierigste Zeit.
Taube als Symbol göttlicher ZuwendungZimmermann sieht in den Inhaftierten Menschen wie du und ich. Menschen, die eine Biographie mit oft vielen schlechten Erfahrungen haben. Jede Insassin und jeder Insasse habe eine eigene Geschichte, wie er selber auch und beide seien Gott ebenbildlich erschaffen, so Zimmermann. Wenn ein Gesicht nach einem Gespräch offener und leichter wirkte, dann wusste er, dass er einen wichtigen Dienst geleistet hatte. «Sie geben auch mir viel mit», sagt Zimmermann. Und wenn er das Gefängnis verliess, sagte er zum Himmel blickend: Vier Stunden lang war ich verantwortlich, jetzt kannst du wieder schauen. Bevor er die inhaftierte Person verliess, schenkte er ihr einen Anhänger mit einer emaillierten blauen Taube. «Ich legte ihnen diesen in die Hand und viele sahen darin ein Symbol der Freiheit.» Zimmermann ergänzte dann, dass der Anhänger auch ein Zeichen für die göttliche Zuwendung ist. «Ich merke, wie die Taube Kraft verleiht und als Symbol für Grösseres steht, das immer da ist.» Somit könne er eine wichtige Glaubensbotschaft hinterlassen.
Offenes Ohr auch für PersonalGerd Zimmermann war aber nicht nur für die Insassen da, sondern auch für das Personal. Früher hatte er einen Zellenschlüssel, mit dem er sich im Gefängnistrakt bewegen konnte. Später wurde er vom Aufseher den ganzen Nachmittag begleitet. Dadurch entstand zum Personal eine Beziehung und er unterstützte dieses bei Problemen unterschiedlichster Art. Zu den Inhaftierten, die nach der Untersuchungshaft in den Vollzug kommen, hatte er meist nur einen lockeren Kontakt. Mit aus dem Gefängnis Entlassenen nur ganz selten. «Diese Leute wollen neu beginnen und nicht mehr an diese meist belastende Zeit erinnert werden», so Zimmermann. Dass er Ende Juni aufhört, hat weniger mit der Arbeit, sondern mit dem Arbeitsweg zu tun. Seit fünf Jahren ist Zimmermann Leiter des Pfarreisozialdienstes in Cham-Hünenberg. Dass er trotzdem die 65 Kilometer pro Weg auf sich nahm, zeigt auf, wie viel ihm an dieser Seelsorge liegt. Deshalb kann er sich gut vorstellen, auch an seinem jetzigen Wirkungsort bei Bedarf eine Stelle als Gefängnisseelsorger anzunehmen. Zimmermann sagt dazu: «Es ist eine sinnvolle und erfüllende Arbeit. Ich kann Mut machen, um durchzuhalten.»
Claudia Koch (16.07.19)
Gerd Zimmermann (2. v. r.), Leiter des Pfarreisozialdienstes in Cham-Hünenberg, beendet Ende Juli seine Tätigkeit als Gefängnisseelsorger in Frauenfeld.
Bild: zVg/Robert Habijan
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