Anpassung an kompetenzorientiertes Unterrichten
Eine interreligiös zusammengesetzte Fachgruppe erarbeitet auf das kommende Schuljahr einen neuen, kompetenzorientierten Lehrplan für den Religionsunterricht muslimischer Kinder im Thurgau.
Mittlerweile hat der Lehrplan 21 Einzug gehalten in den Schulen der ganzen Schweiz. Ging es früher um Lerninhalte, stehen heute Kompetenzen im Vordergrund. Die Verantwortlichen für den islamischen Religionsunterricht (IRU) im Thurgau wollen dieser Entwicklung Rechnung tragen. Deshalb erarbeitet eine Fachgruppe seit Mai 2023 Leitlinien für den Lehrplan des IRU.
Deutscher Lehrplan als Vorlage
Grundlage dafür bildet der kompetenzorientierte Lehrplan sunnitischer Prägung von Baden-Württemberg. Dieser entspricht dem konfessionellen Profil des IRU sowie des christlichen Religionsunterrichts im Thurgau. «Er gibt uns gute Bezugspunkte, sodass wir ihn auf unsere Verhältnisse übertragen konnten», erzählt Daniel Ritter, Leiter der Fachgruppe. Als Leiter der Fachstelle Religionspädagogik bei der katholischen Landeskirche Thurgau ist er für die Aufgabe qualifiziert, leistet diese aber ausserhalb seiner Anstellung. Die Fachgruppe besteht aus fünf Personen. Neben Daniel Ritter sind dies: Nadire Mustafi, Lehrbeauftragte der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, Imam Rehan Neziri, Mark Keller, emeritierter Professor der Pädagogischen Hochschule Thurgau, sowie Matthias Loretan, Präsident des Interreligiösen Arbeitskreises im Kanton Thurgau. Die Gruppe trifft sich regelmässig. Zuerst wurden Grundstrukturen erarbeitet, danach Kompetenzen zugeordnet. Es war ein ständiges Ausarbeiten, Diskutieren und Umarbeiten. Denn der deutsche Lehrplan umfasst die Klassen eins bis zehn, im Thurgau konzentriert sich der IRU bisher auf vier Klassen. «Auch wenn wir den Lehrplan für weniger Klassen konzipiert haben – für die dritte bis sechste Klasse –, ist er nun so ausgestaltet, dass wir ihn jederzeit ergänzen können: einerseits für die erste und zweite Klasse, aber auch für die drei Jahrgänge an der Sekundarstufe», erläutert Daniel Ritter.
Eigene Position wird geschärft
Seine Motivation, sich in der Freizeit für dieses Projekt einzusetzen, begründet Daniel Ritter folgendermassen: «Das Projekt reizt mich, weil ich einerseits über einen interreligiösen Hintergrund und andererseits über Erfahrung in der Lehrplangestaltung verfüge. Den Austausch mit den islamischen Kolleg*innen erlebe ich als sehr bereichernd. Er fördert das eigene Denken und Arbeiten. Durch andere Denkweisen schärfe ich mein eigenes Profil – auch hinsichtlich meines Glaubens. In der Reflexion erkenne ich, wo ich meine Schwerpunkte und Bedürfnisse setze.» Der Lehrplan ist praktisch fertig. Er wird von einer Grafikerin gestaltet und steht ab Juni Interessierten als PDF zur Verfügung. Die Lehrpersonen werden in Weiterbildungen auf das kompetenzorientierte Unterrichten vorbereitet. Ihr Unterricht wird begleitet durch eine Religionspädagogin. Parallel dazu evaluiert die Fachgruppe Lehrmittel, welche die Lehrpersonen bei der Umsetzung des Lehrplans unterstützen sollen.
Von Landeskirchen und fedpol unterstützt
Die Leute, die sich am interreligiösen Dialog im Thurgau beteiligen, arbeiten als Freiwillige unentgeltlich. Einzig für das umfassende Projekt des IRU-Lehrplans und dessen Umsetzung suchten die Verantwortlichen nach einer finanziellen Unterstützung. Die beiden Landeskirchen des Kantons Thurgau steuern je 4'000 Franken bei. Von katholischer Seite wird die Unterstützung unter anderem damit begründet, dass das Projekt Transparenz aufzeigt in Bezug darauf, was gelehrt werden soll, aber auch mit der Verfassung der katholischen Landeskirche. In § 16 Ziff. 9 steht dort Folgendes: «Sie fördert gemeinsam mit den kirchlichen Organen die Ökumene und den interreligiösen Dialog; sie setzt sich ein für den Austausch mit unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen und für die Präsenz der Kirche in der Öffentlichkeit.» Das Bundesamt für Polizei (fedpol) unterstützt das Projekt mit gut 20'000 Franken. Dies im Rahmen des «Nationalen Aktionsplans zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus» (NAP). Der islamische Religionsunterricht stellt aus der Perspektive des NAP eine vertrauensbildende Massnahme dar und kann der Prävention gegen Extremismus dienen. Aus der Sicht der Fachgruppe leistet er einen wichtigen Beitrag zur Integration, stärkt die Schüler*innen in ihrer Identitätsbildung und ergänzt den Lehrplan der Volksschule in Bezug auf ethische und religiöse Kompetenzen.
Béatrice Eigenmann, forumKirche, 10.04.2024
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