Kinder lernen Gartenarbeit
Durch das Bildungsprogramm «GemüseAckerdemie» des Vereins Acker Schweiz wird Schulkindern der Gemüseanbau nähergebracht. forumKirche hat die Primarschule Bottighofen besucht. Diese beteiligt sich am Programm.
An diesem kühlen Freitagmorgen Mitte April liegt etwas Nebel über dem Thurgau. Die Luft ist gesättigt vom Regen der vergangenen Tage. Aline Schneider, Regionalkoordinatorin Ostschweiz des Vereins Acker Schweiz, schaut sich die umgegrabenen Beete im Schulgarten der Primarschule Bottighofen an. Allmählich gesellen sich die fünf Erwachsenen dazu, die ihr an diesem Morgen helfen, mit einer ersten und zweiten Klasse einen Grossteil der Beete zu bepflanzen. Dank eines Pflanzplans, den alle erhalten haben, folgen sie den Anweisungen von Aline Schneider.
Aus einer Kartoffel werden 30
Bald darauf stossen die 19 Kinder mit ihrer Lehrerin dazu. Sie tragen Gummistiefel oder andere Schuhe, die für den Garten geeignet sind. Zuerst setzen sie sich auf die grossen Steinquader, die im Halbkreis hinter dem Schulhaus angelegt sind. Aline Schneider begrüsst alle und erklärt kurz, welche Pflanzen an diesem Morgen gesetzt werden: Frühlingszwiebeln, Gemüsezwiebeln, Fenchel, Mangold, Kohlrabi, rote Kartoffeln und Salat. Die Kinder dürfen sich die Setzlinge ansehen. «Wisst ihr, wie viele Kartoffeln man von einer Saatkartoffel ernten kann?», fragt Schneider. Ein Kind schlägt 100 vor, ein anderes sagt 6. «Bis zu 30 Kartoffeln», erklärt Schneider. Danach geht es auf die Wiese neben den Beeten. Es folgt eine Aufwärmübung. Die Kinder werden in drei Gruppen aufgeteilt, indem sie der Reihe nach Salat, Gurke oder Tomate sagen. Auch wenn diese Zutaten nicht ganz stimmen für ein Ratatouille, heisst das Spiel, das folgt, so: Ein Kind ruft eines der Gemüse auf, dann müssen alle, die zu jener Gruppe gehören, den Platz wechseln. Ruft ein Kind Ratatouille, müssen alle den Platz wechseln.
Handschuhe gegen Kälte
Nach der Aufwärmrunde geht es ans Pflanzen. Die Kinder sind intensiv dabei – allerdings sammeln ein paar Mädchen lieber Regenwürmer, statt mühsam einen kleinen Graben auszuheben fürs Setzen der Saatkartoffeln. Die Stimmung ist gut, man merkt, dass es den Kindern Spass macht, draussen zu sein. Die Schule ist bestens ausgerüstet, sie stellt den Kindern neben Werkzeug auch Gartenhandschuhe in verschiedenen Grössen zur Verfügung.
Seit letztem Jahr bepflanzt die Primarschule Bottighofen einen Schulgarten. Bernadette Oertle, die an diesem Morgen die Klasse betreut, erzählt: «Wir nehmen uns jedes Schuljahr ein Thema vor. Letztes Jahr lautete dieses <Lagerfeuer>, dieses Jahr ist es <Bonjour Natur>. Da lässt sich der Schulacker wunderbar einbauen. Auch die Schulbehörde und die Schulleitung stehen voll hinter dem Projekt. Die digitale Plattform, die uns zur Verfügung gestellt wird durch die <GemüseAckerdemie>, ist sehr hilfreich. Neben Informationen finden sich ganze Lektionen und stufengerechte Videos.» Letztes Jahr habe es an einem Freitagabend Ende September ein Erntedankfest gegeben, zu dem die Eltern eingeladen worden seien. «Die Kinder haben tagsüber Gemüse- und Kürbissuppe gekocht und Apfelringli getrocknet. Dazu wurden Schlangenbrot, Popcorn und Engelsmocken über dem Feuer hergestellt – in Anlehnung ans Thema <Lagerfeuer>. Der Andrang war so riesig, dass die Suppen innert kürzester Zeit weg waren.»
Engagement benötigt
Initiantin der «GemüseAckerdemie» in Bottighofen ist Luzia Helfenberger. Sie wurde durch die Schule Kreuzlingen auf das Programm aufmerksam. Sie hat sogar an der Bäuerinnenschule auf dem Arenenberg den Kurs «Gartenbau» absolviert. «Ich habe das Programm meinen Kolleginnen und Kollegen vorgestellt. Alle waren dafür. So starteten wir im Oktober 2021 nach einem Workshop mit dem Umgraben des Rasens. Wir sind noch am Ausprobieren. Es ist ein Prozess, der nicht geradlinig verläuft. Aber das gehört dazu. Die Eltern sind sehr interessiert. Und unser Hauswartteam ist wirklich super! Es drückt die Augen zu, wenn das Schulhaus voller Dreck ist. Es hilft und denkt mit. Dieses Jahr hat es mit einer Maschine den Garten umgegraben.»
Auch Bernadette Oertle betont das Engagement: «Es braucht eine persönliche Motivation. Man muss bereit sein, nach dem Unterricht noch einmal in den Garten zu gehen und nach dem Rechten zu schauen. Oder übers Wochenende oder in den Ferien zu giessen.»
