Ein Interview mit einer alleinerziehenden Mutter
Einelternfamilien haben viele Probleme. Sie bleiben aber oft unsichtbar mit ihren Belastungen. Eine alleinerziehende Mutter schildert im Interview, was sie bewegt und was sie sich wünscht.
Katharina T., Sie sind alleinerziehende Mutter im Thurgau. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Ich lebe allein mit meinen beiden kleinen Kindern in einem Mehrfamilienhaus. Wir sind gerne draussen in der Natur. Der Tag wird von den Kindern bestimmt. Er beginnt um 6 Uhr und endet um ca. 22 Uhr. Wenn die Kinder nachts nicht schlafen, habe ich «Eltern-Nachtschicht». Allerdings bin ich immer «dran». Auch wenn ich selbst krank bin.
Sie hatten kürzlich einen Unfall. Was bedeutete dies für Sie und Ihre Kinder?
Das war eine schlimme Krise. Es ging mir körperlich und seelisch sehr schlecht. Es löste bei uns allen grosse Ängste aus, denn es war spürbar, wie allein wir sind. Ich konnte nicht einkaufen gehen, nicht kochen, brauchte anfangs selbst Hilfe beim Duschen. Und ich konnte den Kindern nicht mehr «Fels in der Brandung» sein. Ich wusste nicht, ob und wie wir das schaffen werden. Im Spital wurde mir geraten, die Kinder in einem Heim zu platzieren. Doch sie waren noch nie von mir getrennt. Das hätte sie traumatisiert! Schonen konnte ich mich dann natürlich nicht, denn die Kinder mussten versorgt werden.
Wie erhielten Sie Hilfe?
Ich habe alles abtelefoniert, was es an offiziellen Hilfen gibt. Doch ich wurde von einer Stelle zur nächsten geschickt. Dazu war Ferienzeit, das Hilfsangebot war ausgedünnt.
Man verwies mich an meine Familie. Wir haben aber keine Familie. Dazu war mein Freundeskreis schon vor dem Unfall dezimiert. Ich kann ohne Kinder nicht aus dem Haus. Meine kinderlosen Freunde zeigen wenig Lust auf Treffen mit mir und den kleinen Kindern. Ruhige Gespräche sind ja nicht möglich. Freunde mit kleinen Kindern haben wenig freie Kapazitäten. Das habe ich in den letzten Jahren schmerzlich erfahren. Ich habe dafür Verständnis, doch es schmerzt, so im Stich gelassen zu werden.
Es gab Gott sei Dank ein paar Menschen, die mir geholfen haben. Manchmal ging jemand mit den Kindern an die frische Luft. Einige Frauen, die ich nicht kannte, hörten von meiner Not und brachten ab und zu ein gekochtes Mittagessen vorbei. Manche gingen für uns einkaufen.
Was hätten Sie gebraucht?
Wir hätten in der ersten Zeit eine Art «Ersatzmutter» gebraucht, die das macht, was ich sonst mache. Und auch die Gewissheit, dass es einen Menschen gibt, den ich in der Not anrufen könnte. Das wäre sehr tröstlich gewesen. Es gibt Menschen, die ich für einen Einkauf anfragen kann. Aber das Gefühl, dass es egal zu sein scheint, ob wir diese Krise überstehen, war und ist schlimm.
Haben Sie finanzielle Probleme wie viele Einelternfamilien?
Ja, davon bin ich auch betroffen. Ich habe für das Alter etwas sparen können, bevor ich erkrankte und berentet wurde. Um weitere finanzielle Hilfen zu erhalten, müsste ich meine Dritte Säule zuerst verbrauchen. Ich habe Angst vor Altersarmut. Darum schränke ich mich lieber ein.
Was wünschen Sie sich besonders?
Bezugspersonen für die Kinder. Daran mangelt es ihnen. Menschen, die sie gernhaben und die sich für sie interessieren, die Anteil nehmen an ihrem Leben, ihrer Entwicklung. Wir sind viel allein, gehören nirgends dazu. Feiertage, Weihnachten und Ferienzeiten sind für uns einsame Zeiten. Ich möchte meinen Kindern auch ein gutes Leben mit Highlights bieten.
Was sind Ihre grössten Sorgen?
Dass ich irgendwann nicht mehr kann und zusammenbreche, meine Kinder im Stich lassen muss. Dass mir etwas Schlimmes passiert und die Kinder ins Heim kommen. Und dass meine Kinder jetzt in der Kindheit einen Mangel erleiden, der ihnen auch später zu schaffen machen wird. Ich fände es schön, mehr Gemeinschaft zu haben. Menschen zu treffen, denen es vielleicht ähnlich geht. Man könnte sich das Leben erleichtern, wenn nicht jede*r sein eigenes Süppchen kochen würde - im wahrsten Sinne des Wortes.
Danke für Ihre Offenheit.
Interview: Christiane Faschon, 28.12.2021
■ Hilfsangebote unter www.svamv.ch
Hintergrundinformationen
• In der Schweiz gibt es 200'000 Einelternfamilien. Seit 1970 hat sich deren Zahl verdoppelt. 86 % der Kinder leben bei der Mutter.
• Jede*r vierte Alleinerziehende ist in der Schweiz von Armut betroffen. Das ist doppelt so häufig wie der Durchschnitt. Sie machen 20 % der Sozialhilfe-Fälle aus (Kinder!).
• 12,7 % aller erwerbstätigen Alleinerziehenden gelten als arm - vier Mal mehr als der Durchschnitt.
• Mit Kindern unter sechs Jahren leisten Alleinerziehende im Durchschnitt 17 Wochenstunden Erwerbsarbeit und 54 Stunden Haus- und Familienarbeit.
Quelle: Caritas Schweiz
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