Sonderausstellung «Ich Tier Wir» im Museum zu Allerheiligen
In acht Modulen werden unterschiedliche Perspektiven der Mensch-Tier-Beziehung beleuchtet. Die Besucherinnen und Besucher werden herausgefordert, ihren individuellen Umgang mit Tieren zu reflektieren. Unsere Beziehung zum Haus-, Dienstleistungs-, Nahrungsmittel- und Wildtier variiert durch Forcieren, Ausblenden oder Entfremden. In der untypischen Ausstellung muss man eigene Antworten oder – empfehlenswert – im Dialog mit seiner Begleitung finden. Direkte und indirekte Impulse helfen dabei.
Der erste Eindruck der Präsentation irritiert durch das Kindliche und Farbenfrohe: Infotafeln als amorphe Formen oder als rosa Schweine, man ordnet Holztiere und -menschen Emotionen zu oder kommuniziert mit Tier- und Menschen-Sprache über eine Hörspielorgel. Auf den zweiten oder dritten Blick geht es unter die Haut. Am Eingang begrüsst eine Fotoserie mit Spareribs auf einem Grill. Rückblickend geht es weiter zur Schlachtung, dann zum idyllischen Landleben zweier Ziegen und «schliesst ab» mit ihrer Geburt – dieser Rückblick zeigt den Sinn ihres Daseins auf. Jetzt wird uns bewusst, woher das Grillierte kommt.
Dienstleistungstiere
Eine Medienstelle in Kinderhöhe mit dem harmlosen Namen «Goldstandard» zeigt Dienstleistungstiere. Ratten werden dressiert, um Sprengstoff aufzuspüren. Peng! Die Rennpferdezucht ist kein Ponyhof, sondern hier müssen Pferde schnell Leistung und vor allem viel Geld bringen. Falls ein hochsensibles Tier einen psychischen Knacks erleidet, hilft ein Pferdepsychiater. Für das Militär werden Hunde als Helfer und als Waffe ausgebildet. Schweine und Hühner im Massenstall enden später am Fleischhaken eines Fliessbandes. Therapietiere lassen sich von behinderten Kindern streicheln. Überraschend ist die grosse Empathie von Taubenzüchtern zu ihren besten Rennbrieftauben, die sie nicht für eine sechsstellige Summe verkaufen möchten.
Eine Frage der Haltung
Das Schweizer Tierschutzgesetz, das strengste in ganz Europa, regelt, wie viel Fläche Stalltieren zusteht. Ein 95 Kilo schweres Mastschwein hat einen Quadratmeter zur Verfügung, veranschaulicht durch ein beleuchtetes Viereck auf dem Boden der Ausstellung. Menschen in der Schweiz wohnen auf 40 m² Wohnfläche im Durchschnitt – Freigang nicht mitgerechnet. Dressierhalsbänder mit Spitzen für Hunde, ein Elektroschock oder ein Lasso wirken wie Folterwerkzeuge. Ein Gegensatz dazu ist die Einladung zu einem Kindertisch, wo eine offene Zoolandschaft mit Fluss, Pflanzen und verschiedenen Tierarten gestaltet werden kann. Besuchende können ihre aufgestauten Emotionen und Meinungen durch Post-its auf Pinnwänden zu den Fragen loswerden: «Welche Gefühle löst bei dir ein Zoobesuch aus?», «Welche Rechte sollen Tiere haben?» oder «Was unterscheidet dich vom Tier?»
Spiegel der Seele
Unsere Gefühle zu Tieren sind widersprüchlich. Sie spiegeln Wünsche, ein Statussymbol, vermenschlichte Partner, Kinderspielzeug oder modisches Accessoire wider. Ein Potpourri von Interviews mit Tierhaltenden und Tierfotos irritiert zunächst. «Bei den unterschiedlichen Beziehungen hört man die emotionale Bindung zwischen den Menschen und Tieren sehr stark», sagt Kurator Urs Weibel. «Es wird viel Freude und Leid geteilt.» An anderer Stelle ist eine berührende Filmsequenz einer 80-jährigen, blinden Elefantendame in Thailand zu sehen, die regelmässig Klaviermusik von ihrem Halter vorgespielt bekommt, hier ist es Debussys «Claire de Lune». «Tiere haben Empathie», so der Kurator. «Sie nehmen Sachen wahr, und es folgt eine Interaktion zwischen Tier und Mensch. Es ist ein gegenseitiges Spüren. Dadurch entsteht Beziehung.»
Ruhe in Frieden
Viele Haustiere erhalten eine traditionelle Bestattung. In Ölgemälden werden Tiere als treue Begleiter oder als Jagdtrophäe verewigt. Und welchen Umgang haben wir mit Wildtieren, beispielsweise mit dem überfahrenen Frosch oder der verhungerten Vogelbrut? Das Ausstellungsduo «Dachspräparat auf einem Werktisch» und die künstlich nachgebildete Menschenfigur «Grosi» von Präparator Marcel Nyffenegger sorgen für Überraschungseffekte. Auch eine sonderbare Beziehung. Urs Weibel bietet in Dialogführungen mit Kolleginnen und Kollegen weitere Denkanstösse für die Besuchenden an. Die Absicht ist, dass sich jeder seine Haltung und sein Handeln in Bezug auf Tiere bewusst macht und diese hinterfragt.
Judith Keller, 2.10.24
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