Gemüseschwemme
Gerade die Sommerferien sind eine intensive Zeit, weil dann sehr viel Gemüse reif ist und der Acker gepflegt werden muss. Luzia Helfenberger sagt dazu: «Die Lehrpersonen haben sich in eine Liste eingetragen. Wir sind so viele, dass es jede Lehrkraft während etwa drei Tagen trifft.» Helfenberger erzählt, der Gemüseschwemme im Sommer sei man begegnet, indem die Lehrerschaft das Gemüse zum Mitnehmen hingelegt hätte. Das habe grossen Anklang gefunden in der Bevölkerung. Die Zeit auf dem Schulacker lasse sich auch bestens in den Lehrplan einbauen - in den unteren Klassen im Bereich Natur, Mensch, Gesellschaft, auf der Mittelstufe auch für Mathematik. Ihr Fazit: «Für die Kinder ist die <GemüseAckerdemie> sehr bereichernd. Sie sind neugierig, nehmen einen Regenwurm auch mal in die Hand. Zudem können draussen andere Kinder ihre Stärken zeigen als drinnen im Klassenzimmer. Am Erntedankfest waren es die Kinder, die ihren Eltern den Gemüseanbau erläutert haben. Erstaunt hat mich auch die Aktion im Winter: Wir haben Schwarzwurzeln geerntet. Die Kinder haben das Graben nach den Wurzeln wie eine Schatzsuche betrieben. Am Ende haben wir das Gemüse im Schulzimmer mithilfe der Unterrichtsassistenz gerüstet, gekocht und gegessen.»
Gut betreut
«Die Kinder erleben mit allen Sinnen, wie Lebensmittel angebaut werden», erklärt Aline Schneider das Bildungsprogramm «GemüseAckerdemie». «Acker Schweiz unterstützt die Schulen während sechs Jahren, in den ersten vier mit einem umfassenden Service. Wir Mitarbeitenden betreuen im ersten Jahr drei Pflanzungen vor Ort und versorgen die Schulklassen mit Unterrichtsmaterial, Saatgut sowie Setzlingen und stehen für telefonische Fragen bereit. Dieser Service nimmt in der Regel mit den Jahren ab. Aber das wird alles flexibel gehandhabt. Die Schulen können jederzeit ein- oder aussteigen.» Auf die Finanzierung angesprochen, sagt Aline Schneider: «Diese ist flexibel, je nach Budget der Schule. Es braucht allerdings eine finanzielle Eigenleistung, damit eine gewisse Verbindlichkeit für das Programm besteht.»
Schwangerer Regenwurm
Allmählich dringt die Sonne zu den Pflanzenden durch. Innerhalb einer guten Stunde sieht es nun ganz anders aus auf dem Schulacker: Überall schauen grüne Setzlinge hervor. Diese werden vor Schneckenfrass geschützt, indem ihnen Plastikbecher übergestülpt werden, die im Unterricht vorbereitet worden sind. Am Schluss werden die bunten Wimpel vom letzten Jahr über die Beete gespannt, um weitere Tiere vom Fressen abzuhalten. Ebenso werden die Beete mit Schildern beschriftet, damit ersichtlich ist, was in welchem Beet zu finden ist. Die Kinder dürfen in die grosse Pause gehen. Auch die Erwachsenen machen Pause. Bernadette Oertle offeriert verschiedene Brötli vom Beck.
Zum Abschluss treffen sich noch einmal alle bei den Steinen im Halbkreis. Aline Schneider lobt die Kinder für ihre Arbeit: «Ihr habt das toll gemacht. Dafür gibt es einen Applaus!» Danach zeigt sie einen grossen Regenwurm und weist auf den dunklen Bereich des Tierkörpers hin. «Hier drin befinden sich Eier. Aus diesen gibt es Babyregenwürmer.» Schneider fragt darauf, ob es den Kindern gefallen habe. Praktisch alle zeigen mit dem Daumen nach oben. Zum Schluss gehen alle noch einmal die bepflanzten Beete ab, sodass die einzelnen Gruppen die Gelegenheit erhalten, den anderen mitzuteilen, was genau sie gepflanzt haben. So erfahren alle, dass auch Kresse, Zuckererbsen, Radieschen sowie Rucola und Rüebli ausgesät worden sind. Und neben Zwiebeln auch Knoblauch gesteckt worden ist. «Ich danke euch ganz herzlich für eure Arbeit. Ihr habt das super gemacht. Ich hoffe, dass ihr ganz viel ernten könnt.» Mit diesen Worten verabschiedet Aline Schneider die Kinder. Und schon ziehen diese davon – bereits wieder in ihren Turnschuhen, bereit für den Unterricht.
Béatrice Eigenmann, forumKirche, 27.04.2023
Acker Schweiz
Der Verein Acker Schweiz wurde 2017 als Ableger des deutschen Vereins Acker e. V. gegründet. Acker e. V. geht zurück auf Christoph Schmitz, der auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Er studierte Agrar- und Wirtschaftswissenschaften und promovierte am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Während seiner Elternzeit 2012 schrieb er die Arbeit «Entfremdung der Gesellschaft von Nahrungsmitteln» und entwickelte die Idee, Gemüseanbau im Rahmen eines Bildungsprogramms an die Schulen zu bringen. Gemeinsam mit seiner Schwester und ihrer Schulklasse testete er sein Programm und begleitete es wissenschaftlich.
Acker Schweiz bietet die Bildungsprogramme «AckerRacker» (Kita und Kindergarten) und «GemüseAckerdemie» (1.–6. Primarschulklasse) an. Diese sind in den letzten Jahren vor allem in Deutschland, aber auch in der Schweiz mehrfach ausgezeichnet worden.
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